Unsere Autorin Natalia stellt euch vibrierende, inspirierende und talentierte junge Künstler*innen, Kollektive und andere freie und unabhängige Kunstschaffende vor — die new wave. In dieser Ausgabe spricht sie mit Elin Laut (they/them/Elin) darüber, warum das Kostümbild als Kunst und Aktivismus eine Chance darstellt heteronormative Strukturen zu durchbrechen.

Am meisten fasziniert Elin die Arbeit mit entfremdeten Materialien, der Moment, wenn sich Körper und Material zu etwas Skulpturalen und doch Organischem verbinden, darin sieht dey den Bruch mit festgefahrenen Normen im Kostümbild, wo Kleidung immer noch zu oft klar gecodet eingesetzt wird und ausschließlich binäre Geschlechterrollen repräsentiert. Durch das Medium der Performance sensibilisiert dey die Wahrnehmung queerer Körper und queerer Kostüme.

This overall ambiguity positions itself outside the binary system: The costume design creates a space in which a queer utopia can be imagined without culturally defined boundaries of gender and sexuality.” – Elin

Elin Laut
Elin Laut positioniert ihre Kostümbilder als Performance gegen Weiße- und cis-dominierte Theaterinszenierungen. Foto: Elin Laut

Elins Background liegt in der Theaterwissenschaft und dey hat sich intensiv mit Performance auseinandergesetzt. Deswegen hat dey den Anspruch, dass die künstlerische Arbeit eine inhaltliche Ebene transportiert, eine Art visuelle Kommunikation ist. Theater ist ein politisches Medium, findet Elin, und Diskriminierung kann auch im Kostüm reproduziert werden, oder gegen Diskriminierung angehen. Deshalb findet Elin ist jedes Theaterstück per se politisch, egal wie sich die Regie positioniert.

 

 

Die Bühne kann ein Ort für Interpretation und künstlerische Freiheit, aber auch ein Ort für Fehl-Inszenierungen und sogar Diskriminierungen sein. Hast du damit Erfahrungen gemacht?

Ich beobachte oft unnötige Gewaltdarstellungen gegen weiblich-einkategorisierte und transweibliche Körper, genauso wie das Reproduzieren von Rassismen — zum Beispiel, dass das N-Wort weiterhin auf der Bühne benutzt wird, oder dass rassistische Stereotype oder Elemente kultureller Aneignung im Kostümbild zu finden sind. Ich finde, auf der Bühne könnte Rassismus anders kritisch dargestellt werden. Es könnte zum Beispiel gehighlightet werden, dass Diskriminierung ein gesellschaftliches, sowie strukturelles Problem ist, ohne die Diskriminierung auf der Bühne ständig zu reproduzieren. Aus meiner eigenen Perspektive kann ich beispielsweise sagen, dass homo- und transfeindliche, sowie sexistische Diskriminierung mir tagtäglich auf einem ganz unterschwelligem Level begegnet. Es wird zu wenig im Theater thematisiert, dass Diskriminierung ein strukturelles Problem ist.

Meinst du, dass das Trauma selbst, welches diskriminierte Menschen erfahren und wie sie damit weiterleben, zu wenig thematisiert wird?

Ich wünsche mir vor allem, dass Menschen nicht nur auf ihr Trauma reduziert werden, und somit ihre Selbstbestimmung verlieren, sondern dass Diskriminierung und Machtverhältnisse differenzierter dargestellt werden. Ich finde es auch problematisch, dass es kaum Triggerwarnungen gibt. Ich war oft in Stücken und musste mitansehen, wie eine Vergewaltigungsszene total grafisch dargestellt wurde, ohne dass vorher darauf hingewiesen wurde. Diese Hinnahme „Wir zeigen das jetzt einfach“ geht doch schon von einem cis-männlichen Publikum aus, das von dieser Form der Gewalt real weniger betroffen ist und daher womöglich nicht getriggert wird. Aber auch der ganze Aufbau des Theaters, das Konstrukt, das Haus, die vorherrschenden Hierarchien sind problematisch. Wir wissen, dass immer noch hauptsächlich alte, weiße und diskriminierungsunkritische cis-Männer die Theaterhäuser in Deutschland leiten und dass die Ensembles überwiegend weiß und cis sind. Es findet natürlich Veränderung und Entwicklung statt, aber marginalisierte Perspektiven fehlen auf den Bühnen immer noch.

Wie ist es im Kostümbild? Sind die Strukturen da ähnlich? Und wie hat sich die Initiative „critical.costume“ gebildet?

„critical.costume“ haben wir zu fünft als Kostümbildstudierende gegründet: Louise-Fee Nitschke, Jule Posadowsky, Sarah Seini und Leyla Liyanova und ich. Auch deshalb, weil Kostümbildner*innen zum Beispiel schlechter bezahlt werden als Bühnenbilder*innen, obwohl es ähnliche kreative Arbeitsprozesse sind und eigentlich der Workload ziemlich auf das Gleiche hinauskommt. Der einzige Unterschied ist, dass der Bereich Bühnenbild cis-männlich dominiert ist, während an einem Kostümbild meistens ausschließlich  FLINTA*-Personen beteiligt sind. Es handelt sich also um eine gender pay gap.

“In meinen Performance- und Videoarbeiten bedeutet queering für mich, dass ich mit Perspektiven spiele und versuche, gegen den vorherrschenden ‘male gaze’ zu gehen.” – Elin

 

Was ist die Idee hinter „critical.costume und wie engagiert ihr euch?

Wir haben die Initiative gegründet, um für Kostümbilder*innen ein Netzwerk zu schaffen, in dem wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können. Es ist eine Art Plattform für self empowerment. Wir wollen Missstände aufklären: Im Gespräch kommen wir immer wieder an den Punkt, dass wir alle ähnliche Erfahrungen machen. Zum Beispiel denken Schauspieler*innen oft, dass wir für sie arbeiten, sprich eine Dienstleistung für sie erfüllen — obwohl wir Teil des künstlerischen Kernteams einer Produktion sind. Wir sind Künstler*innen mit eigenen künstlerischen Identitäten. Wir leisten nicht selbstverständlich Care-Arbeit, auch wenn wir so nah an Körpern arbeiten. All diese Probleme haben uns dazu geführt einen Open Call zu starten, und Kostümbildner*innen dazu aufzurufen, uns Zitate zukommen zu lassen, die sie im Bezug auf ihre Arbeit schon zu hören bekommen haben. Wir waren überrascht, wie viele Nachrichten uns erreicht haben – als würden alle nur auf diesen Moment warten, endlich das loswerden zu können, was sich angesammelt hat. Wir sind jetzt eine Community und das stärkt natürlich.

In deinen Arbeiten finden sich Pastelltöne, gewebte und seidige Materialien — das Bild, das du dadurch kreierst, wirkt schon fast surreal, traumhaft und doch organisch und lebhaft. Was ist die Geschichte hinter diesem ästhetischen Konzept?

Kostüme
Foto: Elin Laut

Kunst ist für mich eine Art Aktivismus, und ich möchte auch, dass meine künstlerische Arbeit so verstanden wird. Ich versuche mit meinem Kostümbild gegen vorgegebene Normen zu gehen. Meine Kostüme sollen zwar radikale Botschaften kommunizieren, aber dabei ohne die mit Radikalität assoziierten maskulin-konnotierten Farben und Formen auskommen, sondern sich ‘softness’ politisch aneignen. Auch möchte ich vorgegebene Dresscodes, die an binäre Gendergrenzen gebunden sind, brechen. Warum sind hohe Schuhe nur für weiblich-gelesene Darstellende auf der Bühne Standard? Und ich möchte sichtbar machen, dass Kostümbild ein künstlerisch-handwerklicher Beruf ist — ich interessiere mich beispielsweise für Weben, Stricken, Nähen, skulpturale Techniken, und fertige die Kostüme gerne selbst an. Der Herstellungsprozess wird dabei zum Thema. Generell steht hinter jedem Kostüm körperliche Arbeit und ein langer künstlerischer Entwurfsprozess. Außerdem spielt queere Praxis eine wichtige Rolle für mich.

Elin Laut
Foto: Elin Laut

Für mich heißt das einerseits genderfluide Kostüme zu entwerfen – aber auch Materialien wie PVC, Schaumstoff, Gewebe und technische Stoffe aus ihrem eigentlichen Kontext zu nehmen und sie zweckentfremdet an den Körper zu bringen. Das ist unkonventionell und genau das bedeutet queering für mich. Meine kostümbildnerischen Arbeiten besetzten dabei den Raum zwischen Kleidung und Skulptur. In meinen Performance- und Videoarbeiten bedeutet queering für mich, dass ich mit Perspektiven spiele und versuche, gegen den vorherrschenden ‘male gaze’ zu gehen. Es geht um interaktive Begegnung, Intimität und Immersion.

 

 

Queer bodies and garments should instead stand independently for themselves, coexist equally, and at points enter into a relationship of tension.” — Elin

 

Oft hat ein Theaterbesuch einen archaischen Nachgeschmack — kennst du auch dieses Gefühl? Woher kommt das? Was ist anders an Performancekunst?

Was mich interessiert an Performance ist die nonverbale Kommunikation. Ich mag Performances, die durch Kostüm und Körper eine Atmosphäre kreieren, die die Zuschauer:innen auf ihre individuelle Art verstehen. Das macht das Ganze für mich viel spannender, lebendiger und nicht so erdrückend wie im “klassischen” Theater. Ein Theaterbesuch setzt außerdem oft einen gewissen intellektuellen Hintergrund voraus, um die sprachlichen und intertextuellen Codes zu verstehen, was dem Theater auch wieder etwas exklusives gibt. Auch der Aufbruch der strikten Trennung von Bühne und Zuschauer:innenraum ist ein wichtiges Thema für mich. Diese Freiheit gibt es am Theater kaum bis gar nicht, während die Performancekunst genau diese Hierarchie aufbricht, und dadurch immersiver wirken kann.


Elin studiert Kostümbild an der UdK, gründete zusammen mit anderen Kostümbildner:innen das Network critical.costume , macht  auf die toxische Beautyindustrie auf Social Media aufmerksam und hat ein Musikvideo zur Band Klitclique gedreht, wofür dey sich als cis-Mann verkleidet und sich im Manspreading ausprobiert hat. Momentan arbeitet Elin an einem cyberfeministischen Kurzfilm.

https://elin-laut.com/

https://www.instagram.com/elinlaut/

#newwavex

Foto: FLY:D