Die Initiative “Deutsche Wohnen & Co. enteignen” benötigt etwa 170.000 Unterschriften, um ihr Anliegen vor den Berliner Senat zu bringen. Selma und Camillo gehen für die Initiative von Tür zu Tür und suchen nach Unterstützer*innen. Eine Reportage über politische Arbeit abseits des Campus

Camillo klingelt an einer schlichten, dunkelblauen Tür. Es ertönt ein penetranter Ton und eine junge Frau öffnet kurze Zeit später. Ob sie schon von der Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen gehört habe, fragt Camillo. “Klar, ich hab schon unterschrieben”, antwortet sie sichtlich erfreut. “Aber hängt doch noch Listen ans Schwarze Brett unten am Eingang.” Sie verschwindet für einen Augenblick und kommt mit Reißnadeln wieder. Sie werde die Listen später abhängen und einschicken, ergänzt sie noch.

Selma und Camillo sammeln Unterschriften für die Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen. Nicht immer stoßen sie auf so viel Hilfsbereitschaft. Von den Studierenden im Wohnheim des Studierendenwerks am U-Bahnhof Amrumer Straße haben manche auch von vornherein kein Interesse und winken ab. Dennoch, die meisten Reaktionen sind positiv. Da das Wetter an diesem Mittag kalt und stürmisch ist, wurde der Plan, vor dem Wohnheim Leute anzusprechen, verworfen und die Unterschriftensammelaktion nach drinnen verlegt. Von Tür zu Tür zu gehen ist heute die bessere Strategie. Natürlich mit Maske und unter Beachtung der Corona-Regeln. Fertig mit einem der Stockwerke, treffen sich Camillo und Selma in der Mitte und tauschen sich kurz aus. Jemand habe erst “kein Interesse” bekundet und dann doch unterschrieben, erzählt Camillo. Auch Selma war erfolgreich. Einer der Studenten habe zur Feier des Anlasses extra seinen “Unterschriften-Stift” gezückt um zu unterschreiben. Zwischendurch werden Stifte desinfiziert und Masken gerade gerückt.

Camillo studiert Soziologie an der TU und engagiert sich im Kiezteam Moabit von Deutsche Wohnen und Co. Enteignen. Selma studiert an der HU Geschichte und Sozialwissenschaften. Beide sind in den jeweiligen neu-gegründeten Deutsche Wohnen und Co. Enteignen Hochschulgruppen aktiv und unterstützen das Volksbegehren, indem sie Unterschriften sammeln und damit auch andere Studierende auf die Kampagne aufmerksam machen. Das Volksbegehren, welches in Berlin gerade in die zweite Sammelphase gestartet ist, könnte durchaus einen mietenpolitische Paradigmenwechsel einleiten. Werden genug (etwa 170.000) gültige Unterschriften eingereicht, wäre der Berliner Senat aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Bestände der großen Immobilienunternehmen, die über 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, vergesellschaftet. Voraussichtlich im September käme es dann zum Volksentscheid, für alle Berlinerinnen und Berliner. Entscheiden sich dann über die Hälfte von ihnen für das Gesetz, würde das gewonnene Gemeineigentum in einer Anstalt des öffentlichen Rechts demokratisch verwaltet werden – die Mieten wären langfristig gedeckelt.

Die Schwierigkeiten, die es mit sich bringt, eine Wohnung in Berlin zu finden, kennen wohl die allermeisten. Insbesondere natürlich auch Studierende. Wie der Tagesspiegel berichtete haben sich die Angebotsmieten innerhalb von zehn Jahren verdoppelt – von 5,59 auf 11,09 Euro pro Quadratmeter. Dem liegen natürlich verschiedene Entwicklungen zugrunde und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Berlin zusätzlich Neubau braucht, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. Dabei sind es gerade die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und nicht die Privaten, die preisgünstigen Neubau zum Beispiel in Form neuer Studierendenwohnheime errichten.

Der Kostenfaktor Wohnen dürfte sich bei Studierenden außerdem durch weggefallene Nebenjobs momentan noch stärker bemerkbar machen. Müsste es deshalb nicht ein Leichtes sein sie für das Thema zu bewegen? Dennoch, meint Selma, ist es durch Corona schwieriger Kommiliton*innen für politische Themen zu erreichen. “Die Pandemie hat den Campus als politischen Ort zerstört”, meint sie und beteuert weiter, dass es schon jetzt und wohl auch nach der Krise immer weniger linke Projekte und Kneipen gäbe in denen man sich treffen könnte. Die Räumungen der Liebig 34 und des Syndikats letztes Jahr hätten das gezeigt. Aber auch WGs können momentan weniger als soziale Räume fungieren. Der Austausch über die Wohnsituation gehörte sonst bei vielen Partys zum Dauergespräch. Nun müsse man Studis auf anderen Wegen erreichen. Über Telegram-Gruppen und Zoom. Das der Wille zur Veränderung dennoch auch unter Studierenden nicht erloschen ist beweisen die Gruppen, die an vielen Berliner Unis entstehen, sowie die heutige Sammelaktion.

Als sie das Dachgeschoss erreichen pfeift der Wind. Man erkennt auf der anderen Straßenseite die Dächer der Charité. Auch hier auf dem letzten Stockwerk sind noch einmal einige Unterschriften zusammengekommen. Doch ein paar mehr sind noch drin. Deshalb wird unten auf der Straße weiter gefragt und fast jede*r angesprochen. “Lass uns ein bisschen aufteilen. Wir sind vielleicht ein wenig angsteinflößend in einer Reihe auf dem Gehweg”, warnt Selma.

Von der Amrumer Straße weiter bis zur Tegeler Straße sind sie sehr erfolgreich. Es lassen sich Passant*innen vor Kitas und Einkaufende an den Türen eines Supermarkts gewinnen. Doch auch vor Ablehnung sind sie nicht gefeit: zwei junge Männern lehnen an einem Kiosk, als sie ein langgestrecktes “Oh Kommunisten!” verlauten lassen, gefolgt von einem plumpen, “Da krieg ich Gänsehaut Digga.” Spielen sie auf das von der Bewegung gern genutzte Bild des “Gespensts der Enteignung” an? – Wahrscheinlich nicht. Camillo lässt sich von der Geste jedenfalls nicht verunsichern und geht weiter. Es lassen sich eben auch nicht alle Menschen von günstigen Mieten überzeugen.