Heute daten wir anders als noch vor 20 Jahren. Die digitale Vernetzung lässt uns scheinbar immer schneller entscheiden, wählerischer werden.
Schämen sollten wir uns dafür nicht.

Tinder, Bumble, OkCupid: Über die Existenzberechtigung von Dating-Plattformen streitet wohl schon länger niemand mehr, der unter 30 ist. Im Gegenteil, es könnte schwer werden, einen jungen Menschen zu finden, der nicht mindestens einmal eine solche App auf seinem Handy hatte, sei es auch nur, um sie ein paar Stunden später wieder zu löschen. Manchmal aus Frust, manchmal aus Langeweile oder manchmal, so lautet die meistgehörte Begründung, aus dem Gefühl heraus, dass es ja doch irgendwie schöner wäre, im „echten Leben” zu daten.

Oberflächlichkeit ist ein Wort, was oft fällt, wenn ich mal wieder versuche meinen tinderaffinen Freundinnen zu beantworten, warum ich mich zu eben dem Lager zähle, das diese Apps ablehnt. Und dabei krampfhaft versuche, weder wie meine Mutter zu klingen, die hinter jedem Online-Profil einen potentiellen Serienmörder vermutet, noch wie ein Boomer zu argumentieren, der uns oft und gerne vorwirft, wir seien vom vielen „Gedaddele” ganz faul und unfähig zur normalen sozialen Interaktion geworden.

Ich beschränke mich in meiner Rechtfertigung also auf das Argument der Oberflächlichkeit, denn da kann wohl niemand widersprechen. Es ist in der Tat oberflächlich, jemanden nur anhand eines Fotos „auszusortieren”. Oder jemanden zu ghosten, weil die Emojis, die er im Chat benutzt, Fremdscham erregen. Und deswegen ist es auch legitim, sich zumindest etwas überlegen zu fühlen gegenüber jenen, die sich regelmäßig auf dieses niedrige Niveau des Swipens begeben. Das dachte ich zumindest bis dato (wenn auch eher im Stillen). Bevor ich mich gefragt habe, ob es überhaupt möglich ist, jemanden auf eine nicht-oberflächliche Weise kennenzulernen.

Ist es wirklich so viel besser, einen Fremden auf einer Party anzuquatschen? Verraten die drei Worte, die wir miteinander wechseln, wirklich so viel mehr über seine Person als ein kurzer Blick auf sein Tinder-Profil? Und vor allem: Lasse ich mir in der primären Entscheidung, ob ich ihn äußerlich attraktiv finde oder nicht, wirklich mehr Zeit als beim Swipen? Schließlich muss ich ja auch im „echten Leben” zunächst abwägen, ob ich jemanden ansprechen und dann gegebenenfalls weiter treffen will oder nicht. Und selbst im äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass diese Entscheidung tatsächlich nur darauf beruht, dass ich telepathisch spüren kann, was für ein durch und durch toller Mensch der Unbekannte am anderen Ende des Raumes ist: Spätestens nach dem ersten Gespräch verspüre ich in der Regel das Bedürfnis, sämtliche sozialen Medien nach dieser einen Person zu durchforsten. Um zu schauen, ob sich der gewonnene erste Eindruck mit seinem Instagram-Profil deckt. Ob die Person bei Tageslicht und in anderem Kontext – Achtung wieder oberflächlich – genauso gut aussieht wie beim Gespräch am Vorabend.

In gewisser Hinsicht beeinflussen uns Medien wie Instagram hier sogar noch erbarmungsloser, weil sie bei aktiven Nutzer*innen mehr über das Privatleben des anderen preisgeben als jede Datingapp. Innerhalb weniger Minuten werden Details über Freundeskreis, Musikgeschmack und politische Haltung offenbart, und innerhalb weniger Minuten entsteht entweder Interesse oder Abneigung. Hinzu kommt der Druck, selbst einen guten Eindruck beim anderen hinterlassen zu wollen. Ich frage mich oft, ob das, was ich auf social media preisgebe, überhaupt dem Bild entspricht, was andere (Männer) von mir haben, und ärgere mich anschließend über meine Selbstzweifel. Und ich frage mich oft, ob ich mich zu sehr selbst darstelle, zu oberflächlich bin, und langsam glaube ich, dass das gar nicht nötig ist.

Denn unsere Welt ist nicht erst mit Beginn des digitalen Zeitalters oberflächlich geworden. Dating oder die „Anziehungsmechanismen”, die damit zusammenhängen, sind nicht nur dann von Oberflächlichkeit behaftet, wenn sie online stattfinden. Bewusst auf soziale Medien zu verzichten, um damit bei deinem Flirt zu prahlen – denn du verzichtest gern auf diese Scheinwelt – ist übrigens auch eine Form der Selbstdarstellung.

Klar, übermäßige Handy- und Medienbesessenheit ist sicherlich nicht immer gesund und ja, vielleicht auch ein zu kritisierendes Merkmal unserer so seltsamen, ungeduldigen Generation. Trotzdem date ich lieber in der heutigen, digitalen Zeit als „früher”, und lasse mich da auch nicht von der Meinung älterer Generationen umstimmen. Immerhin kann das Instagramprofil meines Dates auch als Warnplattform fungieren – wäre ja schlimm, wenn ich erst bei der Hochzeit erfahren würde, dass er Til Schweiger vergöttert.


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