Wenn ich eine Sache am Internet wirklich abgrundtief verabscheue, dann sind es Kommentare. Kommentare jeglicher Form, auf egal welcher Plattform, unter egal welchem Beitrag.

Jedes Mal, wenn ich durch die Kommentarspalte einer beliebigen Social-Media-Seite scrolle, stellt sich alles in mir auf Ablehnung und es endet meist in bitterer Verzweiflung, Fremdscham und üblen Kopfschmerzen. Nirgendwo sonst offenbart sich die Begrenztheit des Menschen so stark wie in den Kommentaren, die er verfasst.

Hasskommentare sind ja schon ein länger bekanntes Problem, um das sich Deutschland auch sehr ernst- und gewissenhaft kümmert – nicht. Aber wer immer noch denkt, dass im Internet alles erlaubt und jede*r anonym ist, ist zu 99 Prozent Ü40, hetero, männlich und hat nicht alle Buchstaben beisammen. Das sind diese sogenannten Boomer, die keine Maske tragen und sich vom bösen Staat keine Chips implantieren lassen wollen. Wird etwas dagegen gesagt, fordernd sie schreiend ihr Recht auf Meinungsfreiheit. Dabei weiß jeder vernünftig denkende Mensch, dass menschenverachtende Inhalte keine Meinung sind. Das höchste Fremdschamlevel ist aber noch nicht bei diesen Kommentaren erreicht. Was einen Schauer meinen Rücken runterlaufen lässt, sind Kommentare à la „Ich, 45, jahrelange Berufserfahrung in Job xy, kann sagen, dass das ja ganz anders ist.“ Oder noch besser: „Habe das noch nie so erlebt.“ Natürlich, du, 45, bist das völlig valide Ergebnis einer Doppelblindstudie, die besagt, dass exakt deine Situation alle anderen ähnlichen Situationen akkurat widerspiegelt. Allein deine Expertise zählt. Und außerdem: Inwiefern gibt eigentlich das Anführen der ersten Person Singular und Alter dem darauffolgenden Sachverhalt Rechtfertigung und gleichzeitige Evidenz? Merkst du selbst, mh?

Und noch ein Level höher auf der Fremdschamskala: wenn vermeintliches Lob verteilt wird. Angefangen mit dem „Meine Liebe/Liebes/Hübsche“ (wie übergriffig!) gefolgt von „das machst du aber ganz ganz toll!“ Oder einem ewig langen Erfahrungsbericht, wie dieses Video wirklich grundsätzlich das ganze Leben verändert hat.

Das aller, aller Schlimmste jedoch ist, dass die Kommentarfunktion eigentlich nichts anderes zulässt. Es scheint, als würde jedes Wort in Kommentarform gepresst seine Ernsthaftigkeit verlieren. Mir ist es schon so oft passiert, dass ich einen Artikel, oder was auch immer, gut fand und das mitteilen wollte, einen Satz tippte und schon beim erneuten Lesen dachte: „Nein, wie belanglos, das war nicht das, was ich sagen wollte.“ Und schon allein deshalb bekomme ich Kopfschmerzen, wenn ein Beitrag über 1000 Kommentare hat.

Wenn es nach mir ginge, müsste jede Kommentarspalte sortiert werden: Alles außer konstruktiver Kritik, ernst gemeintem Lob und guter Witze kann weg. Dass das ein utopisches und sehr subjektives Unterfangen ist, ist mir schmerzlich bewusst. Nur manchmal würde ich es mir so wünschen. Einfach nur für meine Nerven.


Illustration: Klara Heller

Dieser Text ist in der UnAufgefordert #261 zum Thema „www.journalistische-verantwortung.de“ im August 2022 erschienen.