Annäherung im Internet ist eine nicht verwirklichte Utopie. Was bedarf es, um sie zur Realität zu machen, und wo findet man zumindest im Ansatz gute Modelle, die zeigen, was möglich wäre? 

Nur vom Grundkonzept betrachtet könnte man denken, das Internet wäre der perfekte Ort für Prozesse der Annäherung. Ein freier Raum für alle zugänglich in dem, losgelöst von einem zeitlichen und physischen Rahmen, Personen in Begegnung und Austausch treten können. 

Alle, die ein wenig in den digitalen Räumen der Begegnung und des Austauschs unterwegs waren, wissen, dass diese Utopie leider nicht die Realität widerspiegelt. Algorithmen drängen User*innen, ob gewollt oder ungewollt, in Ecken, in denen sich fast ausschließlich Personen mit ähnlichen Interessen und Meinungen tummeln. Es bilden sich die viel diskutierten Filterblasen. Begünstigt durch Algorithmen verfestigen sich die Meinungen. Es wird über die vermeintlichen Gegner*innen gesprochen, nicht mit ihnen. Dabei ist gerade der direkte Austausch von unterschiedlichen Meinungen eine wichtige Grundlage für eine mögliche Annäherung. Die Frage, die sich stellt, ist: Wo findet man einen digitalen Raum, der Annäherung ermöglicht, Gemeinschaftlichkeit stiftet und die Gelegenheit für Begegnung und Austausch von Personen mit verschiedenen Meinungen bietet? 

Meine eigene Positiverfahrung war absurderweise auf der Plattform zu finden, die eigentlich eher dafür bekannt ist, Mitschuld an allerlei Desinformation und Polarisierung zu tragen: Facebook. Genauer gesagt in der Facebookgruppe der kleineren Uni, an der ich meinen Bachelor abgeschlossen habe. Zwar nutzten die meisten Student*innen Facebook kaum noch aktiv, besaßen aber noch ein Konto als Überbleibsel aus jener Zeit, in der die Plattform für junge Menschen tatsächlich noch von Bedeutung war. In der Uni-Gruppe wurde vieles gepostet, was eher einem digitalen schwarzen Brett ähnelte: Angebote und Gesuche für Wohnungen oder Jobs, Gegenstände, die verschenkt werden und Veranstaltungsankündigungen. Es wurde nach Altklausuren gefragt und vor Blitzern auf den Straßen nahe der Uni gewarnt. Aber zwischen all diesen Postings kam es immer wieder mal zu Diskussionen. Beispielsweise zu den studentischen Wahlen, der Wichtigkeit von Nachhaltigkeit, einem veganen Angebot in der Mensa und den Coronamaßnahmen der Universität.

Der Diskurs, der dabei entstand, war oft überaus ergiebig, auch mal kontrovers und etwas hitziger, aber insgesamt fühlte es sich wie das Ideal eines öffentlichen Forums an, an dem alle Student*innen teilnehmen konnten. Viele nahmen dieses Angebot auch wahr. Noch während meines Bachelors sank die Aktivität aber immer weiter, auch weil mittlerweile viele Erstis gar kein Facebook mehr haben und verständlicherweise keinen Account anlegen wollen. Die Schwarzes-Brett-Funktionen verlagerten sich auf Instagram-Postings und Stories, der Diskurs über Geschehnisse an der Uni fand nur noch innerhalb der Freundesgruppen und WGs statt, was auch ohne Algorithmen von einer Filterblase nicht weit entfernt ist. 

Die Plattform, die dem Idealbild eines gemeinsamen Austausches noch am nächsten kommt, wäre Reddit. Dort werden Inhalte nicht durch einen Filteralgorithmus vorgeschlagen, sondern in interessenbasierten Unterforen, sogenannten Subreddits, von User*innen gepostet und dann durch die Menge an Up- und Downvotes in eine Rangfolge innerhalb der Subreddits sortiert. Allgemeine Subreddits, wie etwa auf deutschsprachige Themen fokussierte r/de-Subreddits und die viel benutzte Kommentarsektion, bieten eine gute Basis für Diskussionen. Leider ist aber auch auf Reddit nicht die vollständige Utopie zu finden. Die User*innen kommen oft aus ähnlichen Milieus (wer zum Beispiel länger auf r/Studium unterwegs ist, könnte denken, die Hälfte Deutschlands studiere Informatik oder Ingenieurwissenschaft). Zusätzlich ist die Plattform anfällig für das gezielte Stören und Manipulieren von Diskussionen durch Trolle und Bots. 

Derzeit bleibt die Suche nach einem gemeinsamen digitalen Raum für Annäherung also weitgehend erfolglos. Über die allseits bekannten Probleme der Social-Media-Algorithmen und Bots wird immer wieder berichtet, die meisten User*innen sind sich diesem möglicherweise auch bewusst. Verändert hat sich in den vergangenen Jahren aber trotzdem wenig. 

Die immer stärker werdenden Forderungen, Plattformen zu regulieren oder, wie im Fall von TikTok, komplett zu verbieten, könnten endlich eine Chance sein, die Suche in nicht allzu ferner Zukunft zu beenden. Dies könnte durch eine Regulierung geschehen, die schon existierende Plattformen massiv umgestaltet. Eine weitere Möglichkeit wäre die Schaffung neuer Plattformen, die diesen Kernaspekt eines gemeinsamen Raums in der Grundarchitektur und der Moderation der Plattform bedenkt. Vielleicht wird dann aus der gegenwärtig dystopischen Social-Media-Landschaft endlich die Utopie des Begegnungsraums Internet, die Annäherung ermöglicht. 


Illustration: Carolin Dudakow