Zehn Jahre „Je suis Charlie“. Wie das Attentat am 7. Januar 2015 auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ zugleich die Welt erschütterte und Veränderungen in der Pressefreiheit auslöste.

Am Morgen des Anschlages, am 7. Januar 2015, verschafften sich die Brüder Said und Chérif Kouachi Zugang zu den Redaktionsräumen der Zeitung „Charlie Hebdo“ und töteten während einer Redaktionssitzung elf Personen, darunter acht Redaktionsmitglieder. Zehn Jahre danach, am 7. Januar 2025, sind die Straßen rund um die Rue Nicolas-Appert, der Straße der ehemaligen Redaktion Charlie Hebdos, im 11. Arrondissement von Paris abgesperrt. Zahlreiche Polizeiwagen stationieren sich um den Ort, an dem trauernde Redaktions- und Familienmitglieder sich durch Zeremonien mit französischen Politiker*innen an die elf Personen erinnern. Der sonst so belebte und von Baumalleen gesäumte Boulevard Richard-Lenoir in Paris, der an die Straße des Tatorts knüpft, wird seit frühmorgens streng überwacht. Eine bedrückte und angespannte Stimmung liegt in der Luft. Unterstrichen durch die bewaffneten Polizist*innen, die um den Straßenblock patrouillieren. Kamerateams und einige Passant*innen versuchen, sich erfolglos näher an den Tatort heranzuwagen und einen Blick auf das Redaktionsgebäude zu erhaschen. Einige haben die neue Sonderausgabe der satirischen Wochenzeitung in der Hand – ein Heft, gefüllt mit 32 Seiten satirischen Karikaturen, die im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs ausgewählt wurden.

 Der Wettbewerb mit dem Hashtag #RireDeDieu (dt. #LachenÜberGott) soll laut Charlie Hebdo die „Einflussnahme aller Religionen auf die Gesellschaft“ hinterfragen. Ein rotes Poster  mit gelber Aufschrift verkündete die Aufgabenstellung des Wettbewerbs, der bis Mitte Dezember 2024 andauerte – „Réalisez la caricature la plus drôle et méchante sur Dieu“ (dt. „Erstelle die lustigste und gemeinste Karikatur über Gott“). Eine Aufgabe, die dazu aufruft, im Kontext des zehnjährigen Jahrestags des Anschlags, den „Esprit Charlie“ auf satirische Art herauszuarbeiten. Der „Geist von Charlie“ bezeichnet die Prinzipien und Werte der Zeitung, die 2015 nach dem Anschlag zu einer Solidaritätsbewegung geführt hatte und sich sowohl für Meinungs- und Pressefreiheit als auch für den Widerstand gegen Extremismus ausspricht. In dem Sonderheft-Titel „Charlie Hebdo: Increvable“ (dt. „Charlie Hebdo: Nicht tot zu kriegen“), sollen die satirischen Karikaturen eben jene Themen ansprechen.

 „Ganz klar, die Meinungsfreiheit in Frankreich hat sich das Genick gebrochen.“ – Olivier Ménégol, Pressezeichner, im Interview mit Franceinfo

 Der Slogan „Je suis Charlie“ (dt. „Ich bin Charlie“) ging um die Welt und wurde über Nacht zum Symbol der Solidarität mit der Presse. Heute gilt: Der Anschlag sei nicht nur ein Angriff auf die Satirezeitung, sondern auf die Äußerung des freien Wortes gewesen und habe insbesondere das Verhältnis der Karikaturist*innen zum Zeichnen verändert. Seit dem Anschlag habe sich in den zehn Jahren das Zeichnen von politisch-humoristischen Karikaturen im französischen Journalismus laut des Pressezeichners Olivier Ménégol stark gewandelt, es habe sich eine wachsende Scheue bezüglich des freien Ausdrucks gebildet. Der „Geist von Charlie“ habe laut vielen Pressezeichner*innen Frankreich größtenteils verlassen. Abgesehen von den Karikaturen der Zeitschrift Charlie Hebdo würden in Frankreich, laut Ménégol, seit dem Anschlag konsensfähigere Zeichnungen veröffentlicht. Sowohl die Debatte über das Gleichgewicht von Sicherheit und Anspruch auf Pressefreiheit als auch das ständige Abwägen der Gefahr vor dem Missverständnis, welches die Karikaturen hervorbringen können, würde die journalistische Freiheit durch die daraus resultierende Vorsicht untergraben. Zwangsläufig müssten die Karikaturen vor dem Publizieren überdacht werden und die dadurch entstandene Selbstzensur beim Zeichnen verändere die Wirkung des Bildes und begrenze die Ausdrucksmöglichkeit der Presse.

„Der 7. Januar hat mich auf dem Gebiet des Ausdrucks, meiner Arbeit, des Zeichnens noch kämpferischer gemacht.“ – Coco, Pressezeichnerin für Charlie Hebdo

 In der Redaktion Charlie Hebdos gilt jedoch zehn Jahre später die Devise, weiterhin Impulse durch das Zeichnen zu setzen. Mit dem Ziel zu schockieren und Debatten anzustoßen. Dennoch hat sich bei der Zeitung in den letzten zehn Jahren viel verändert. Zahlreiche Karikaturist*innen verließen die Zeitung nach dem Anschlag und das heutige Redaktionsteam steht unter ständigem Polizeischutz. Die Zeichner*innen Charlie Hebdos möchten, dass der „Geist von Charlie“ und die Freiheit des Ausdrucks als politische Antwort auf das Attentat weitergetragen wird. Für sie sei der Anschlag keine Bremse, sondern der Anstoß gewesen, sich durch das Zeichnen im Namen der Pressefreiheit zu äußern und weiter zu kämpfen. 


Foto: Sara Walker