Home Politik Industrie: Grüner Stahl für die Welt von morgen

Industrie: Grüner Stahl für die Welt von morgen

0
Grüner Stahl
Grüner Stahl

Vom Kochtopf bis zum Wolkenkratzer – Stahl ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Doch seine Produktion ist extrem umweltschädlich. Nun werden in der Industrie erste Ansätze entwickelt, Stahl umweltfreundlich zu produzieren.

Klimaschutz, das bedeutet nicht nur weniger Fleisch zu essen, auf Rad und Bahn umzusteigen oder Kohlekraftwerke abzuschalten. Der Wandel greift viel tiefer. Ein effektiver Klimaschutz muss auch dort geschehen, wo essenzielle Grund- und Baustoffe hergestellt werden. Und einer dieser Stoffe ist Stahl. Denn ohne Stahl geht nichts. Schiffe, Brücken, Schienen, Autos, Küchentöpfe – die Welt, wie wir sie kennen, ist ohne Stahl nicht vorstellbar. Insbesondere Energiewendetechnologien wie Windräder, Generatoren oder die Motoren von E-Autos kommen ohne Stahl nicht aus. Der Schlüsselrohstoff steht global seit mehr als hundert Jahren für wirtschaftspolitische Kraft. In Deutschland wurden 2019 rund 40 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugt.

Es gibt nur ein Problem: die Stahlproduktion stößt viel Kohlenstoffdioxid aus. Zwischen 1,5 und 2 Tonnen anfallendes CO2 pro Tonne Rohstahl. Das liegt daran, das bei der seit rund hundert Jahren eingesetzten Stahlherstellungmethode im Hochofen Eisenerz mit Koks reduziert wird, also Sauerstoff aus dem Erz abgespalten wird. Dieser verbindet sich mit dem Kohlenstoff des Koks zum klimaschädlichen CO2. Aus dem Eisenerz entsteht Roheisen, welches durch anschließende Verfahrensschritte weiter zu Rohstahl verarbeitet werden kann. Andere Herstellungsverfahren, die rein elektrisch funktionieren – wie etwa das Einschmelzen von Stahlschrott, spielen eine untergeordnete Rolle. 2018 entstanden so 58,4 Millionen Tonnen CO2 beziehungsweise rund 6,8 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Stahl ist also unverzichtbar und belastet gleichzeitig in seiner Herstellung das Klima. Ein Dilemma – bislang.

Stahlproduktion mit Wasserstoff

Denn die deutschen Stahlproduzenten, die bereits seit Jahren Abgaben für Emissionszertifikate entrichten müssen, haben die Zeichen der Zeit verstanden und möchten nicht länger als Vertreter der alten fossilen Epoche gelten: „Die Technologien für eine Klimatransformation in der Stahlherstellung sind vorhanden“, sagt ein Unternehmenssprecher von Thyssenkrupp. Einerseits sollen CO2-Emissionen, die unvermeidbar sind, der chemischen Industrie unter dem Label Carbon2Chem zur Verfügung gestellt werden. Aus ihnen könnten sich Kunststoffe, Dünger oder Treibstoffe herstellen lassen. Andererseits soll nun mit erneuerbar erzeugtem Wasserstoff gearbeitet werden, wo bislang Koks zum Einsatz kommt. Das Gas soll auf ähnliche Weise im Hochofen mit den Sauerstoff aus Eisenerz reagieren und so die Herstellung von Rohstahl ermöglichen. Wasserstoff und Sauerstoff ergeben zusammen Wasserdampf. Der Ausstoß von CO2 entfällt. Erste Modellprojekte liefern versprechende Ergebnisse, weshalb eine Übertragung der Verfahren in den industriellen Maßstab ins Auge gefasst wird.

Das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesregierung investieren kräftig in die neue Technologie: Auf der Homepage von Thyssenkrupp posieren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (beide CDU) neben Mitarbeitenden des Konzerns. Von weltweit einmaligen Anlagen ist die Rede, sie sollen Kondensationskeim einer neu zu schaffenden riesigen Wasserstoffwirtschaft werden: Wasserstoff, der in Stahlwerken verbraucht wird, könnte durch erneuerbare Energieanlagen wie Windräder grün produziert und überall dort eingesetzt werden, wo Bedarf herrscht: in Brennstoffzellen von Fahrzeugen, in der chemischen Industrie, als Energiespeicher. Schwerindustrie, die Chemiebranche und die Energiewirtschaft – alles soll vernetzt gedacht und miteinander verbunden werden.

Wie überzeugend sind die Pläne der Industrie?

Aber es gibt auch viel Misstrauen gegenüber diesen Plänen der Industrie. Ein grüner Kapitalismus könne nicht die Antwort auf die Klimakrise sein, heißt es. Kann der Wandel der Stahlbranche so einfach gelingen? „Das muss klappen, anders werden wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen“, sagt Michael Weltzin, umweltpolitischer Referent der Grünen-Bundestagsfraktion. „Zwar halte ich das Konzept von Carbon2Chem falsch. Es kostet sehr viel Energie, das CO2 weiter zu verwerten und die Produkte aus diesen Verfahren landen irgendwann wahrscheinlich wieder in einer Abfallverbrennungsanlage, in der das CO2 wieder frei wird. Besser ist es, Treibhausgase direkt zu vermeiden. Aber einige Stahlhersteller sind mit dem Wasserstoffansatz nun tatsächlich Vorreiter, es passiert konkret etwas vor Ort.“

Die richtigen Rahmenbedingungen vermisst auch Thyssenkrupp zurzeit noch: „Die Transformation der Stahlherstellung ist mit immensen Investitionen verbunden – allein 10 Milliarden Euro bis 2050. Damit wir diese Summe stemmen können, brauchen wir politische Unterstützung. Ansonsten besteht daher die Gefahr, dass sich die Abnehmer billigeren und klimaschädlich produzierten Stahl woanders besorgen.“ Auch Grünen-Referent Weltzin fordert weitere politische Anreize für mehr klimafreundliche Technologien: „Sobald die Rahmenbedingungen stimmen, gibt es einen Wettbewerb um die beste Lösung. Das kann enormes Potenzial freisetzen, welches es zu nutzen gilt.“

Die Politik ist also gefordert, wenn es um den richtigen Handlungsrahmen geht. Sie könnte den Emissionshandel überarbeiten, die Infrastruktur für Wasserstoff ausbauen helfen oder der Industrie schärfere Klimaziele setzen. Den Rest machen die Ingenieur*innen und Maschinenbauer*innen, die Analyst*innen und Projektmanager*innen unter sich aus – je nachdem was gesetzlich gefordert und möglich ist. Was wann genau beschlossen und umgesetzt wird, was machbar und bezahlbar sein wird, ist das Ergebnis zukünftiger Debatten und Verhandlungen und damit noch offen. Aber sicher ist, dass Politik und Wirtschaft reagieren müssen, denn die Welt ums uns herum tut es auch. Zentimeter für Zentimeter verschiebt sich das Gefüge klimatischer Gleichgewichte, schmelzen Gletscher, häufen sich Extremwetter – wie die Überschwemmungen in Westdeutschland kürzlich gezeigt haben – und erwärmen sich Land, Ozean und Atmosphäre. Die Frage ist, in welchem Maße der Umbau unserer Systeme möglich ist. Denn der Boden unter unseren Füßen – er ist in Bewegung.


Foto: Ant Rozetsky/Unsplash.com