Noch immer spüren junge Menschen aus dem Osten Deutschlands strukturelle Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Sie wurden von den Biografien ihrer Eltern aus der DDR-Zeit geprägt – gleichzeitig begegnen ihnen noch immer viele Stereotype über den Osten. (K)Einheit greift genau diese Ambivalenzen der Generation Z aus dem Osten auf und verarbeitet diese in einem Dokumentarfilm. Darüber sprach die UnAufgefordert mit den beiden Initiatorinnen des Projekts – Lisa Trebs und Vanessa Beyer.

UnAuf: Im Mittelpunkt eures Dokumentarfilms steht unter anderem die Ostdeutsche Identität – warum ist diese Thematisierung nach 32 Jahren Deutscher Einheit immer noch so wichtig? 

Lisa & Vanessa: Auch wenn wir beide Deutschland nur als Einheit kennen, prägen uns die Erfahrungen und Erzählungen unserer Eltern und Großeltern. Im Austausch mit Gleichaltrigen aus den alten Bundesländern wird deutlich, dass es immer noch ein vorherrschendes Bild von Menschen, die im Osten aufgewachsen sind, gibt. Es existieren Unterschiede – im Kopf, aber auch reell. Wir wollen einerseits mit diesen Stereotypen über den Osten brechen, andererseits wollen wir jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen. Tatsächlich haben wir das Gefühl, mit diesem Thema einen Nerv in unserer Generation getroffen zu haben.

Wann und in welchem Kontext habt ihr euch zum ersten Mal mit eurer eigenen ostdeutschen Identität auseinandergesetzt? Was bedeutet sie? 

Vanessa: Ich denke, für mich war ein wichtiger Schlüsselmoment, als es zu den rechtsextremen Ausschreitungen im Jahr 2018 in Chemnitz gekommen ist. In dieser Zeit habe ich in Berlin gelebt und mir wurde bewusst, wie der Osten in anderen Teilen von Deutschland wahrgenommen wird – da fiel sehr oft das Wort Dunkeldeutschland”. Rechte Tendenzen sind ein reales Problem, aber besonders in Chemnitz habe ich auch engagierte Menschen getroffen, die sich für demokratische Werte und das Kulturleben der Stadt einsetzen. Diesen Drive habe ich zuvor in keiner anderen Stadt erlebt. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich aktiv dafür eingesetzt, ein anderes Bild von Sachsen zu prägen. Mein Bewusstsein über den Osten und seine vielfältigen Facetten sind damit erwacht. Ich erlebe einen stetigen Aushandlungsprozess zwischen familiären Erzählungen der Vergangenheit und meinen eigenen Erfahrungen mit der Einheit. Aber auch zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen demokratischem Engagement und rechter Realität, zwischen ostdeutscher Sozialisation und westdeutscher Gesellschaft.

Lisa: Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Sachsen, wollte ich nach dem Abi einfach nur weg. Bis ich 18 Jahre alt war, ging mein Horizont nie viel weiter als die „Neuen Bundesländer. Selbst im Sommerurlaub sind wir jedes Jahr, wie meine Eltern schon zu DDR-Zeiten, an die Ostsee gefahren. Also ging es für mich als AuPair nach Irland und für das Studium nach Dänemark. Immer wenn ich auf andere Deutsche getroffen bin, kamen sie aus München, Hamburg, Frankfurt am Main – nie aus Ostdeutschland. Das machte mich stutzig. Auch im Austausch mit ihnen und durch Freundschaften hinweg, wurde deutlich, dass meine Kindheit anders geprägt war, und dass ich andere Werte vermittelt bekommen habe. Aber eben auch, dass strukturelle Unterschiede und andere Perspektiven für junge Menschen aus dem Osten vorherrschen. Sonst gäbe es mehr junge Ostdeutsche, die eine ähnliche Biografie einschlagen würden wie ich. Gleichaltrige Westdeutsche treten oft selbstbewusster auf und sind sich häufig mehr über ihre Karrierechancen bewusst. Das ist natürlich intersektionell bedingt. Auch Arbeiterkinder aus dem Westen können diese Wissensgap haben, allerdings sind ostdeutsche Haushalte überproportional davon betroffen, da unsere Elterngeneration ein neues politisches, aber auch wirtschaftliches System erlernen musste. Mir ist es wichtig zu zeigen: Nicht nur meine Eltern sind von diesem Systemwandel betroffen, sondern auch meine Generation. Für mich ist es eine transgenerationale Weitergabe von Erfahrungen und teilweise auch Traumata.

Durch dieses Gefühl des irgendwie Anders-Seins in der Ferne fühle ich mich heute zwar verbundener mit meiner Herkunft, gleichzeitig habe ich durch die rechten Tendenzen und Rassismus im Osten ein ambivalentes Verhältnis zu meiner Heimat.

Welchen Diskurs über Ostdeutschland und den Wiedervereinigungsprozess würdet ihr euch in der deutschen Öffentlichkeit wünschen?

Lisa & Vanessa: Wir würden uns wünschen, dass der Osten in all seiner Vielfalt betrachtet wird. Im Laufe unseres Projektes haben wir Menschen mit wundervollen Biografien kennengelernt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gleichzeitig war es uns ein wichtiges Anliegen, jungen Menschen mit Migrationserfahrung einen Raum zu geben, deren Eltern bereits seit der DDR in Deutschland leben und die ein wichtiger Teil der ostdeutschen Realität sind. Ebenso wünschen wir uns, dass Pauschalisierungen über den Osten keinen Platz mehr im Diskurs haben und besonders Rassismus und rechte Tendenzen als gesamtgesellschaftliches Problem begriffen werden. Ostdeutsche Perspektiven sollen nicht mehr am Rand der Gesellschaft stattfinden. Diskurs muss auf Augenhöhe stattfinden.

Glaubt ihr, es braucht dafür einen „ostdeutschen Aktivismus“? 

Lisa & Vanessa: Der Begriff des ostdeutschen Aktivismus könnte schnell polarisiert werden, weshalb wir glauben, dass es für uns sinnbildlicher ist, von einem ostbewussten Aktivismus zu sprechen. Für ein Verständnis der Geschichte der Neuen Bundesländer”, für das Bewusstsein über Probleme, wie Rassismus und Rechtspopulismus, aber auch Chancen, wie den Unternehmergeist und den Aktivismus vieler junger Menschen.

Was war der Anstoß für das Projekt (K)Einheit? 

Lisa & Vanessa: Wenn wir uns an etwas stoßen, möchten wir es verändern. Über strukturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland herrscht zwar schon seit der Wiedervereinigung ein gewisser Diskurs, dieser bleibt aber häufig oberflächlich. Bücher und Artikel, die das Leben junger Menschen im Osten thematisieren und aus deren Perspektive berichtet werden, haben uns zum Projekt motiviert.

Was sind eure Visionen für (K)Einheit? Wie soll es mit und nach dem Film weitergehen? 

Lisa & Vanessa: Schon jetzt ergeben sich viele Synergien mit Projekten von Künstler*innen und Vereinen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Diese wollen wir im kommenden Jahr nutzen und schauen, wo die Reise mit (K)Einheit hingeht. Wir fühlen uns bestätigt, dass das Projekt so viel Zuspruch erhält. Am meisten freuen wir uns jetzt aber auf die Ausstrahlung des Dokumentarfilms Mitte nächsten Jahres in Chemnitz. Es lohnt sich auf jeden Fall, unseren Insta-Channel @k.Einheit zu abonnieren, um auf dem Laufenden zu bleiben!


Foto: Stephanie Beetz