Für das Comic-Projekt „Wie geht es dir?“ interviewten Zeichner*innen Menschen, die vom israelisch-palästinensischen Konflikt betroffen sind, und verarbeiteten ihre Antworten in 60 Comics. Ziel des Projekts war es, in einer zunehmend polarisierten Öffentlichkeit Raum für Annäherung und Dialog zu schaffen. Unsere Autorin sprach mit Hannah Brinkmann, Comiczeichnerin und eine der Initiatorinnen.
UnAuf: Kannst du uns zu Beginn etwas über die Entstehungsgeschichte des Projekts erzählen?
Hannah Brinkmann: Nach dem 7. Oktober gab es eine erste Phase der Äußerungen oder der Nicht-Äußerungen. Teilweise erschienen relativ schnell polarisierende Beiträge in den sozialen Medien, während gleichzeitig auch viel Stille herrschte, auch in der Kulturszene.
Dann entstand so etwas wie eine kleine Telefonlawine. Der Zeichner Michael Jordan rief die Zeichnerin Barbara Yelin an. Barbara Yelin schrieb mir. Bei einer Veranstaltung traf sie Véronique Sina und fragte sie: „Was können wir als Künstler*innen jetzt tun?“ Véronique Sina antwortete: „Zeichnen ist Ausdrucksform. Ihr seid Zeichner – also müsst ihr zeichnen.“ So begannen unsere ersten Treffen. Im weiteren Verlauf kamen die Zeichner*innen Birgit Weyhe, Nathalie Frank und Moritz Stetter und der Comic-Salon Erlangen dazu. Plötzlich waren wir eine Gruppe. Es hat sich einfach so ergeben. Wir überlegten, wie wir etwas gegen das Schweigen tun könnten. Gleichzeitig beobachteten wir, wie ein extremistischer, antimuslimischer Rassismus aufkam.
Es geschah also beides: Während unser erster Impuls war, jüdische Menschen zu fragen, wie es ihnen geht, wurde uns schnell klar, dass wir die Perspektive erweitern müssen. So entstand die Idee, Gesprächspartner*innen aus unterschiedlichsten Bereichen und mit verschiedenen Hintergründen zu Wort kommen zu lassen. Unser Ziel war es, Polarisierungen zu vermeiden und Vielfalt zu schaffen – in einem Konflikt, der oft auf eine vermeintliche Einstimmigkeit reduziert wird, die jedoch weder möglich noch sinnvoll ist.
UnAuf: Würdest du sagen, dass Comics als Medium besonders geeignet sind, eine solche Vielfalt zu schaffen?
HB: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, soziale Medien sind sehr kurzlebig. Das sieht man auch an Info-Posts, die mit nur wenigen Sätzen auskommen und ständig gepostet werden. Bei Comics ist der Unterschied, dass Schrift und Worte genauso wichtig sind wie das Bild. Man hat eine Parallele: Das Bild und der Text stehen nebeneinander, und im Bild kann man etwas völlig anderes erzählen als im Text. Das heißt, es entsteht eine Ambivalenz, sobald man es betrachtet. Man hat die Möglichkeit, Dinge, die im Text vielleicht nicht erwähnt werden, durch das Bild sichtbar zu machen. Dadurch kann man auch persönlicher werden und Emotionen ausdrücken, ohne sie direkt anzusprechen.
Die Gespräche mit den Menschen, mit denen man arbeitet, sind natürlich auch anders. Man stellt automatisch visuelle Fragen, zum Beispiel: „Wie sieht dieser Ort aus, von dem du erzählst?“ Das eröffnet neue Perspektiven und gibt den Gesprächspartner*innen neue Impulse.
UnAuf: Das Projekt war zunächst auf die vom israelisch-palästinensischen Konflikt betroffenen Menschen konzentriert. Aber dann ging es auch um den Ukraine-Konflikt oder beispielsweise um die Correctiv-Recherchen. War es von Anfang an geplant, sich mit solchen Themen zu beschäftigen oder hat sich das erst im Laufe der Zeit entwickelt?
HB: Es hat sich sehr organisch entwickelt. Am Anfang stand natürlich der 7. Oktober und der Krieg in Gaza. Diese Ereignisse waren zu jener Zeit sehr präsent. Aber wir haben immer gesagt: Die Beteiligten sollen selbst entscheiden, worüber sie sprechen möchten. Automatisch kamen dann auch Themen wie die Correctiv-Recherchen oder die Angst vor einer möglichen Abschiebung auf. Das war einfach Teil der Gespräche. Ich denke, jeder, der einen Comic zu diesem Projekt beigetragen hat, hätte es merkwürdig gefunden, diese Aspekte nicht zu erwähnen, weil sie ein Teil der gesellschaftlichen Realität sind.
Und wie im Falle von Krieg geht es auch dabei um eine Form der Entmenschlichung. Wir haben natürlich diskutiert, ob diese Vielfalt an Themen funktioniert. Doch letztlich haben wir uns dafür entschieden, weil wir gesagt haben: Das sind Stimmen aus unserer Gesellschaft, die Diskriminierung, Hass, Rassismus und Antisemitismus erfahren. Diese Stimmen sollten auf dieser Plattform gehört werden.
UnAuf: Wie hast du deine eigenen Interviewpartner*innen ausgewählt?
HB: Für mich war es meine Tante Ronit aus Israel, die den ersten Impuls gegeben hat, weshalb ich mich dazu entschieden habe, an diesem Projekt teilzunehmen. Sie war nicht der einzige Grund, aber ein sehr wichtiger. Wir alle kamen aus persönlichen Gründen zu dieser Initiative, und daher war es für mich naheliegend, mit ihr zu sprechen. Ich habe vorher abgesprochen, ob das in Ordnung ist, weil Ronit eine der wenigen interviewten Personen ist, die nicht in Deutschland lebt. Aber es war kein Problem, und ich fand es sehr schön, den Comic über sie und mit ihr zu gestalten.
Auf der anderen Seite habe ich auch Derviş Hızarcı, Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, aus persönlichen Gründen angesprochen. In den Wochen und Monaten nach dem 7. Oktober habe ich ihn immer wieder im RBB gehört. Ich habe ihn dort als eine ausgewogene und prägnante Stimme wahrgenommen. So habe ich mich für ihn entschieden.
UnAuf: Ein starkes Zitat von Derviş Hızarcı in deinem Comic-Interview war, dass wir migrantische Kinder, die mit Vorurteilen aufwachsen, auf keinen Fall vorschnell abschreiben dürften. Und dass es sehr gefährlich sei, von fixen Weltanschauungen oder importiertem Antisemitismus zu sprechen, weil das nur ausgrenze und nicht zu Lösungen beitrage.
HB: Ja, und dass all diese Vorurteile irgendwie ein Spiegelbild von uns selbst sind. Dass man nicht einfach an den Vorurteilen anderer arbeiten kann, sondern an sich selbst arbeiten muss. Das war ein zentraler Gedanke in diesem gesamten Diskurs: Nicht immer nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern bei sich selbst anfangen.
UnAuf: Ich fand es auch erstaunlich, dass die Reaktionen in den Kommentaren alle sehr positiv waren, obwohl es um ein so polarisierendes Thema ging.
HB: Wir haben eigentlich viel mehr Gegenreaktionen erwartet. Es gab zwei oder drei Mal kritische Bemerkungen in den Kommentaren, aber im Vergleich zu anderen Dingen war es wirklich harmlos.
UnAuf: Das Projekt ist jetzt zu Ende, aber ihr habt noch Ausstellungen, Workshops und Lesungen geplant. Wie geht es weiter mit dem Projekt?
HB: Ja, genau. Im Frühjahr nächsten Jahres wird die Anthologie – also im Grunde alle Comics, die veröffentlicht wurden – als Buch erscheinen. Das ist natürlich auch etwas, worüber wir uns sehr freuen, weil es wirklich dieses Jahr widerspiegelt und man vielleicht noch besser darin schmökern kann als auf Social Media. Die Ausstellung wird fortgesetzt. Sie wird am 12. Dezember 2024 in der Villa Stuck in München eröffnet. Und ab 2025 wird sie an verschiedenen Orten gezeigt. All diese Dinge werden auf Social Media bekannt gegeben. Der Account wird nicht gelöscht. Man kann auf jeden Fall verfolgen, wie es weitergeht.
UnAuf: Und zum Schluss nochmal die Frage: Wie geht es dir?
HB: Gute Frage. Ich glaube ambivalent, aber das ist wahrscheinlich normal bei den politischen Zeiten gerade.
Comic: Hannah Brinkmann