Wie sieht das Berliner Studierendenleben in Zukunft aus? Und was hat die Bundespolitik damit zu tun? Ein Kommentar am Wahl-Morgen über Entscheidungen und Neuanfänge.

Stellen wir uns Berlin in zehn Jahren vor: Die studentische Wohnungssuche ist in wenigen Monaten erfolgreich abgeschlossen. Parkflächen und Gebäude wurden begrünt. Niemand stirbt auf den Radwegen. Die Technische Universität hat ein Hochaus ohne Wasserschaden, das Dach der Philologischen Bibliothek in der Freien Universität ist dicht, die Zentrale Landesbibliothek wurde zusammengeführt und sitzt gut erreichbar in der Innenstadt; und die Hochschulgruppe Grünboldt hat mit der Linken Liste ihre Eichhörnchen im Vorgarten des Hauptgebäudes angesiedelt.

Alles nur kommunale Belange? Gerade die Bundespolitik hat erheblichen Einfluss auf unser aller Leben. Das obige Wunschkonzert kann die Berliner Student*in noch länger und länger spielen — aber in der aktuellen Haushaltspolitik kommen nur schiefe Noten heraus. Die Wahl für den Bundestag ist wichtig, für uns Studierende, für das Land Berlin, für Europa – keine Frage.

Vorbei sind die Zeiten eingefrorener Parteiensysteme mit stabilen Umfragewerten; und trotzdem sieht es mit den Turbulenzen nicht so schlimm aus wie in anderen Staaten. Ein Blick Richtung USA und die deutschen Wahldebatten und -arenen im Fernsehen fühlen sich an wie ein Kaminfeuer in autokratischer Eiszeit. Trotzdem betont ZEIT ONLINE diese Woche mit den Daten des Wissenschaftszentrums Berlin, dass sämtliche Wahlprogramme nach rechts gerückt sind (wenn auch in unterschiedlichen Kategorien). Was bedeutet das für eine so weltoffene Stadt wie Berlin (und was für das undichte Dach der FU, meine lieben Studierenden in Zeiten der Schuldenbremse?)

Bloß nicht in die Vergangenheit — wie wär’s mit der Zukunft?

Die Ampel zeigt, dass es nach einer progressiven Regierung nicht notwendigerweise aufwärts geht, wie auch immer dieses beschworene Aufwärts oder Vorwärts aussehen soll. Natürlich kann man jetzt darüber streiten, ob und wie die Regierung aus Grünen, SPD und FDP dafür verantwortlich gemacht werden kann – ob das überhaupt in der Verantwortung der Ampel liegt und lag, ob alle Probleme externe Kräfte waren, ob alles so komplex und international ist, wie die Politikwissenschaft behauptet. Das wird heute Abend keine Rolle mehr spielen.

Glauben wir den heutigen Umfragen, so wird heute Abend mit etwa zwanzig Prozent eine Partei in den Bundestag gewählt, die sich die Verachtung für die Humanität auf die Fahne geschrieben hat. Glauben wir den aktuellen Umfragen, dann wird ein Kandidat Kanzler, der noch vor wenigen Wochen mit den Stimmen eben jener Menschenverachter das deutsche Recht ändern wollte. Das ist ihm nicht gelungen, aber das war eine Zeitenwende — diesmal eine nationale, in unserem Parlament, wenige Meter von der Stabi und dem HU-Hauptgebäude.

Entscheiden, weit übers Wählen hinaus

Demokratie, das ist kein Elitenprojekt – das ist ein Projekt der Vielfalt, der vielfältigen Stimmen, Meinungen, Menschen. Das bedeutet auch, keine Angst an Teilhabe zu haben, etwas, das in den letzten Jahren wohl abhandengekommen ist. Sich im öffentlichen Raum zu treffen und Dinge auszuprobieren, mit Menschen, die man gerade erst getroffen hat. Wo aber kommt plötzlich der Missmut her, dieser Hass vor dem Fremden, der Fremde? Wer das Andere hasst, der hasst auch das Neue. Wie soll sich unter diesen Umständen ein Land darauf konzentrieren, was jetzt wichtig ist, und was gut?

Es muss so etwas wie ein neuer Entwurf her, was „Politik bedeutet, und dazu gehört es, eine Perspektive über die nächsten vier Jahre hinaus zu zeichnen. Es war lange nicht mehr so zentral, sich als studentische Person zu positionieren, sich zu engagieren. Für ein weltoffenes, lebenswertes Land, für eine sanierte TU, HU, FU, für die Eichhörnchen und gegen den Faschismus: Wenn nie wieder jetzt ist, und jetzt heute Abend, dann hat die eigentliche Arbeit gerade erst begonnen.

Foto: Robert Diam