News überwältigen viele Menschen. Wir scrollen durch unsere Feeds, lesen schlechte Nachrichten. Corona, Klimakrise, Krieg – wir saugen alles auf. Weltschmerz im eigenen Wohnzimmer, dank sekundenschneller Push-Benachrichtigungen. Doch warum eigentlich? Und was, wenn wir einfach mal abschalten? Klingt egoistisch – ist es aber eigentlich nicht.

Der Schweizer Philosoph und Autor Rolf Dobelli ruft in seinem Buch „Die Kunst des digitalen Lebens: Wie Sie auf News verzichten“ dazu auf, sich bewusst dafür zu entscheiden, keine Nachrichten mehr zu konsumieren. Für ihn trägt diese Entscheidung maßgeblich zu einem friedlicheren und glücklicheren Leben bei. Er beschreibt den Einfluss unseres Nachrichtenkonsums auf das Gehirn als Pendant zu dem von Zucker auf den Körper, ungesund und süchtig machend. Den Zucker haben wir als Feind akzeptiert. Sollten wir dies schließlich auch für die News tun?

Dobelli erklärt, wie der Konsum von News uns um wertvolle Konzentrations,- und Aufnahmekapazitäten beraubt. Hierbei bleiben wir bei einer sehr oberflächlichen Informationsaufnahme stecken. Wir verlernen das konzentrierte Lesen langer tiefgreifender Informationen. Oder Anders gesagt: Unser Gehirn ist gierig nach schnellem Zucker. Schnell generierte Nachrichteninhalte mit verlockenden Überschriften sind ein gefundenes Fressen.

Die neuen Formen der Berichterstattung, die schnellen Kurzmeldungen, erzeugen in uns die Illusion, wir würden die Welt besser greifen, seien mit ihr verbunden und hätten uns mit ihr auseinandergesetzt. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Form der News können regelrecht zur Zeitverschwendung führen. Unsere Wahrnehmung wird verzerrt, wobei diese Verzerrung die Sicht auf die Realität versperrt. Bad-News nehmen die Oberhand. Die Welt scheint verloren. Wer Selbstfürsorge betreiben will, tut sich etwas Gutes, indem er*sie sich langfristig von dieser Form der reißerischen Massenmedien befreit.

Wie Selbstfürsorge unsere Demokratie schützen kann

Doch dann kommt er schnell, der moralische Vorwurf alá „Du musst doch wissen, was auf der Welt passiert!“ Wenn wir uns bewusst dafür entscheiden, für unser persönliches individuelles Wohlergehen auf Nachrichten stückweit zu verzichten, können wir uns dann selbst noch als verantwortungsvolle Bürger*innen bezeichnen? Gibt es so etwas wie eine unausgesprochene staatsbürgerliche Pflicht, sich über Weltgeschehnisse zu informieren, um Demokratie zu wahren? Wenn wir Nachrichten-Entzug moralisch verachten, vielleicht sogar als naiv und weltfremd einstufen, missachten wir individuelle Bedürfnisse. Bedürfnisse, die existentiell dafür sorgen, ein psychisch gesunder Mensch zu sein. Überspitzt formuliert: Wem ist geholfen, wenn wir aufgrund der Überflutung negativer Weltuntergangs-News verängstlicht abwägen, ob es noch sicher genug ist, die Wohnung zu verlassen? Sind wir dann eine fundiertere Wähler*innenstimme?

Zugegeben, der effizienteste Booster für unsere Demokratie wäre mit Sicherheit ein garantierter Qualitätsjournalismus. Da viele Medienhäuser aktuell aber gezielt auf Quantität setzen, schützt uns nur ein bewusster Umgang. Ein radikales Aussortieren. Und dennoch, wir bewegen uns trotz eines bewussten Entzugs im öffentlichen Leben. Flughäfen, Bushaltestellen, das E-Mail-Postfach. Ganz entkommen wir der Flut der Berichterstattung sowieso nie.

Psychohygiene bleibt aber auch hier eine fundamentale Aufgabe, ohne die wir uns kaum weiterer Dinge annehmen könnten, geschweige denn durchdacht wählen und unsere Demokratie schützen könnten. Selbstfürsorge ist nicht egoistisch! Im Gegenteil. Wir können die Welt durch Zeitschriftenartikel, Essays, Reportagen, Dokumentarsendungen und Sachbücher, sehen, nur einfach langsamer, sortierter. Und jeder klare Kopf ist ein wichtiger Baustein für Demokratie!


Illustration: Christina Peter

Dieser Text ist in der UnAufgefordert #261 zum Thema „www.journalistische-verantwortung.de“ im August 2022 erschienen.