Liebe ist leicht, liebe ist naiv, Gefühle sind oft natürlich und unser Handeln intuitiv. Wer unbekümmert seinen Gefühls- und Gemütsbewegungen in der Öffentlichkeit freien Lauf lassen kann, merkt es oft nicht, denn das was unsere Welt Liebe nennt, ist nun mal im Heterouniversum normiert worden. 

Tag für Tag begegnen wir Fremden: in der U-Bahn, auf der Straße, in der Bibliothek und im Supermarkt. Wir verbringen viel Zeit in der sogenannten Öffentlichkeit, die Normen und Konventionen kennt und definiert. Wer dieser Norm zugehört macht sich wenige Gedanken über das eigene „normal Sein“, das macht die „Norm“ ja aus. Denkt der Mann, der auf dem Bahnsteig seine Freundin zum Abschied leidenschaftlich küsst daran, ob er das in dem Moment und an diesem Ort machen kann? Hat er das Gefühl, dass sein Handeln wie eine Deklaration seines Hetero Seins wirken kann? Sorgt er sich darum? Hat er sich jemals Gedanken darüber gemacht, dass und ob er hetero wirkt – und hat ihm das Sorge bereitet? Guckt die Freundin um sich herum, um zu prüfen, ob jemand unerwünschtes oder sogar gefährliches sie beobachten oder auch nur sehen könnte? Wahrscheinlich nicht, denn: Norm ist Macht, es ist die Macht der Überlegenen und der Sorglosen.

Dass wir in einer cis-heteronormativen Welt leben, wird jeder Person, die nicht dieser Norm entspricht, jeden Tag bewusst. Nicht nur, weil sie Tag für Tag von patriarchalen und heteronormativen Strukturen umgeben ist und damit konfrontiert wird (wenn zum Beispiel Frauen die Frage „hast du einen Freund?“ gestellt bekommen) sondern auch, weil das eigene Ausleben und Nachdenken über die Liebe von diesen Strukturen geprägt ist. Queere Liebe ist politisch, denn sie gilt als Minderheit, als Abweichen von der Norm. Sie ist politisch, weil die Menschen sich auf der Straße umdrehen, weil jede öffentliche Liebesbekundung reflektiert wird. Öffentliche Unbekümmertheit kennt eine queere Person nicht.

Zu sehen, dass sich ein als hetero gelesenes Paar auf dem Bahnsteig leidenschaftlich küsst, kann schmerzen. Es ist vielleicht die zehnte Situation an dem Tag, die einen an den eigenen Freiheitsentzug erinnert. Es erinnert daran, dass in der gleichen Situation anders gehandelt werden muss. Der Ausdruck queerer Zärtlichkeit in der Öffentlichkeit kann nie naiv sein, denn der potenzielle Blick darauf kann immer prüfend, skeptisch, erstaunt oder gefährlich sein. Ein queerer Kuss fällt auf, weil er aus der Norm fällt. Genauso ist jeder queere Kuss eine Revolution, denn er ist – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick – die Umdrehung, ja die Umwälzung der gesellschaftlichen Norm.

Queere Liebe ist dennoch kein Leid. Im Gegenteil, möglicherweise gewinnt diese sogar an Ausmaß, an Wucht, an Intensität, gerade weil Sie in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich ist. Weil das Patriarchat auf (cis-männliche) Kontrolle beruht, und dieses eine cis-heteronormative Welt fördert, ist Liebe in dem Sinne auch normiert.  Genau deswegen kann „die Liebe“ nicht so selbstredend als „frei“ bezeichnet werden, denn das würde die nicht- hetero Liebe ausschließen.

Es geht nun darum, diese Norm umzuwälzen, indem Macht aktiv abgegeben und Raum freigemacht wird. Das beinhaltet auch ein Reflektieren über Privilegien im eigenen Liebes- und Dating Leben.


Foto: Rachel Geisler