Tote Ratten im Briefkasten und ein brennender Kinderwagen vor der Haustür – mysteriöse Vorfälle bringen Xhafers Leben in der deutschen Vorortidylle aus dem Takt. Hat es etwas damit zu tun, dass er Albaner ist? Oder wird er paranoid?

Der aus Albanien nach Deutschland eingewanderte Pharma-Angestellte Xhafer führt ein angepasstes Leben. Hat einen respektablen Job, eine deutsche Frau und zwei kleine Kinder, spricht mit nur leichtem Akzent. Sein Gartenzaun hat die richtige Höhe, die Straße vor dem Gartentor liegt still und sauber da. Die Dinge sind an ihrem Platz. Doch eines Tages hängt eine tote Ratte an seinem Zaun und die Dinge geraten in Bewegung.

Von nun an kämpft Xhafer (gespielt von Mišel Matičević) darum, die Deutungshoheit über die Dinge wiederzuerlangen. Hat er nicht seinen Kollegen von seiner Abneigung gegen Ratten erzählt? Sie gebeten, keine Laborversuche mit ihnen durchführen zu müssen? Und war es ein Zufall, dass man nur ihm (dem einzigen mit Migrationshintergrund) nichts von der Raumänderung beim letzten Meeting erzählt hat? Xhafer, das merkt man bald, ist einer, der kämpft, wenn es eng wird. Er stellt seinen Kollegen Urs (glaubhaft verkörpert durch Rainer Bock) zur Rede – warum hat dieser ihm die Laborergebnisse noch nicht geschickt? Es müsse noch etwas daran gemacht werden.

Aber was? Urs gibt keine eindeutige Antwort. Und so muss sich Xhafer weiter durchschlagen, immer wieder konfrontiert mit fehlenden Unterlagen, rhetorischen Ausweichmanövern, einem brennenden Kinderwagen vor seiner Haustür – hängt das alles irgendwie zusammen, womöglich mit seiner Herkunft? Ergibt das ein Bild? Ist da eine Schlinge, die sich weiter zusammenzieht? Es könnte ja auch ein Versehen sein, sagt seine Frau. Vielleicht mag man ihn bloß als Mensch nicht. Aber was, so Xhafers Einwand, sollte an all dem ein Versehen sein? Er sei schließlich schon zum zweiten Mal aus einem Verteiler genommen worden.

Regisseur Visar Morina – selbst im Kosovo geboren – folgt Xhafer mit der Kamera im Nacken. Auf die Toilette, in der er eine Affäre mit der ebenfalls albanischen Putzfrau hat. Durch die immer gleichen dunklen Gänge seines Bürogebäudes, in denen, das kann man an den verschwitzten Gesichtern der Menschen ablesen, eine seltsame Hitze zu herrschen scheint. Der Gebäudekomplex, die darin stehende Luft, Xhafer selbst – alles erinnert mehr und mehr an Kafkas Erzählung Der Bau, in der sich ein namenloses Tier in seinem Verfolgungswahn und seinem eigenen, weitverzweigten Tunnelsystem verliert.

Ähnlich wie Urs gibt nämlich auch der Film selbst keine eindeutigen Antworten. Wer der oder die unbekannten, namenlosen Angreifer sind oder waren – es bleibt ein Rätsel. Aber in diesem Film geht es nicht um Auflösung. Vielmehr erzählt Visar Morina vom Gegenteil. Nämlich vom Gefühl der Fremdheit, die hier auch durch die Abwesenheit von Verständigung entsteht. Denn die Sprache, die Xhafer zu sprechen gelernt hat – sie funktioniert nicht mehr. Die Kollegin, die seinen Namen nicht aussprechen kann. Die zwei Polizisten, die beim Untersuchen der verkohlten Überreste des Kinderwagens einen Witz reißen, dessen Pointe er nicht versteht. Xhafer würde gerne verstehen. Aber sie erklären es ihm nicht. Hier nicht und in der Firma erst recht nicht.

Xhafer versteht nicht und niemand scheint das hören zu wollen oder sehen zu können. Gibt es nicht in all diesen Gesprächen, zwischen all diesen Leuten und ihm gegenüber eine zweite Ebene, zu der er nicht vorstoßen kann? Verborgene Absichten, Zwischentöne, die er nicht mitbekommt? Ein für ihn nicht zu entschlüsselndes beiläufiges Übereinstimmen der anderen in so vielen kleinen und großen Dingen? Einen Code, den er nicht versteht? Da ist es also, das andere Land. Direkt vor Xhafers Haustür fängt es an. Sein Leben – sollte es trotz aller oberflächlichen Intaktheit letztendlich ein Leben im Exil geblieben sein?

Dieser Film zu berichtet von diesen Dingen in seinem eigenen Tempo, auf subtile, auf kluge und manchmal etwas zu akribische Weise. Er nimmt sich Zeit, die Psyche seines Protagonisten aufzublättern, die einzelnen Schichten offenzulegen – die Wut, die Hilflosigkeit, am Ende nackte Panik. Die Reduziertheit der Geschichte, sie tut ihr übriges: der Bürokomplex, die leergefegte Straße, Xhafers Wohnzimmer – ein Kammerspiel. Deutschland, Albanien – Platzhalter, Variablen, es geht um die kulturellen Fehlbeträge, die beide Seiten der jeweils anderen gegenüber aufweisen. Ob real oder vermutet spielt hierbei keine Rolle, das Ergebnis ist dasselbe. Bei all dem gelingt diesem Film, uns in Xhafers Rhythmus atmen zu lassen. Seine Wut, wir können sie spüren. Das Meeting, die Kollegen, die Polizisten, seine Frau und alles andere – wir sehen es aus seiner Perspektive und verstehen: die Anderen, das sind tatsächlich wir.

Fazit: Sehenswert!


Exil

Regisseurin: Visar Morina

Filmlänge: 121min

Produktionsländer: Deutschland, Belgien, Kosovo