Vor etwas mehr als 50 Jahren wurde in Deutschland das Bafög eingeführt, um auch finanziell benachteiligten Menschen ein Studium zu ermöglichen. Doch für Iris Kimizoglu vom freien zusammenschluss von student*innenschaften ist das kein Grund zum feiern.

Zum 50. Geburtstag des Bafögs gründete sich im Dezember 2020 ein Bündnis aus studentischen, gewerkschaftlichen und politischen Jugendorganisationen, um über die Missstände in der Bildungsfinanzierung zu informieren und gemeinsam für mehr Bildungsgerechtigkeit einzustehen. UnAuf spricht mit Iris Kimizoglu, Studentin und Vorstandsmitglied des freien zusammenschlusses von student*innenschaften (fzs) e.V., über die Kampagne 50 Jahre Bafög— (k)ein Grund zu feiern! und ihre Reformziele.

Iris Kimizoglu
Iris Kimizoglu

UnAuf: Warum habt ihr die Kampagne ins Leben gerufen?

Iris: Das Bafög wurde 1970 eingeführt mit dem Ziel Chancengerechtigkeit, oder wie es damals genannt wurde Chancengleichheit, zu ermöglichen, damit auch Menschen studieren können, die aus finanziell benachteiligten Backgrounds kommen. Anfänglich war das Bafög ein Instrument, das wirklich griff. 1971 erhielten fast 45 Prozent aller Studierenden Gelder über das Bafög. Heute sind wir bei unter elf Prozent, obwohl die Anzahl der Studierenden über die Jahrzehnte stark gestiegen ist. Diese Diskrepanz ist natürlich krass. Auf der einen Seite haben wir immer mehr Studierende aus unteren Einkommensschichten, die aber auf der anderen Seite immer weniger Anspruch auf das Bafög haben, obwohl die Lebenshaltungskosten, gerade in Hochschulstädten, massiv gestiegen sind. Wir finden, dass es so nicht weitergehen kann, denn Bildungsgerechtigkeit bedeutet, eine Studienfinanzierung zu haben, die auch wirklich allen ermöglicht, zu studieren.

UnAuf: Was kritisiert ihr am aktuellen Bafög?

Iris: Das sind sehr viele Dinge, aber die drei wichtigsten sind die Höhe, der Schuldenzwang und die vielen Wenn-Dann-Regelungen des Bafögs. Die Höhe reicht nicht aus, weil in der Berechnungsgrundlage viele Dinge fehlen. Das prüft jetzt auch das Bundesverfassungsgericht, weil tatsächlich davon ausgegangen wird, dass die Höhe verfassungswidrig ist, da das Bafög nicht mehr das Existenzminimum abdeckt. Man kann davon einfach nicht mehr leben.

Der zweite Punkt ist der Schuldenzwang, der mit dem Bafög einhergeht, sodass gerade diejenigen, die sowieso schon benachteiligt sind, auch noch mit Schulden in das Berufsleben starten müssen, was einen zusätzlichen psychischen Druck ausübt. Deshalb fordern wir, dass das Bafög wieder ein Vollzuschuss ist, so wie es ursprünglich einmal war.

Und der dritte große Punkt sind diese ganzen Wenn-Dann-Regelungen und vor allem die Familienabhängigkeit des Bafögs. Ob und wie viel Bafög ich bekomme, hängt davon ab, wer meine Eltern sind und was sie verdienen und ob und wie viele Geschwister ich habe. Und das, obwohl wir eigentlich erwachsene, selbständige Menschen sind und als solche auch wahrgenommen werden sollten. Abgesehen davon wird der ganze Bafög-Antrag dadurch super komplex und braucht viele Monate bis er überhaupt bearbeitet ist.

UnAuf: Wie stellt ihr euch ein perfektes Bafög vor?

Iris: Das Wichtigste ist, dass das Bafög familienunabhängig konzipiert und ein Vollzuschuss ist, der gesamtgesellschaftlich getragen wird. Wir fordern außerdem, dass wirklich alle Menschen, die in Deutschland studieren, eine Ausbildung machen oder Schüler*innen sind, die Möglichkeit haben, dieses Bafög zu beziehen, weil viele Menschen aufgrund ihres Alters oder weil sie keine deutschen Staatsbürger*innen sind, schon von vornherein rausfallen.

UnAuf: Eure Forderungen erinnern an das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens — eben nur für Auszubildende, Studierende und Schüler*innen. Da heißt es oft, so etwas ließe sich nicht finanzieren. Wie seht ihr das?

Iris: Meine erste Reaktion ist immer: Aber deshalb haben wir doch ein Steuersystem. Unser ganzer Sozialstaat funktioniert ja eben dadurch, dass wir sagen, die Menschen bezahlen Steuern und aus den generierten Steuern bezahlen wir wiederum all die allgemeinen Güter, die wir als Staat benötigen. Wenn ich ein funktionierendes Steuersystem habe, dann ist es auch eigentlich kein Problem, Sozialpolitik zu finanzieren. Abgesehen davon brauchen wir ja Menschen, die studieren oder Ausbildungen machen, sonst würde unser ganzes Wirtschaftssystem zusammenbrechen. Wir reden ja jetzt schon immer vom Fachkräftemangel.

Ich glaube, dass die Finanzierung ein vorgeschobenes Argument ist. Denn nicht die alleinigen Kosten machen dem Staat Umstände, sondern der ganze Rattenschwanz an Sozialsystemreformierung, der mit der Reform der Bildungsfinanzierung einhergehen würde.

UnAuf: Seit dem Wintersemester 2019/2020 gilt die 26. Bafög-Novelle, die unter anderem eine Erhöhung der Wohnpauschale von 250 auf 325 Euro sowie eine Erhöhung des Höchstbetrages und der Elternfreibeträge beinhaltet. Trotzdem löste die Novelle scharfe Kritik von Studierendenvertreter*innen aus. Warum?

Iris: Uns reicht das nicht, denn trotz der Novelle sind die Förderzahlen weiter gesunken. Es gibt seit Jahren zig Studien die ganz klar zeigen, XY muss passieren, damit sich wirklich etwas ändert, aber die Politik, das Bildungsministerium, das ja verantwortlich ist und seit 16 Jahren unter CDU-Hand steht, geht die Thematik trotzdem nur sehr zaghaft an. Und wenn man sich fragt, woran das liegt, ist schnell klar: Bildungspolitik ist nicht sexy. Wenn ich viel Geld in das Hochschulwesen stecke, gewinne ich damit keine Wahl, als CDU sowieso nicht.

Hinter der Frage nach der Konzipierung steckt außerdem vielmehr als nur eine Finanzfrage. Es geht um einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Unser Sozialsystem baut auf der kleinbürgerlichen Familie auf. Es geht immer darum, dass zuallererst meine Eltern und meine Geschwister für mich zu sorgen haben. In dem Moment, in dem wir fordern, dass das Bafög familienunabhängig konzipiert wird, greifen wir das Paradigma dieser kleinbürgerlichen Familie an, wofür diejenigen, die in den letzten Jahren regiert haben, einstehen. Ich glaube, das ist das eigentliche Kernproblem, warum man sich auf der politischen Ebene nicht mit einer umfassenden Reform befassen will.

UnAuf: Eines eurer Reformziele ist ein flexibler und realistischer Wohnkostenzuschuss. Dazu sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek 2019: „Man muss ja nicht in die teuersten Städte gehen […] wir haben auch hervorragende Standorte in Gegenden, in denen Wohnen nicht so teuer ist.“ Was würdest du ihr darauf antworten?

Iris: Frau Karliczek hat an einer Fernuni studiert. Sie weiß natürlich gar nicht wie das ist. Das wäre meine zynische Antwort. Meine ernst gemeinte Antwort ist, dass wir ein Grundrecht auf Bildung haben. Aus diesem Grundrecht resultiert auch die freie Berufswahl. Da es an jeder Hochschule ein anderes Studienangebot gibt, hängt meine Studienortswahl also auch von meiner Studiengangswahl ab. Da kann man nicht sagen, geh doch einfach auf die Hochschule im Dorf XY.

Es kann nicht die Lösung sein, dass Menschen, die weniger Geld haben, auf ländliche Räume ausweichen sollen und nur noch Menschen, die genug Geld haben, in Städte ziehen dürfen. Wenn man Karliczeks Aussage auseinandernimmt, sieht man, was da eigentlich für ein elitärer Geist dahintersteckt. Das ist schon sehr fragwürdig.

UnAuf: Eine letzte Frage: Welche Tipps gibst du einer Person, die studieren möchte, dafür jedoch auf das Bafög angewiesen ist?

Iris: Gucke dich frühzeitig um, ob es Stipendiengeber*innen gibt, die zu dir passen. Ein Stipendium zu haben, macht das Leben sehr viel einfacher. Nun kann nicht jede*r ein Stipendium kriegen, das wäre ja zu einfach. Beziehe deshalb auf jeden Fall Bafög, denn am Ende des Tages wirst du es mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückzahlen können und dafür studieren zu können und nicht den ganzen Tag, 30 Stunden die Woche arbeiten zu müssen, macht einen Unterschied.

Habe keine Angst davor, versuche aber herauszufinden, welche Bestimmungen und Ausnahmeregulierungen es gibt. Es gibt kleine Tricks und Kniffe, die man anwenden kann. Frag einfach bei deiner Bafög-Beratung nach. Bist du zum Beispiel im Asta aktiv, kann die Regelstudienzeit verlängert werden. So etwas frühzeitig zu wissen, ist gar nicht mal so schlecht.


Titelbild: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag/Flickr.com

Bild Iris Kimizoglu: Wiebke Glaw/fzs