Im Rahmen der Inszenierung des Stückes ,,Mein Name sei Gantenbein‘‘ stellt sich Matthias Brandt bei seinem Soloabend unter der Regie von Oliver Reese die große Frage nach der Identität. Als Textvorlage dient hierzu der gleichnamige Roman von Max Frisch, den Intendant Oliver Reese höchstselbst dem Anlass entsprechend zurechtgestutzt hat. Ein Abend, von dem man sich viel erhofft, der aber wenig liefert – eine Kolumne über geplatzte Luftschlösser.

Mit großen Gesten und dicken Backen wurde es angekündigt: Matthias Brandts’ Rückkehr auf die Bühne nach über zwanzig Jahren! Zwanzig Jahre! Was eine Zeit! Vor zwanzig Jahren da war Gerhard Schröder noch Bundeskanzler und vegane Salami noch nicht erfunden! Die Ankündigung hatte also ein wenig mit Boulevardzeitschriften gemein, in der mindestens dreimal im Jahr der Tod der Queen oder die Trennung Angela Merkels von ihrem Mann verkündet wird. Jeder weiß, dass da nichts dahinter steckt: Die Queen ist bekanntlicherweise unsterblich und Joachim Sauer, der Gatte der Altbundeskanzlerin ist der knuffigste Quantenmechaniker der Republik. Kurzum: So unüberhörbar wie Matthias Brandts Bühnenrückkehr in ,,Mein Name sei Gantenbein‘‘ angekündigt wurde, so enttäuschend war das Ergebnis. Doch woran hat es gelegen?

Die Romangrundlage von Max Frisch kann jedenfalls nicht der wunde Punkt des Abends gewesen sein, völlig zu Recht hat der große Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki laut eigener Aussage immer wieder – aber leider erfolglos – versucht, den Autor Frisch für den Literaturnobelpreis vorzuschlagen. Auch das Thema, das hier verhandelt wird, ist in jederlei Hinsicht präsent: die Frage nach Identität, die Suche nach ,,Erzählungen‘‘ und mögliche Zerrbilder, die wie Realität wirken und umgekehrt. Es ist ein detailreicher Roman, der sämtliche Erzählstrategien kunstvoll durchexerziert. Der Protagonist Gantenbein, der so tut als sei er blind, um nicht betrogen werden zu können. Seine Frau, die ihn gerade dafür liebt und die ihn verlässt, als Gantenbein ihr endlich gesteht, dass alles nur gespielt war. Doch da ist auch der Wissenschaftler Enderlin, der einen Ruf nach Harvard ablehnt, weil er glaubt, dass dies nicht zu dem Bild passen würde, das die Menschen von ihm haben. Er stellt sich vor, krank zu werden, um nicht in Erklärungsnot zu geraten, und blickt schlussendlich tatsächlich dem Tod ins Auge. Ein Spiel mit Blickwinkeln, mit Identitäten, Vorstellungen, Einbildungen – kurzum, eigentlich hinreichend viel Material für einen trefflichen Abend.

Woran hat es gelegen?

Allerdings krankt der Abend vorwiegend an Schauspieler Brandt. Insbesondere gelingt es ihm nicht, die Dezenz abzulegen, die vor der Filmkamera gefragt ist. Ja, in den vergangenen zwanzig Jahren, die er vorwiegend in Funk und Fernsehen verbracht hat, scheint ihm die Fähigkeit zum lauten und deutlichen Sprechen völlig abhanden gekommen zu sein. Obgleich letzteres zu den Kernkompetenzen eines jeden Schauspielenden gehört und man von Beginn einer schauspielerischen Tätigkeit an immer wieder eingebläut bekommt, man solle doch deutlicher sprechen und ruhig noch ein paar Übungen machen – etwa mit einem Schlauch in ein Wasserbehälter blubbern und dabei Konsonanten prononcieren – scheint Brandt genau das nicht hinreichend beherzigt zu haben. Nun, wer kommt bei so viel Filmtätigkeit schon dazu regelmäßig in Wasserbehälter zu blubbern? Ratsam wäre es gewesen, denn Brandt tendiert hier und da sogar zum Nuscheln und weil es offenbar anders nicht geht, wird er mit einem Mikrophon verstärkt, was in Schauspielerkreisen eigentlich – und sehr zu Recht – verpönt ist.

Und wenn es Brandt dann doch gelingt, laut und deutlich zu sprechen, verfällt er schnell in ein zielloses Brüllen – eben ohne jede Detailschärfe. Man meint, er würde den Text platttreten wie ein wildgewordener Elefant. Doch das ist fast das kleinste Problem. Brandt gelingt es einfach nicht, die verschiedenen Aspekte der Figuren abzuzeichnen, und wenn er gerade einigermaßen Fuß gefasst hat, muss er wieder eine andere Identität annehmen und alles beginnt von vorn. Er wirkt immer wieder unbeholfen, betont Sätze holzschnittartig, macht Gesten, die nicht ankommen. Da leiden sogar die Zuschauenden mit und wünschen sich, dass Matthias Brandt sein Comeback mit einem dahingehend dankbareren Stück gefeiert hätte. Denn eigentlich – und das blitzt durchaus hier und da durch – kann Brandt was. Sein suchender Blick, seine Mimik, die hilflosen Augen, die immer wieder voll Hoffnung, dann voll Tatendrang sind – all’ das spricht dafür, dass er eigentlich ein guter Schauspieler ist, dieser Matthias Brandt.

Wer ist schuld? Regisseur oder Schauspieler?

Womöglich liegt es auch an der Reese-Inszenierung, in dessen Rahmen Brandt spielt. Stichwort: Rahmen. Das Bühnenbild ist ein großer Rahmen mit abgerundeten Ecken, der von innen Gold lackiert ist und aus dessen Seiten immer wieder Schubfächer geöffnet werden. Mit dem Inhalt dieser Schubfächer hantiert Brandt dann ganz eifrig herum.

Scheitert Matthias Brandt an der Inszenierung von Oliver Reese? Foto: Matthias Horn

Was als Bühnenbildidee in anderen Teilen der Republik als Vorzeigestück für eine angenehm-minimalistische Inszenierung herumgereicht werden könnte, wirkt beim Überziehen der kritischen Berliner Theaterbrille gleich anders: einfallslos, zu schlicht. Und überdies erinnert es an das Design eines IKEA-Möbels, das für einen verbraucherfreundlichen Preis in den einschlägigen Einrichtungshäusern erworben werden kann. Alles kommt auf eigene Weise einfallslos und eindimensional daher. Dazu lässt Reese alle paar Minuten völlig unpassende Musik einspielen, mal Fahrstuhlmusik, mal Streichergedudel. Es kommt das Gefühl auf, dass die Musik einzig dazu dient, dass sich die Zuschauenden nicht vollends langweilen. Was auch immer Reese mit seiner Inszenierung sagen wollte, es ist nicht durchgedrungen und dem eigentlich talentierten Brandt hat der Intendant mit seiner Inszenierung einen Bärendienst erwiesen. Vielleicht hätte Reese gut daran getan, die Inszenierung seinem überaus begabten Dramaturgen Johannes Nölting zu überlassen, der zwar an der Produktion als Dramaturg mitgewirkt hat, dessen geniale Handschrift leider nicht zum Vorschein kommt.

Am Ende bleibt dieser Abend weit hinter den Erwartungen zurück. Man wird ihn wohl unter der Rubrik ,,ganz nett‘‘ verbuchen müssen. Vielleicht eher eine Leseempfehlung für die Romangrundlage, in keinem Falle aber Enthusiasmus, Anregung, Debatte, Provokation. Dafür war es zu dünn, zu oberflächig, zu laff. Man sollte das Theater wohl nicht höher hängen als nötig.


Die Premiere des Stückes fand am 14.02.2022 statt. Weitere Aufführungen sind am 08.03., 09.03., 05.,  06., 07. Und 22.04.2022. Karten sind u.a. im Webshop des Berliner Ensembles zu erwerben.

Foto: Matthias Horn

1 KOMMENTAR

  1. Kolumne – oder nicht vielmehr Glosse?
    Haben die Details der Inszenierung dich wirklich davon abgehalten, von den Texten umgehauen zu werden? Die Zuschauer leiden mit – und zwar weil es so eine intensive Erfahrung ist. Dem Schauspieler vollkommen ausgeliefert. Frisch ausgelierfert.
    Aber Kritiken zu kritisieren darf man sich eigentlich nicht leisten. Ist eben doch alles so subjektiv.

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