Es gibt Abende, da will man nicht ins Kino. Ich wollte an jenem Abend, an dem ich
mein verrücktestes Kinoerlebnis hatte, eigentlich auch nur nach Hause. Ich kam
gerade aus der Bibliothek, hatte einen anstrengenden Tag hinter mir und mein Hirn war
Matschepampe. Zu Hause angekommen, stellte ich allerdings fest: es gibt Abende, da
muss man einkaufen.
Es führte kein Weg daran vorbei, ich hatte Hunger, Lust auf Salat und in meinem
Kühlschrank war kein Salat. Da war eigentlich gar nichts essbares. Ich musste, so
weh es auch tat, noch ein mal raus. Das Aufraffen gelang nur zur Hälfte, denn ich ließ
meinen Kapuzenpulli (so hießen Hoodies damals) und meine Jogginghose einfach an,
stopfte deren Ende in weiße Tennissocken und schlüpfte in meine dreckigen
Laufschuhe. Das erschien mir am bequemsten. Ich sah aus wie ein Asi und das war
mir sehr egal, schließlich brauchte ich etwas zum essen. Weil ich zu dieser Zeit in dem
Studentenwohnheim am Potsdamer Platz wohnte, ging ich zu dem nächsten
Supermarkt, REWE in den Arkaden. Ich kaufte ein. Milch, Müsli, Salat und so weiter.
Eine Plastiktüte voll (die gab es damals noch).
Ich ging mit der prallen Plastiktüte aus den Arkaden und dann wurde es plötzlich laut.
Meine Neugierde trieb mich, dem Lärm hinterher, ins Sony-Center. Eine
Filmpremiere, ach, wie nett. Wie heißt der Film? Da steht es: Prisoners. Nie gehört.
Unfassbar viele Menschen waren da. Sie drängten und schubsten, einige Mädels
kreischten, denn Hugh Jackman, das sollte ich erfahren, würde gleich kommen. Den
schau ich mir noch an, dachte ich. Ich drängte und schubste ebenfalls und stand auch
mit Hilfe meiner REWE-Tüte, die ich als Schutzschild einsetzte, auf einmal ganz
dicht am Gelände, das die filmverrückten Fans und mich von dem roten Teppich
trennte.
Dann erschien eine Moderatorin und fragte in die Menge, ob jemand Lust habe, zur
Weltpremiere des Films zu gehen. Ohrenbetäubendes Schreien war die Antwort. Erst
jetzt erkannte ich, dass die Frau auf der Großbildleinwand hinter mir im Sony-Center
abgebildet wurde. Sie sagte, man müsse nur gut begründen können, warum man in
den Film dürfe und schon bekomme man eine Karte. Die Mädels, die mir wegen ihrer
ungewöhnlich hohen Kreischfrequenz schon aufgefallen waren, bekamen sie. Zu
Recht, dachte ich. Eine weinte sogar vor Freude. Die Begründung lautete übrigens,
dass Hugh Jackman doch „Sexiest Man Alive“ sei und, dass sie ihn unbedingt sehen
müssten. Wie wahr!
Ich freute mich schon auf mein Essen, als die Moderatorin noch einmal fragte, ob
jemand Lust auf die Weltpremiere habe. Was für eine rhetorische Frage! Jeder wollte
den Film sehen, das waren Film-Fanatiker, deshalb waren sie ja da. Nur ich war da,
weil ich Lust auf Salat mit Thunfisch hatte.
Die Moderatorin erkannte, dass sie von den drei Karten, die sie verschenken durfte,
nun nur noch eine übrig hatte. Sie sprach erneut Mädels an, doch die beiden,
offensichtlich beste Freundinnen, wollten nicht. Denn, es gab ja nur eine Karte. Sie
wollten doch beide zu Hugh Jackman, der inzwischen angekommen, auf dem roten
Teppich für die Kameras posierte. Das hätte ihre Freundschaft nicht ausgehalten,
bestimmt nicht, also lehnten sie ab. Schöne Geschichte. Aber meine Geschichte
beginnt erst jetzt.
Die Reporterin hatte es nämlich auf einmal eilig. In wenigen Minuten sollte der Film
beginnen und dann sagte sie jenen Satz, der mich ins Spiel brachte: „Ist irgendjemand
alleine hier?“
Niemand geht alleine zu Weltpremieren von Filmen. Ich war da. Ich war allein. Ich
hob reflexartig die Hand, die nicht die Plastiktüte hielt. Die Moderatorin sah mich an.
Ob ich überhaupt Lust hätte auf den Film, fragte sie. Man muss mir meine
Verdutztheit also angesehen haben. Ich sagte „hm, ja“. Ihr war es egal, ich bekam die
Karte und spazierte wenig später im Asi-Look und mit der REWE-Tüte in der Hand
an Hugh Jackman vorbei (er hat auch verdutzt geguckt, da bin ich mir sicher) über
den roten Teppich in den Kinosaal zur Weltpremiere von „Prisoners“. Ich weiß, dass
ich während der Vorführung mehrmals lachen musste. An den Film kann ich mich
kaum erinnern.