Am 25. und 26. November war die Gruppe Civil Watch Against Antisemitism im Foyer des Grimm-Zentrums zu Gast. Die Aktivist*innen versuchen, mit Studierenden über den Nahost-Konflikt ins Gespräch zu kommen. Wir haben mit den Beteiligten gesprochen.
Hagar Gal und Shay Dashevsky sitzen an zwei kleinen Tischen im Foyer des Grimm-Zentrums. „I’m from Israel Ask me anything“ steht auf ihren Hoodies. Sie wollen mit Student*innen ins Gespräch kommen, um Vorurteile über Israel abzubauen. Davor war die Gruppe bereits an der Technischen Universität, der Freien Universität, der Volkshochschule Steglitz und der Universität Potsdam zu Gast.
„Im Moment leben wir alle in Angst“, beschreibt Hagar die Gefühlslage vieler Jüdinnen und
Juden in Berlin nach dem 7. Oktober. Die aktuelle Situation, sowohl in Gaza und Israel, als auch in Berlin führt dazu, dass beide Seiten um ihre Existenz fürchten müssen und eine Lösung des Konflikts nicht in Sicht ist.
Die Gruppe hat sich kurz nach dem 7. Oktober 2023 gegründet, als Wohnhäuser von Jüdinnen und Juden in Berlin mit Davidsternen markiert wurden. „Zu Beginn haben wir vor allem Vorfälle an RIAS gemeldet“, erzählt Hagar. RIAS ist eine NGO, die Antisemitismus dokumentiert und Berichte darüber veröffentlicht. Nach dem Palästina-Kongress im April 2024, den sie als antisemitisch einordnet, entschied die Gruppe, dass sie mehr tun muss, um israelbezogenen Antisemitismus zu bekämpfen. Der Kongress wurde bereits am ersten Tag unterbrochen und von der Polizei aufgelöst. Auslöser war eine wiedergegebene Videobotschaft des palästinensischen Autors Salman Abu Sitta, der in Deutschland mit einem Einreise- und politischen Betätigungsverbot belegt ist. Dieser hatte im Onlinejournal Mondoweiss geschrieben, dass er sich, wenn er jünger wäre, an den Massakern des 7. Oktober beteiligt hätte und den Mut der Hamas-Kämpfer bewundere, die an diesem Tag nach Israel eingedrungen sind. Die Besetzung von Uni-Gebäuden, wie des Instituts für Sozialwissenschaften der HU im Mai 2024, führte wiederum dazu, dass Civil Watch Against Antisemitism an Universitäten präsent sein möchte.
Viele Student*innen beachten den Stand kaum. Ein paar nehmen sich jedoch Zeit für ein Gespräch. Dabei geht es um den Krieg in Gaza, die Besatzung im Westjordanland, bis hin zu Antisemitismusdefinitionen. Viele sind überrascht, dass die Gruppe sich gegen die rechtsextreme israelische Regierung positioniert und sich für einen palästinensischen Staat einsetzt. „Ich denke, dass das Projekt hilft, die israelische Perspektive besser zu verstehen. Wir sehen die Zwischentöne, diejenigen, die eine echte Lösung wollen und sich nicht nur Reels auf Instagram angucken“, sagt Hagar.
Dabei geht es in unserem Gespräch auch um Hagars persönliche Erfahrungen seit dem 7. Oktober. Ihr Cousin wurde auf dem Supernova-Festival, einem Techno-Festival im Süden Israels, brutal von der Hamas ermordet und seine Leiche nach Gaza gebracht. Auch in Berlin fühlt sie sich unsicher. Die aggressiv auftretenden Gegenbewegungen „fühlen sich frei, mein Haus und meine Freunde zu markieren.“ Sie könne sich nicht zurückziehen, sondern erhalte eine Reaktion, wo auch immer sie hingehe: „Egal ob ich einen Kaffee bestelle, mit der S-Bahn fahre, in eine Bar oder einen Club gehe – ich erhalte immer eine Reaktion, wenn ich sage, wo ich herkomme.“ Obwohl sie als Individuum nicht für den Krieg verantwortlich gemacht werden kann, werde sie auch persönlich beschimpft. Leute rufen „Get out“ oder „Fuck Israel.“ Freund*innen habe sie, anders als viele andere Israelis in Berlin, im letzten Jahr nicht verloren, ergänzt sie. Erst seit dem 7. Oktober sei ihr ihre Identität als Israelin stärker bewusst geworden. „Davor konnte ich meine Identität selbst definieren. Plötzlich werde ich von anderen markiert. Antisemitismus wird nie ganz verschwinden, aber wir können dem Hass entgegentreten.“
Die Mehrheit der Passant*innen am Infostand wäre dennoch gesprächsbereit und würde auch die „harten Fragen“ nicht scheuen. Ziel sei es, den „Umfang an Hass“ zu reduzieren. „Wir können und müssen mit unterschiedlichen Meinungen trotzdem Seite an Seite leben, ohne einander zu hassen und zu bekämpfen.“
Zwei Studentinnen, die an diesem Nachmittag das Gespräch mit Hagar und Shay suchen, sind Ella und Angelina. Ella studiert Geographie und beklagt sich, dass Debatten über den Krieg oft sehr einseitig geführt werden und ist dankbar dafür, die israelische Perspektive kennenzulernen. Sie wünscht sich mehr solcher Gesprächsangebote mit Betroffenen, auch vonseiten der Uni. Ähnlich positioniert sich Angelina, Studentin der Islamischen Theologie: Auch sie wünscht sich mehr Gesprächsformate. Sie habe durch das Gespräch erfahren, dass Zionismus nicht automatisch bedeutet, gegen ein freies Palästina zu sein. Zionismus ist die Ideologie, dass Jüdinnen und Juden ein Recht auf einen unabhängigen Staat in ihrer historischen Heimat haben, wobei es verschiedene Strömungen von links bis rechts und säkular bis religiös gibt. Am Ende hätten sie sogar Bücher ausgetauscht, erzählt sie. „Es war schön zu sehen, dass man anderer Meinung sein kann und trotzdem miteinander spricht“, erklärt sie.
Foto: Nicolai Froundjian