Die EU präsentiert sich gern als Hüterin der Menschenrechte. Doch in der Praxis schaut sie oft nicht so genau hin. Ein Kommentar.

Menschenrechte und Willkür. Zwei Wörter, die eigentlich nicht in einem Satz stehen sollten. Über 70 Jahre ist es her, dass die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet haben. Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2020 beschloss die EU ein Gesetz, das einen neuen Rahmen schafft, um strikt gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.  In der Theorie klingt das gut, in der Praxis wird eher willkürlich abgewogen, wann es wichtig ist, Menschenrechte zu schützen und wann nicht. 

Und die EU handelt, nur leider nicht immer. Erst Ende Februar beschloss sie Sanktionen gegen das Militär in Myanmar. In dem asiatischen Land gab es nach der Parlamentswahl im November, bei dem die demokratische Partei National League for Democracy gewann, im Februar einen Militärputsch. Dieser geht mit Gewalt gegen Protestierende einher. Hier scheint es außer Frage zu stehen, dass die EU eingreift. Nur wenn es darum geht, auf sich selbst zu schauen, ist das mit dem Eingreifen plötzlich nicht mehr so leicht.

Um die Außengrenzen der EU zu schützen, wurde 2004 die Agentur Frontex gegründet. Sie wird vom EU-Haushalt finanziert. Ihren Aufgabenbereich definiert Frontex auf der eigenen Website so: „Neben der Grenzkontrolle umfassen Frontex-Einsätze Aufgaben im Zusammenhang mit der Sicherheit auf See, Sicherheitskontrollen, Suche und Rettung sowie Umweltschutz.“ Die Frontex Mitarbeiter*innen sollen also für Sicherheit sorgen. Kürzlich wurde aber bekannt, dass die EU-Agentur in Pushbacks verwickelt ist. Unter anderem Der Spiegel recherchierte, dass Frontex an den griechischen Grenzen beteiligt war, wenn Migrant*innen zurück auf das offene Meer gedrängt wurden. Das passierte, nachdem sie schon griechischen Boden erreicht hatten. Diese Praktiken sind zwar illegal, kommen aber immer häufiger an den EU-Außengrenzen vor. International geltendes Menschenrecht wird dadurch verletzt. Boote von Frontex erzeugten sogar selbst Wellen, die überfüllte Schlauchboote mit Migrant*innen weg von europäischem Land trieben. Jetzt ermittelt die europäische Betrugsbehörde OLAF gegen Frontex. Trotzdem war es der von europäischen Geldern finanzierten Agentur möglich, des Öfteren an solchen Aktionen teil zu haben. Die Menschenrechte wurden einfach über Bord geworfen.

Aber nicht nur auf EU-Ebene wird es nicht so genau genommen mit den Menschenrechten. Auch in Deutschland werden Menschenrechte gerne so ausgelegt, wie es  der Regierung oder Unternehmen gerade in den Kram passt. Momentan wird darüber debattiert, ob Saisonkräfte aus Osteuropa, die in Deutschland zum Beispiel bei der Spargelernte helfen, auch ohne Krankenversicherung arbeiten dürfen. Durch die Corona-Pandemie gab es im vergangenen Jahr Ausnahmen in diese Richtung. Das heißt im Einzelfall, dass die Arbeiter*innen bei einem Krankheitsfall die Kosten selbst tragen müssten. In Deutschland hat jedoch jeder Mensch, der hier arbeitet, eigentlich ein Recht auf medizinische Versorgung und das muss durch eine Versicherung abgedeckt sein. Unsere Agrarministerin Julia Klöckner unterstützt übrigens die Verbände der deutschen Bauern in der Forderung, die Spargelstecher*innen ohne Krankenversicherung zu beschäftigen. Finanzieller Gewinn und Menschenrechte werden gegeneinander abgewogen. Eigentlich dürfte eine solche Diskussion gar nicht erst entstehen. Ein Menschenleben sollte immer mehr wert sein als Geld.