Mit „Too Hot to Handle“ verspricht Netflix augenscheinlich Reality TV, das die Zuschauer*innen durch heiße Kandidat*innen und sexuelle Freizügigkeit an ihre Grenzen bringen soll. Unerträglich macht das Format aber vor allem sein zutiefst konservativer Grundriss.

„Ab jetzt gehört sie mir.“ Das sagt der sonst so frech grinsende Tobias in die Kamera, nachdem er im Schnittbild zuvor Stella geküsst hat. Es ist nach gut 30 Minuten einer der ersten Gänsehautmomente in der deutschen Ausgabe von „Too Hot to Handle“.

Die Härchen stellen sich mir allerdings nicht vor Rührung auf, sondern vor Ekel angesichts  dieser patriarchalen Sichtweise auf Frauen. 

Aber fangen wir von vorne an: Die Netflix-Serie, die in ihrer englischsprachigen Ursprungsversion bereits in die vierte Staffel geht, feierte am 28. Februar erstmals auch mit deutschsprachigen Teilnehmer*innen Premiere. In dem Reality TV-Format geht es, laut Netflix, darum, ein paar betont geile Singles für mehrere Wochen auf einer Insel zusammenzupferchen, ohne dass sie sich selbst oder gegenseitig anfassen dürfen; natürlich alles im Namen der wahren Liebe. Falls die nicht Anreiz genug ist, lockt darüber hinaus ein Preisgeld in Höhe von 200.000 Euro sowie eine wichtigere Währung – neue Follower*innen für die Social Media-Karriere.

Auf der Insel sind die Teilnehmer*innen aber auch ohne größere Online-Gefolgschaft schon Stars. Zumindest bekommt man diesen Eindruck, da alle in Ekstase verfallen, sobald eine neue Kandidatin oder ein neuer Kandidat in Zeitlupe und mit laszivem Blick die Bühne der Netflix-Produktion betritt. 

Wie viel von der Theatralik echt ist und wie viel Regieanweisung, lässt sich nur schwer sagen. Es gibt aber auf jeden Fall eine Menge Emotionen, die teilweise hölzern wirken. So brüllt Playmate Stella direkt in die Runde: „OH MEIN GOTT, SEID IHR ALLE HEIß. Darf ich bitte mit euch allen rummachen?“ (Spoiler: Ja, sie darf mit ziemlich vielen schon in der ersten Folgen rummachen, an deren Ende predigt zum Schock der Teilnehmer*innen aber die sprechende Vase Lana Enthaltsamkeit und verhängt unter Androhung von Geldstrafen ein Sexverbot.) 

Zuvor stellen sich aber erstmal alle Zehn brav vor, wobei sich ein ziemlich einheitliches Bild abgibt: selbstbewusst, hot, horny, beziehungsscheu und stolz darauf. Ohne großen Kontext entstehen dann vor dem Green-Screen Sätze wie „Ich liebe Sex. Ohne Sex hätte ich kein Lächeln.“ (Dennis) oder „Mein Motto ist Eat, Sleep, Fuck, Repeat. Ich hab‘ noch nie einen Korb bekommen, weil ich bin jung, gut-aussehend und sexy.“ (Akka) Auch die Frauen betonen, dass sie vor allem Wert auf Körperlichkeiten legen. “Wieso sind eigentlich Frauen, die gerne Sex haben Schlampen? Ich bin doch keine Schlampe. Ich bin einfach nur Genießerin.“ (Laura)

Was auch die restlichen fünfzig Minuten vor den Zuschauer*innen ausgebreitet wird, sind zehn Männer und Frauen, die gern Sex haben und kein Problem, sich darauf reduzieren zu lassen. Soweit so normal, denn von diesem Prinzip lebt Unterhaltungsfernsehen: Menschen, die für ein paar Minuten Ruhm bereit sind, zu einer Karikatur ihrer selbst zu werden, damit die Zuschauer*innen sich besser fühlen – ein abwärts gerichteter Vergleich also. Oder wie eine Freundin mir schreibt: Es ist wie ein Unfall. Es ist grausam, aber kann auch nicht wegschauen.

So richtig grausam wird’s dann tatsächlich bei der Vorstellung von Tobias. Denn der entscheidet sich, das hier zu sagen: “Alexa … das ist wenigstens mal  `ne Frau, die ohne ‚wenn‘ und ‚aber‘ auf mich hört.” Er fällt auch später noch mehrmals mit abwertenden Aussagen über Frauen auf. Und da frage ich mich schon, wie in einer Serie neben den üblichen dummen Reality TV-Aussagen etwa ein Smart Home Speaker ohne eigenen Willen ganz selbstverständlich als die ideale Frau bezeichnet werden darf. Oder wie es einfach so unkommentiert stehen bleibt, dass ein Mann Besitzanspruch auf eine Frau erhebt, nur weil er sie attraktiv findet. Oder dass man etwas aus Frauen „rauskitzeln“ müsse (laut Tobias). Auf den ersten Blick passt das nicht zu der sexuellen Offenheit, die „Too Hot to Handle“ vorgibt, darzustellen.

Vorgibt. Denn schiebt man die Nacktheit und das Rumgeknutsche zur Seite, ist das Grundprinzip von „Too Hot to Handle“ eigentlich doch ziemlich konservativ. Obwohl die Kandidat*innen mehrmals betonen, dass sie ihren derzeitigen Lifestyle genießen, wird in der Serie davon ausgegangen, dass sie nur deshalb Sex mit wechselnden Partner*innen haben, weil sie sich nicht auf die eine ganz große Liebe einlassen können. Die rettende Maßnahme heißt demnach Enthaltsamkeit. Nur so – das erzählt zumindest Lanas Computerstimme in der Serie – könnten sie sich doch noch öffnen und mit einer monogamen Beziehung zu einer besseren Version ihrer selbst und zu einem glücklichen Leben avancieren.

Ob das tatsächlich funktioniert, kann mensch sich in neun weiteren Folgen auf Netflix anschauen. Mir reichen die ersten fünfzig Minuten.


Illustration: Céline Bengi Bolkan