Am 11. November verließ das Finanzreferat den RefRat mit einem lauten Knall in Form eines Statements, das schwere Antisemitismusvorwürfe erhob. Seitdem folgten ein Statement des RefRats und jede Menge mediale Aufmerksamkeit. Die UnAuf hat sich mit dem zurückgetretenen Finanzreferat getroffen.
Das, was das Fass schlussendlich zum Überlaufen brachte, war der unterbrochene Einstellungsprozess einer Person für die neue Beratungs- und Strukturaufbau-/Koordinierungsstelle gegen Antisemitismus. Laut dem zurückgetretenen Finanzreferat habe der RefRat den Prozess absichtlich abgebrochen. Der Einstellungsprozess einer Stelle, die sich mit Antisemitismus befasst, fällt eigentlich in das inhaltliche Spektrum des Antifaschismus-Referats. Laut den beiden ehemaligen Finanzreferent*innen, Carl und Franzi, habe das Antifa-Referat zwar in der Vergangenheit angemerkt, dass man in diese Richtung etwas machen müsse, sei jedoch nie aktiv geworden. Auch sonst lasse sich das Antifa-Referat eher selten bei den wöchentlichen RefRat-Sitzungen blicken. Es habe nie einen ernsthaften Versuch gegeben, die Stelle zu besetzen.
Carl und Franzi hätten aufgrund des Krieges im Gazastreifen eine massive Diskursverschiebung und einen immer weiter steigenden Antisemitismus wahrgenommen. So wurde die Einrichtung der Stelle für sie zunehmend zu einer Priorität. Dass es eine solche Stelle schon jahrelang nicht gegeben habe – auch nicht während ihrer Amtszeit –, sei ein Problem. Franzi erklärte: „Ich würde mich da nicht herausnehmen, dass ich mitverantwortlich bin, dass es diese Stelle nicht gibt.“ Für sie sei es zuletzt jedoch unvorstellbar schmerzhaft gewesen, dass diese Stelle nicht existiere.
Carl und Franzi hätten als Finanzreferat einen Antrag an das Studierendenparlament (StuPa) gestellt, in dem sie vorschlugen, die Einrichtung dieser Stelle übernehmen zu können. Dieser wurde angenommen. An anderer Stelle sei es jedoch schwierig gewesen, im RefRat Zustimmung zu erhalten. Der große Haken an der Sache war, dass das Finanzreferat, das auch für die Haushaltspläne verantwortlich ist, die Beratungsstelle zu Antisemitismus in der Studierendenschaft nie in den Haushaltsplan eingetragen hat. Im Normalfall bringen die einzelnen Referate Bedarfsanmeldungen an das Finanzreferat, woraufhin dieses sie in den Haushaltsplan einträgt. Derzeit seien die Studis aber „faktisch arm“. Da das Präsidium eine haushaltsrechtliche Sperre erlassen habe, sei es laut Carl und Franzi nicht möglich gewesen, die Aufwendungen für die Stelle im Haushaltsplan einzutragen.
RefRat-Mitglieder bei der Besetzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts: „Ich habe es als Katastrophentourismus wahrgenommen“
Laut Finanzreferat sei es üblich, im Fall einer Besetzung an der Universität ein Vermittlungsteam zu stellen, das in die Besetzung „reingeht“ und versucht, Gesprächskanäle zwischen Besetzer*innen und Universitätsleitung zu schaffen. Denn „wir als RefRat vertreten auch die Studis in einer Besetzung.“ Bei der Besetzung des Sozialwissenschaftlichen Instituts habe Franzi zusammen mit einer anderen Person des RefRats hierfür das Institutsgebäude betreten. Sie seien am ersten Tag der Besetzung durch das Gebäude gelaufen und hätten umgedrehte Dreiecke an Bürotüren und antisemitische Slogans entdeckt. Erst am zweiten Tag der Besetzung, nachdem die Anfrage der Besetzer*innen auf weiße Farbe von der Polizei abgelehnt worden war, um antisemitische Symbole und Schriften zu übermalen, habe es den Schriftzug „Gegen Antisemitismus“ im Gebäude gegeben.
An diesem Tag bildete sich, wie schon am ersten Tag, eine Demonstration vor dem Institut. Innerhalb des Gebäudes fand eine Diskussion mit Universitätspräsidentin Julia von Blumenthal, wissenschaftlichen Mitgliedern, der sozialwissenschaftlichen Fachschaftsinitiative des Instituts und Besetzer*innen statt. Während die Polizei Menschen, die an der Diskussion teilnehmen sollten, in das Institut ließ, sollen laut Finanzreferat Mitglieder des RefRats, die nicht wie Franzi Teil des Vermittlungsteams waren, ebenfalls in das Gebäude gelangt sein – unbefugt und ohne weitere Funktion. Außerdem seien Personen aus dem RefRat aktiv an der Besetzung beteiligt gewesen und hätten auch schon zuvor von den Besetzungsplänen gewusst. Einzelne seien aus Solidarität mit den Besetzer*innen hineingegangen, andere einfach, weil sie es „cool und spannend“ fanden. Carl nennt es „Katastrophentourismus“.
Kooperation mit antisemitischen Gruppen?
Am 7. Juli wurde das Ordnungsrecht an den Berliner Universitäten wieder eingeführt, das unter anderem die Zwangsexmatrikulation von Studierenden nach Straftaten ermöglicht (die UnAuf berichtete). Der RefRat stellte sich dagegen. Es kam in einer Versammlung, unter anderem mit dem Bündnis „Hands Off Student Rights“, zu gemeinsamen Gesprächen. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss des StuPas verhinderte jedoch die weitere Kooperation mit Gruppen des Bündnisses, zu denen unter anderem „Zora“, „Klasse gegen Klasse“ und „Young Struggle“ gehören. Dass die letztgenannte Gruppe den Überfall der Hamas in Israel als „Freiheitskampf“ bezeichnet hatte, stieß den Mitgliedern des Studierendenparlaments übel auf – nicht so den RefRat-Mitgliedern, zumindest wenn man dem zurückgetretenen Finanzreferat Glauben schenkt.
Antisemitismus als strukturelles Problem
Wie Franzi und Carl im Gespräch mit der UnAuf klar machten, kam es sowohl auf zwischenmenschlicher als auch auf struktureller Ebene immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. „Als jüdische Person wüsste ich nicht, ob ich das ausgehalten hätte“, sagt Franzi. Sie erzählt, dass ein Mitglied in einer RefRat-Runde, als sie mitteilte, sie würde für ein Erasmus-Semester nach Israel gehen, prompt antwortete: „Dann kannst du ja ein Selbstmordattentat begehen.“ Von wem genau die Aussage kam, möchte sie nicht sagen. Sie habe Angst gehabt. Auch Carl stimmt ihr zu: „Die haben meine Adresse, ich möchte nicht, dass die im Verteiler rumgeschickt wird.“
„Generell bestand bei uns in den Plena meistens Konsens, wenn es um andere Formen der Diskriminierung geht“, beschreibt Franzi. „Wir sind klar gegen Rassismus, Polizeigewalt … aber bei Antisemitismus war es plötzlich nicht mehr so klar.“ Carl räumt ein: „Keine Debatte, auf die wir zurückblicken, ist akzeptabel verlaufen, wenn wir Antisemitismus angesprochen haben.“ So verlief es beispielsweise bei der Formulierung eines Statements des RefRats, das sich auf die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften bezog. „Den Absatz zu den antisemitischen Schmierereien im Statement komplett zu streichen, wäre in der Sitzung konsensfähig gewesen, hätten Carl und ich nicht dagegengehalten“, sagt Franzi. Auch habe es laut Carl „laute Stimmen“ gegeben, die nicht gewollt hätten, dass sich der RefRat gegen „alle Formen“ von Antisemitismus positioniert. Generell habe es Aussagen gegeben, die das Vorhandensein von Antisemitismus in verschiedenen Situationen infrage gestellt hätten.
Resonanz auf das Statement/Fazit
Auf die Frage, wie ihr Umfeld auf die Rücktrittserklärung reagiert habe, antwortete Franzi: „Eigentlich nur positiv.“ Es habe auch viel Zuspruch von jüdischen Student*innen gegeben. Der Rücktritt des Finanzreferats sei nicht das Ergebnis eines „fetten Skandals“, sondern eines subtilen und strukturellen Antisemitismusproblems. Und auch wenn es einige Stimmen gegen Antisemitismus im RefRat gegeben habe, seien diese über die Jahre weniger geworden und letztendlich (fast) ganz verstummt.