Kaner Avşar hat vor kurzem als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte angefangen. Nebenbei arbeitet er für ein Start-up. Trotz der zwei Jobs kann er Studium und Freizeit miteinander vereinbaren. Die Einstellung ist für ihn entscheidend.

Kaner Avşar ist 27 und studiert an der Humboldt-Universität Geschichte im Master. Derzeit startet er auch beruflich durch. Gearbeitet hat er bereits als so manches: Kellner, Möbelpacker und Tourguide – Kaner hat Erfahrungen gesammelt, schöne, aber auch weniger schöne.

Seinen Job als Tourguide musste er wegen der Corona-Pandemie aufgeben. Am Ende kam ihm das aber ganz gelegen. Diie Aufsicht über ein Dutzend Touristen auf Fahrrädern im Berliner Stadtverkehr wäre ihm ganz schön an die Substanz gegangen. Der Zeitdruck an den Stationen und jene Provinzler, die alles besser wüssten, vermisst Kaner nicht. Und als Studierender der Geschichtswissenschaften weiß er, dass die meisten Attraktionen eh nur künstlich sind, entweder nach dem Krieg wieder hochgezogen oder einfach Neubauten.
Als Kellner arbeitete er im Panda Theater im Prenzlauer Berg, wo er nur in den Pausen und zu besonderen Anlässen Wein und Bier servierte. Da blieb viel Zeit für´s Lesen. Und als Möbelpacker sah er Orte von Berlin, die Studierende eher selten zu Gesicht bekommen. Die Arbeit machte Spaß, aber das Schleppen des Mobiliars über Altbautreppen in den fünften Stock, gingen auf seinen Rücken.

Hiwi-Stelle für’s Studieren

Geschichte, das ist für Kaner nicht nur Leidenschaft, sondern auch berufliche Perspektive. Warum also nicht am Lehrstuhl anfangen zu arbeiten? „Ich war zu starrsinnig, um aufzuhören“, sagt er und lacht. Bereits seine Bachelor-Arbeit habe sich um Südosteuropa gedreht, genauer gesagt um die Nationalbildung am Beispiel der Texte des albanischen Schriftstellers Sami Şemşettin.

Vor seinem Bachelor-Abschluss studierte er ein Jahr in Istanbul, absolvierte dort sein Pflichtpraktikum im American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABCFM). Ein Studierendenjob am Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte schien daher nur folgerichtig.

„Das Problem, was ich mit der Uni habe, ist, dass sie brotlos ist. Man steckt viel Arbeit in etwas rein, für das man am Ende kein Geld bekommt. Man weiß nicht genau, obs einen auch wirklich da hinbringt, wo man hin möchte“, sagt Kaner. Er verzahnt deshalb sein Studium mit dem Beruf. Er schreibt bei demselben Professor seine Hausarbeiten, für den er auch arbeitet und bleibt somit am Thema. Das spart Zeit.

Und noch eine Motivation steckt dahinter: „Wenn ich am Ende für das, was ich mache auch noch Geld bekomme, gehe ich erstmal ganz anders an die Sache ran“, sagt er. Nach dem Studium im akademischen Lehrbetrieb einzusteigen, hält Kaner für möglich. „Wenn’s ganz schlecht läuft, werde ich Lehrer“, sagt er und lacht.

Über Vereinbarkeit wird nicht lange nachgedacht

Kaner verbindet mit seinem Studium seine berufliche Zukunft. Das reicht jedoch bei weitem nicht, um die laufenden Kosten zu decken. Um seinen Master zu finanzieren, muss er zwanzig Stunden in der Woche arbeiten gehen. Da wird über Work-Life-Balance nicht viel nachgedacht. Weil Kaner als studentische Hilfskraft zehn Stunden die Woche arbeitet, ist ein Zweitjob nötig..

Über Feund*innen bekam er im Startup Swatfiets einen Job. Das Unternehmen vermietet Fahrräder. Kaner sitzt dort im Sale am Schalter, berät die Kund*innen oder macht kleine Reparaturen. Die Arbeitszeiten sind flexibel und nicht selten kann er dabei Seminartexte lesen. Dass Swapfiets während des Lockdowns damit warb, eine sichere Alternative für überfüllte Trams und U-Bahnen zu sein, sieht Kaner ironisch. Fahrräder auf die Straßen, hieß es bei Swapfiets, während er als Tourguide vom Fahrrad steigen musste.

„Leben, Studium und Arbeit, ich glaube das händle ich einfach“, sagt er. Das Wichtigste sei für ihn, die eigenen Grenzen zu kennen, sich selbst nicht zu überfordern. „In der Corona-Zeit hat’s mir tatsächlich auch geholfen, viel zu tun zu haben. Jetzt wo das Leben wieder los geht, nervt das mehr, weil man einfach Lust auf Freizeit hat.“

Leben, Arbeit, Sport: Kaner nennt das seine heilige Trinität. Das Studieren von Zuhause hat ihm dabei geholfen auch seine Freizeit besser zu integrieren. Gerne stemmte er Gewichte, während die Vorlesung via Zoom lief. Joggen, Ringen, Thaiboxen: Kaner denkt nicht darüber nach, in welche Nischen er seine Aktivitäten packt.

Zeit so effektiv wie möglich nutzen

Gerade hybride Lehrangebote könnten ihm helfen Arbeit und Studium besser zu vereinbaren. „Ich mache mir eher Sorgen, dass ich keine Lust mehr auf den Präsenzunterricht habe, da ich dann physisch anwesend sein muss und nebenbei nichts machen kann“, sagt er.

Durch die Zoom-Meetings hat er immerhin die Möglichkeit gehabt nebenbei zu arbeiten. Kaner nennt das lachend eine „wilde Kombination“: Mit dem einen Ohr im Seminar und dem anderen Ohr Kund*innen beraten.

Seine Zeit so effektiv wie möglich zu nutzen, ist für Kaner entscheidend. „Man denkt natürlich viel drüber nach, wie kann ich persönlich Zeit sparen, um Zeit für etwas anderes zu gewinnen. Das ist ja auch ein wenig unser Zeitgeist heute“, sagt er.

Während er als wissenschaftliche Hilfskraft weiterhin die Geschichte Südost- und Zentraleuropas studiert, finanziert ihn der andere Job und macht ihn flexibel. „Es ist gut immer eine Absicherung zu haben und sich nicht zu sehr in eine Abhängigkeit zu begeben“, meint Kaner mit Blick auf seinen Zweiterwerb bei Swapfiets. Die Pandemie hätte gezeigt, dass man sich auf nur eine Stelle im Zweifelsfall nicht verlassen könne.


Foto: Egor Myznik/unsplash.com (l.), Nils Katzur (r.)