Wer am U-Bahnhof Warschauer Straße an der East-Side-Mall Himmel sehen will, muss seinen Kopf in den Nacken legen. Was sonst zu sehen ist: Glaswände, 142 Meter hoch, und Farbkleckse in Wurfhöhe. Was hat der Amazon Tower mit uns Studis in Berlin zu tun?
Friedrichshains neuer Tower aus Glas
Während es in anderen europäischen Hauptstädten und Metropolen klar abgrenzbare business districts gibt, verteilen sich die Hochhäuser Berlins über mehrere Stadtgebiete. Geschäfts- und Bankenviertel, die einem „Hochhausrahmenplan” wie in Frankfurt am Main folgen, gibt es in Berlin auch aufgrund der historischen Teilung der Stadt nicht. Ein Hochhaus wie der Edge East Side Tower, seit der Fertigstellung Anfang dieses Jahres mit 142 Metern das größte seiner Art in Berlin, wirkt daher in seiner Umgebung in Friedrichshain völlig fremd und deplatziert. Das ehemalige Arbeiter- und heutige Szeneviertel, das von anhaltender Gentrifizierung und stetig steigenden Mietpreisen gezeichnet ist, bekommt nun einen Koloss in seine Mitte gesetzt, der in Manhattan zu erwarten wäre, aber nicht an der Warschauer Brücke.
Neben der offensichtlichen Andersartigkeit des Towers im Viertel stößt dieser den Berliner*innen aber auch aus symbolischen Gründen auf. Denn das unbeliebte Gebäude wird voraussichtlich ab 2026 von niemand geringerem als dem Weltkonzern Amazon bezogen. Amazon, dessen CEO Jeff Bezos mit einem Vermögen von bescheidenen rund 200 Milliarden immer wieder mal die Liste der wohlhabendsten Menschen der Welt anführt, und aufgrund schlechter Behandlung von Mitarbeiter*innen und maßloser Steuervermeidung seit Jahren massiv in der Kritik steht, fungiert dabei als perfektes Feindbild für den globalen Kapitalismus.
Nun kommt zum bereits gängigen Berliner Kapitalismus-Bashing noch hinzu, dass Amazon nach eigenen Angaben plant, mit 3.400 Mitarbeiter*innen in das neu gebaute Hochhaus an der East Side Gallery einzuziehen. Da der Online-Händler bisher jedoch nur rund 1000 Personen an verschiedenen Standorten in Mitte direkt beschäftigt, ist davon auszugehen, dass sich viele der Mitarbeiter*innen in Friedrichshain-Kreuzberg und Umgebung eine neue Bleibe suchen werden: Eben jene Mitarbeiter*innen des Tech-Konzerns, die in Bereichen des Unternehmens tätig sind, in denen überdurchschnittlich gut bezahlt wird. Dies führt letztendlich dazu, dass die neu ankommenden Amazon-Mitarbeiter*innen den ohnehin schon katastrophalen Wohnungsmarkt in den Vierteln um die Warschauer Brücke herum noch zusätzlich aufmischen.
Der Amazon Tower als Symbolbild
Kaum ein anderes Gebäude Berlins dürfte die Gemüter so sehr erhitzen und die Folgen der Gentrifizierung auf diese Weise sichtbar werden lassen. Nicht zuletzt ist es als freistehender Koloss von verschiedenen Bezirken aus gut zu sehen. Während Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) bei ihrer Besichtigung der fast vollendeten Bauarbeiten im
September 2024, den Edge East Side Tower als „neues Wahrzeichen unserer Stadt” anpries, wird innerhalb der Berliner Bevölkerung meist nur abwertend vom „Amazon-Tower” gesprochen.
Widerstände gegen den Turm
Friedrichshain ist nicht nur ein ursprüngliches Arbeiterviertel, sondern auch ein Ort linksalternativer Räume und Widerstands. Die Wut auf den Tower bleibt im Bezirk nicht in der Luft hängen: Sie wird organisiert, und das seit 2019.
Aktionstage, Audiotouren, Adbusting – die Initiative „Berlin vs. Amazon”, ein Bündnis aus verschiedenen lokalen Gruppen, Aktivist*innen und Anwohner*innen, macht dem Konzern mit Demos und kreativem Protest den Einzug schwieriger.
Die Initiative hat 14 Forderungen veröffentlicht, die sich in die Bereiche Arbeiter*innenrechte, Umwelt, Gemeinschaft und Zukunft aufteilen, womit auf die “14 Leadership Principles” des Konzerns angespielt wird. Faire Löhne und Arbeitszeiten aller Beschäftigten in der globalen Produktionskette sowie in Subunternehmen, die Dekarbonisierung und Klimaneutralität des Konzerns bis 2030, der Schutz von Kiezen und ein Überwachungsstopp gehören zu den 14 Forderungen. Zusätzlich wird dafür plädiert, eine „Schrumpfung” und „Aufspaltung des Unternehmens in unabhängige Organisationen” einzuleiten. Auch sämtliche Verträge mit Polizei, Militär und Sicherheitsdiensten sollen gekündigt werden. Ansonsten, so die Initiative, müsse Amazon nicht erwarten, in Berlin willkommen geheißen zu werden.
Der Protest gegen das Vorhaben Amazons ist jedoch breit und findet viele Ausdrucksformen. Neben Farbbomben, die vor einiger Zeit die neuen Glaswände trafen, wird auch Musik als künstlerisches Mittel verwendet, um ein klares Statement zu setzen. Die Berliner Gruppe Teuterekordz und PTK rappen in ihrem Song „Amazon Tower”:
„Amazon-Tower, Benz-Arena, Sell Out, jeder Zentimeter […]
Vom Senefelder bis zum Mehring
Die Häuser denen, die drin leben
Und wir werden erst aufhör´n, wenn
Der Amazon Tower brennt”
„Der Turm verkörpert den Ausverkauf der Stadt an Großkonzerne und Besserverdienende. Wir wollen eine Stadt für alle, und da einem ausbeuterischen Konzern wie Amazon so ein prominentes Wahrzeichen hinzusetzen, repräsentiert Berlin zum einen in der denkbar schlechtesten Weise und trägt zum anderen direkt zur weiteren Gentrifizierung eines ehemals alternativen Viertels bei“, sagt Sechser von Teuterekordz zur Frage, warum er Musik gegen den Tower mache. Auch, dass man jetzt „Monatslohn für ein WG-Zimmer” zahlen müsse, klagt der Song „Amazon Tower” an.
Nachbarschaft – Von Kommiliton*innen und Konzernen
Einen Monatslohn für ein WG-Zimmer zu bezahlen ist insbesondere dann problematisch, wenn wie viele Student*innen noch nicht einmal ein festes Einkommen hat. Student*innen selbst gelten oft als Pionier*innen der Gentrifizierung und tragen oftmals durch sogenannte „Studentification” dazu bei, dass der Segregation der ansässigen Bewohner*innen in entstehenden Hotspot-Vierteln Anschub geleistet wird.
Aber klar ist auch: Studierende haben ein Recht auf bezahlbaren Wohnraum. Trotzdem kennen wir alle jemanden oder waren selbst in der Situation: Wohnen in Hostels zum Semesterstart, auf Couches und Isomatten, oder wenn´s gut läuft, zur Zwischenmiete. Und danach – Umzüge, unbezahlbar und trotzdem Zwischenmiete. Das ist Standard, genau wie das Ausweichen von Student*innen auf Randbezirke.
Wenn schon entschieden wird, Hochhäuser im Stadtgebiet zu errichten, wieso dann nicht, um den angespannten Wohnungsmarkt in Berlin zu entlasten? Wenn schon in die Höhe bauen, warum für Konzerne statt für Menschen? Das wäre auch eine Möglichkeit, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, unter anderem für Student*innen. Nicht zuletzt stehen aktuell fast 7% der Büroflächen in Berlin leer, während gleichzeitig über 5.000 Student*innen auf der Warteliste des Studierendenwerk Berlin für einen Wohnheimplatz stehen.
Diese Form der Verdrängung hat auch Auswirkungen auf viele andere Bereiche unseres Lebens: „Zwar hat Friedrichshain mit seiner lebendigen Club- und Kulturszene viel zu bieten. Ich denke aber, wenn das junge Publikum, zum Beispiel Studierende ohne regelmäßiges Einkommen, nicht mehr mit der Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt mithalten können, wird sich auch dieses vielfältige Angebot verändern”, sagt dazu Jasmin von Berlin vs. Amazon, und ruft dazu auf: „Es wäre fatal, wenn weitere Gemeinschaften und Orte kaputtgehen, weil die Landnahme der Konzerne ohne Rücksicht auf lokale Bedürfnisse vonstatten geht. Deshalb ist Widerstand so wichtig. Auch wenn es einen langen Atem braucht, gegen noch mehr Büroflächen in Glastowern und Techmonopolisten etwas zu erreichen. Ich würde alle ermutigen, sich zusammenzuschließen und etwas gegen die aktuellen Entwicklungen zu unternehmen.”
Einmal im Monat habe die Gruppe ein offenes Plenum, das immer eine Woche vorher im Terminkalender der Website Stressfaktor angekündigt wird. Auch bei anderen Organisationen gegen den Ausverkauf der Stadt, wie „Deutsche Wohnen und co enteignen” und „Wem gehört der Lasterkiez?” lohne es sich, vorbeizuschauen. Bei persönlicher Betroffenheit empfiehlt Jasmin uns die Seite iniradar.org, um schnell und einfach Hilfsangebote zu den Themen Wohnen und Mieten zu recherchieren.
Der Amazon Tower als Warnung für künftige Politik
Das Hochhaus an der Warschauer Brücke ist so weit fertiggestellt und wird in nur wenigen Monaten bezugsfertig sein. Eine Enteignung, Umfunktionierung oder gar der Abriss des Gebäudes wird allein schon aus rechtlichen Gründen utopisch bleiben. 2019 wurde die finale Baugenehmigung für den seit 2004 geplanten Tower erteilt. Dies lässt sich heute nicht mehr rückgängig machen. Aufruhr gegen das Projekt war und ist trotzdem wichtig, um weitere Hochhauskomplexe für Konzerne dieser Art in der Stadt zu verhindern und gleichzeitig auf die prekäre Wohnungssituation von benachteiligten Gruppen wie beispielsweise Student*innen aufmerksam zu machen. Der Protest gilt somit als Warnung für die Politik, die Planung solcher Wolkenkratzer für kapitalistische Großunternehmen innerhalb der Stadt zu unterlassen – oder wie es Amazon vs Berlin fordert, für „eine gemeinwohlorientierte Tech-Branche und Stadtentwicklung” in Berlin zu kämpfen.