Umfassend beworben beteiligte sich auch die Humboldt-Universität an der Berlin Science Week. Zwei Veranstaltungen zum Genozid in Srebrenica stehen jedoch in der Kritik. Nicht alle Perspektiven von Betroffenen sind erwünscht, berichtet Melina Borčak der UnAuf.

Angefragt wurde die Journalistin Melina Borčak für drei Formate im Rahmen der Berlin Science Week: Eine Diskussionsrunde mit jungen Berliner*innen aus Bosnien, einer Podiumsdiskussion nach einem wissenschaftlichen Vortrag und ein Interview. Eine der Veranstaltungen sollte sie moderieren, bei einer selbst auf dem Panel sitzen sowie für ein Video interviewt werden. 

Einen Tag vor den Veranstaltungen kam es dann auch zu einer Diskussion: Allerdings auf Twitter, anstatt auf der Berlin Science Week. „Nachdem ich auf Rassismus + Genozidverhamlosung hinwies, kündigte @HumboldtUni mir Mitarbeit an gleich 3 Formaten der @BerlinSciWeek“, postete Melina Borčak am 2. November. Drei Tage später haben über 1400 Menschen ihren Tweet geliked, 500 ihn geretweetet. Gekündigt wurde ihr vonseiten der Veranstalter*innen, einem Institut der HU, bereits im September, erzählt Borčak auf Nachfrage der Unauf. Daraufhin reichte sie durch die Antidiskriminierungsberatung des RefRats Beschwerde ein. Gefordert wurde unter anderem ein Ausfallhonorar.

https://twitter.com/MelinaBorcak/status/1323213006319308800

„Und dann kam nichts. Da blieb mir halt nichts anderes übrig“, erklärt die Journalistin ihre Entscheidung, die Sache öffentlich zu machen. Sie habe sich gewünscht, die Veranstalter*innen wären selbst auf die Idee gekommen, sie für die bis dahin geleistete Arbeit zu entlohnen. Diese Arbeit, erzählt Melina Borčak, habe weniger mit der persönlichen Veranstaltungsvorbereitung zu tun gehabt, als mit der Kommunikation über inhaltliche Fehler. Sie habe ausführlich darauf hingewiesen, inwiefern in den Ankündigungstexten geschichtliche Fakten weggelassen oder beschönigt werden. Inhaltlich, so gibt Borčak an, sei ihr zugestimmt worden. Aber warum wurde nichts geändert?

Das Schlagwort „Genozidverharmlosung“ schwebte im Raum. Melina Borčak benennt die sprachlichen Mechanismen so auf Twitter. Der umstrittene interne Ankündigungstext liegt der UnAuf vor. Auf die von Melina Borčak kritisierten Punkte wird aber im Statement der HU gar nicht eingegangen. Stattdessen wird ein Satz zitiert, den sie so zum ersten Mal lese, zeigt sich Melina Borčak erstaunt. Warum stellen sich die Veranstalter*innen nicht der Kritik? Was gibt es zu verbergen? Dass es sich bei den Begleittexten um euphemistische Darstellungen gehandelt hat, fällt vermutlich gar nicht auf, wenn man sich bis jetzt kaum mit dem Genozid an den Bosniak*innen beschäftigt hat, so Borčak. In der Art habe es unzählige Fehler gegeben. Sie habe telefoniert, erklärt und Quellen geschickt. Begründet wurden die Formulierungen von Seiten der HU damit, Gefühle von Serb*innen nicht verletzen zu wollen. Ein Punkt, der bis jetzt inhaltlich nicht geklärt werden konnte.

„Es ist beleidigender für Serb*innen, davon auszugehen, dass sie mit historischen Fakten nicht einverstanden sind und davon beleidigt werden. Weil die einzigen Leute, die von klaren Benennungen von Täter*innen beleidigt sind, sind nicht Serb*innen, sondern Faschist*innen, egal welche Herkunft sie haben“, so Borčak.

Und was ist mit Bosniak*innen?

„Es gab sehr viel hin und her, ich habe viel Zeit investiert“, versichert Melina Borčak. Mit der Begründung von unterschiedlichen Sichtweisen und Motivationen sei sie in einer kurzen E-Mail schließlich gekündigt worden. Borčak zeigte sich auf Twitter irritiert: „Was stimmt nun? Dass die HU den Fakten zustimmt […] oder dass die HU-Mitarbeiter*innen mich mehrfach angelogen haben und die Fakten zum Völkermord doch leugnen?“

Klar wird das aus dem Statement der Veranstalter*innen nicht wirklich. Der Vorwurf von anti-muslimischem Rassismus wird mit der Begründung von sich gewiesen, man habe vier Bosniak*innen eingeladen. Ebenso rechtfertigt sich das Institut der HU für das Nichtbezahlen eines Ausfallhonorars, Borčak sei als Moderatorin und Panelistin angefragt worden. Man könnte also sagen: Ausführende wird von Auftraggeber*in engagiert, Ausführende teilt inhaltliche Auffassung der Auftraggeber*innen nicht, Ausführende ist deshalb nicht die Richtige für diese Veranstaltung. Die Veranstalter*innen mag es verwundert haben, dass ihre Moderatorin/Panelistin inhaltlich mitmischen will.

Aber ist es so einfach?

Es geht hier um Identitätspolitik, und das ist auch gut so. Die HU organisiert Veranstaltungen zum Genozid in Srebrenica und lädt dafür Betroffene ein, denn, so viel ist klar, ohne geht es nicht. Melina Borčak arbeitet nicht nur mit ihrer professionellen Meinung, sondern auch mit ihrer persönlichen Geschichte. Letzteres ist kein Punkt, der sie diskreditieren sollte, im Gegenteil: Perspektiven wie ihre braucht die Veranstaltung. Wenn Angehörige der Mehrheitsgesellschaft marginalisierten Menschen nur dann Redeplatz geben, wenn sie bestimmte Meinungen vertreten und auf diesen nicht zu sehr beharren, dann ist diese Form der Diversität wenig wert.

Es mag alles nur ein Missverständnis gewesen sein, wie die HU bei ihrem Statement auf Twitter schreibt: Sie kamen gar nicht auf die Idee, dass sie mit Borčak nicht nur eine Ausführende einstellen, sondern einen Menschen mit eigener Meinung. Sie dachten gar nicht daran, dass es nicht funktioniert, Veranstaltungen zum Völkermord inhaltlich zu planen und Bosniak*innen hinzustellen, als würden sie den Wetterbericht moderieren. Sie begriffen gar nicht, dass ihre inhaltliche Grundsatzarbeit eben genau zu ihrem Job gehörte, auch wenn sie dafür nicht engagiert worden war.

Jetzt, wo Melina Borčak auf Sozialen Medien Zuspruch erhält, mag es nach Schieflage aussehen. Ein Shitstorm gegen die Veranstalter*innen? Cancel Culture? „Cancel Culture existiert nur für Marginalisierte,“ nimmt die Journalistin diesen Vorwurf vorweg. Sie habe bei ähnlichen Erlebnissen aus Angst bis jetzt nichts gesagt. Auf die Frage, was sie sich davon erhofft, ihre Erfahrungen öffentlich zu machen, schweigt Melina Borčak kurz. Die Diskussionen mit den Veranstalter*innen selbst hätten ihr bereits gezeigt, dass es kein wirkliches Problembewusstsein gebe. Aber es hätten sich bei ihr viele Menschen gemeldet, die ähnliche rassistische, anti-muslimische Erfahrungen an der HU gemacht hätten. Tut sich also doch was?

Die Veranstaltungen auf der Berlin Science Week sind nun vorbei. Ob die Kündigung auf ein unterschiedliches Verständnis des Arbeitsauftrags, Unwissen oder bewusste Genozidverharmlosung zurückzuführen ist, ist kaum zu klären. Diese Situation verweist jedoch auf größere Missstände. Sie sollte eine Diskussion anregen, wer zu Themen wie dem Genozid in Srebrenica an der HU forscht und lehrt, und welche Rolle den Betroffenen dabei zugestanden wird.


Zusatz 19.11.2020: Nachdem die Veranstalter*innen mit zwei Statements reagiert haben, scheint für sie die Sache erledigt. Melina Borčak wurde bis heute nicht kontaktiert, die Rechnung, die sie für die Vorbereitungsarbeit gestellt hat, ist weiterhin offen. Von rechtlichen Schritten sieht sie ab, um ihren Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden.