Miro Dittrich ist Rechtsextremismusforscher und Mitbegründer des Forschungszentrums CeMAS, das menschen- und demokratiefeindliche Phänomene im digitalen Raum beobachtet und analysiert. Mit der UnAuf spricht Dittrich über rechts-alternative Online-Medien und darüber, was der klassische Journalismus in der Berichterstattung über Rechtsextremismus verbessern muss.

UnAuf: Du warst Leiter des Projektes „de:hate‟ der Amadeu Antonio Stiftung, das die zentrale Ansicht vertritt, dass der digitale Raum das wichtigste Propagandamedium für Rechtsextremist*innen und -populist*innen darstellt. Warum seht ihr das so?

Miro Dittrich: Zum einen liegt das an der preisgünstigen Möglichkeit, Inhalte zu produzieren. Früher war es sehr aufwendig und mit hohen Kosten verbunden, Magazine zu drucken. Und zum anderen war es auch komplizierter, seine Zielgruppe zu erreichen. Das Digitale ermöglicht es jetzt, Inhalte zu produzieren und diese über Social Media in den entsprechenden Kanälen zu bewerben.

Außerdem gab es auf dem Medienmarkt bisher nicht die klassisch rechtsextremen Magazine in der großen Größe — jedoch eine sehr große Nachfrage, die jetzt bedient werden konnte, was zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen in Deutschland doch verbreiteter sind, als gedacht.

Was sind aktuell die Top-Plattformen der rechtsextremen Szene?

Die Trendplattform, auch wenn das nicht mehr wirklich neu ist, ist auf jeden Fall Telegram. Das ist die wichtigste Plattform für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen, vor allem aufgrund der laschen Moderationspolitik. Die großen Plattformen haben nachjustiert und setzen die Gemeinschaftsrichtlinien etwas stärker um, was dazu geführt hat, dass viele Menschen die klassischen Plattformen als digitale Heimat verloren haben und sich gerade Rechtsextreme Alternativen suchen, um ihre Inhalte zu verbreiten.

Was oft als Social Media Plattform weggelassen wird, ist Youtube, obwohl sie eine der wichtigsten Plattformen für die Szene ist. Auf Telegram erreicht man zwar eine bestimmte Zielgruppe, die bereits eine stärkere Radikalisierung erfahren hat, aber man erreicht sehr schwer neue Leute. Das muss auf den Plattformen geschehen, auf denen die Leute aktiv sind. Youtube nutzen viele Leute und der Algorithmus der Plattform funktioniert sehr gut. So ist es für rechtspopulistische, verschwörungsideologische und rechtsextreme Inhalte sehr leicht, dort an neue Leute zu kommen und dann einen Link zu Telegram zu teilen, wo die eigentlichen Inhalte veröffentlicht werden.

In der Veröffentlichung „Alternative Wirklichkeiten‟ der Amadeu Antonio Stiftung sprecht ihr von „Alternativ-Journalisten‟, die behaupten „ehrlichen Journalismus‟ zu betreiben. Durch was zeichnen sich solche „Alternativ-Journalisten‟ aus und welche Medienstrategien nutzen sie?

„Alternativ-Journalisten‟ zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie journalistische Standards nicht befolgen. Sie machen selten klar, aus welcher Richtung sie kommen und wer sie finanziert. Sie verfolgen nicht die klassischen, ganz einfachen Prinzipien wie Stellungnahmen von beiden Seiten einzuholen. Das Grundhandwerk des Journalismus spielt dort keine Rolle, stattdessen wird auf Emotionalisierung gesetzt. Man kritisiert die „normale‟ Presse als Lügenpresse, aber Standards wie Wahrhaftigkeit werden selbst wenig durchgesetzt. Korrekturen werden intransparent gestaltet oder finden einfach gar nicht statt.

Du hast die Standards klassischer Journalist*innen angesprochen. Wie steht es um die Berichterstattung zum Thema Rechtsextremismus?

Klassische journalistische Standards befolgen zu wollen, kann in Bezug auf Rechtsextreme problematisch sein. Wenn man es mit Propagandisten zu tun hat, ist es oft weniger dringlich, eine Stellungnahme von diesen Leuten einzuholen, weil man eben Propaganda bekommt. Oft lohnt sich die Stimme von rechtsextremen Beiträgen nicht.

Zum anderen ist die Frage des Zitierens kompliziert – inwiefern berichtet man über Inhalte Rechtsextremer und verbreitet diese weiter? Wir haben das bei der Identitären Bewegung gesehen, dass bei jeder Aktion die Bilder übernommen und sehr groß dargestellt wurden.

Findet dadurch vielleicht sogar eine Überhöhung der rechtsextremen Szene statt?

Auf jeden Fall sehen wir das immer wieder. Natürlich soll fair berichten werden, aber wenn es Journalist*innen mit Verfassungsfeind*innen zu tun haben, muss auch klar sein, dass sie sich durchaus demokratisch positionieren können. Es geht hier nicht um irgendeinen Akteur, sondern um Menschen, die eine konkrete Gefahr für die Demokratie darstellen.

Die Digitalisierung von Journalismus hat grundsätzlich sehr viele positive Effekte. Nicht nur Rechtsextreme haben jetzt eine Plattform, sondern auch viele andere Menschen, die vielleicht vorher marginalisiert waren. Die Strukturen im Digitaljournalismus sind aber auch so, dass die Abhängigkeit von Clicks Druck hin zu einer sensationellen Berichterstattung erzeugt. Und natürlich ist es geil, wenn du für deinen Bericht über einen Rechtsextremisten ein Bild von ihm hast – in voller Montur, möglichst gefährlich und edgy aussehend. Doch das ist eine Leistung, die man hier für Rechtsextreme macht, die nicht notwendig ist.

Gibt es Entwicklungen oder Phänomene im Netz, die dich als Rechtsextremismusforscher stutzig machen?

Stutzig macht mich vor allem die geringe Lernfähigkeit des Journalismus. Der digitale Raum ist noch immer ein großes Mysterium für viele Journalist*innen. Teilweise findet Berichterstattung fern jeglicher Realität statt. Beispielsweise zum Thema Bots: Wissenschaftlichen Analysen zeigen, dass es hier einfach kein weit verbreitetes Phänomen ist. Trotzdem wird das Thema Bots in der Berichterstattung immer mit Online-Phänomenen wie Hate Speech verknüpft, obwohl zumindest in Deutschland keinerlei Bot-Kampagnen stattgefunden haben, die irgendeinen Einfluss hatten.

Es ist außerdem frustrierend, wenn Namen von Tätern, von rechtsextremen Terroristen genannt, wenn Bilder von ihnen reproduziert, wenn direkte Zitate aus Manifesten geteilt werden. Vor allem, wenn man dachte, dass wir eigentlich schon ein bisschen weiter im Gespräch gewesen wären. Im digitalen Raum von Nazis verwundert mich eigentlich wenig. An die Menschenfeindlichkeit gewöhnt man sich. Da ist man schnell ganz unten angekommen.

Welche Tipps kannst du Nutzer*innen von Social Media Plattformen im Umgang mit rechtsextremen Inhalten geben?

Am wichtigsten ist erst einmal der Selbstschutz. Das heißt, zu überprüfen, welche persönlichen Informationen öffentlich zugänglich ist. Ist mein Wohnort oder mein Beziehungsstatus öffentlich? Wie viel teile ich eigentlich? Man sollte sich darüber Gedanken machen, inwieweit man sich selbst angreifbar macht.

Zum anderen ist die alte Internetregel „Don’t feed the trolls‟ zwar nicht mehr ganz aktuell, dennoch sollte man darüber nachdenken, dass Algorithmen Interaktionen belohnen. Ist es also beispielsweise notwendig Quote-Tweets von Personen zu teilen, die man dadurch erst sehr stark hochstilisiert? Ähnlich ist es bei Kommentaren. Viel mit Rechtsextremen zu interagieren, führt einfach dazu, dass sie algorithmisch besser ausgespielt werden. Wir sollten uns eher mit den Gemeinschaftsstandards von Plattformen auseinandersetzen und dann gezielt Dinge melden. Und statt regelmäßig Fakten gegen rechtsextreme Desinformation zu teilen, uns mit den betroffenen Personen solidarisieren.

Es ist wichtig, die digitalen Räume nicht den Rechtsextremen und Verschwörungsideologen zu überlassen. Man sollte aber dennoch ein bisschen gezielter mit dem Thema interagieren als „Ich habe jetzt gerade irgendwas schlimmes gesehen und muss das jetzt sofort teilen und mich darüber aufregen.‟ Das ist weniger hilfreich.


Foto: Miro Dittrich

Dieser Text ist in der UnAufgefordert #261 zum Thema „www.journalistische-verantwortung.de“ im August 2022 erschienen.