Geringe Wahlbeteiligung, undurchsichtige Finanzen, kaum Kontrollen: Studierendenvertretungen in Deutschland stecken in der Krise. Woran liegt das? Darüber diskutierten studentische Vertreter*innen und Berliner Hochschulmedien im Rahmen einer Podiumdiskussion des Recherchenetzwerks CORRECTIV.

„Warum wählst du nicht?“ würden die fünf Diskussionsteilnehmer*innen ihre Kommiliton*innen wahrscheinlich gerne häufiger fragen: bei der von CORRECTIV, FURIOS, couchFM und UnAuf organisierten Podiumsdiskussion zum Thema „Demokratie an Hochschulen zwischen Mitbestimmung und Machtmissbrauch“ stellten sie sich selbst hingegen die grundsätzliche Frage: „Warum wählst du?“ 

Anwesend waren Maris Trettin (Juso-Hochschulgruppe FU), Kim Greis (Ehemaliges Mitglied des Hochschulrats und ehemaliger Vertreter des StuPas), Fabian Bennewitz (Referent für Hochschulpolitik des AStA FU), João Fidalgo (Referent für Finanzen an der HU) sowie Antonia Böker (Chefredakteurin der FURIOS).

Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Maris Trettin, Kim Greis, Miriam Lenz, Maria-Mercedes Hering, Fabian Bennewitz, João Fidalgo sowie Antonia Böker (v.l.n.r.). Foto: Mona-Lynn Klinginger
Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der HU: Maris Trettin, Kim Greis, Miriam Lenz, Maria-Mercedes Hering, Fabian Bennewitz, João Fidalgo sowie Antonia Böker (v.l.n.r.). Foto: Mona-Lynn Klinginger

Maria-Mercedes Hering und Miriam Lenz moderierten die Veranstaltung. Die beiden Journalistinnen veröffentlichten 2017 einen kritischen Bericht über die mangelnde Transparenz des StuPas und des Refrats in der Unauf. Zusammen mit CORRECTIV recherchieren sie nun deutschlandweit zu Demokratie an Hochschulen. 

Wozu gibt es Studierendenschaften

Zunächst stellten sie die Frage, warum es eine verfasste Studierendenschaft braucht? Fabian Bennewitz hob vor allem den Aspekt der politischen Bildung hervor. Die verfasste Studierendenschaft nur als Serviceeinrichtung zu betrachten hält er für „Quatsch“. Vielmehr gehe es darum „die Fahne der Kritik hochzuhalten“.

Dem pflichtete Maris Trettin von der Juso-Hochschulgruppe der FU bei: Die Gremien seien „großartig um Politik im Kleinen zu erlernen“. Antonia Böker erklärte schließlich, dass zur Gründungsidee der Studierendenzeitung, ein Gegengewicht zur Universitätsleitung zu bilden, inzwischen auch die Aufgabe dazu gekommen sei, der Studierendenvertretung kritisch gegenüberzutreten.

Fabian Bennewitz (Referent für Hochschulpolitik des AStA FU)
Fabian Bennewitz (Referent für Hochschulpolitik des AStA FU) sagte, man solle die verfasste Studierendenschaft nicht nur als Serviceleistung betrachten. Foto: Mona-Lynn Klinginger

Seit 2002 überschritt die Wahlbeteiligung an beiden Universitäten nicht mehr die 10 Prozent-Marke. Warum ist das so? Dafür führten die Teilnehmer*innen verschiedene Gründe an. João Fidalgo, seit sechs Jahren Mitglied des RefRats der HU, hob unter anderem die mangelnde Sichtbarkeit des RefRats und seiner Arbeit hervor. Trettin verwies auf die Auswirkungen der Bologna-Reformen.

Als Hauptfaktor jedoch machte sie die neoliberale Art der Universitätsführung, hier der FU aus, die sich „New Public Management“ auf die Fahnen schreibe. Auf Anregung aus dem Publikum stellte sich Bennewitz auch der Frage, ob es nicht an großen Visionen mit dem Mobilisierungs-Potential à la Fridays for Future mangele. „Wir haben als AStA nicht die große Vision“, gab er zu. Auch hapere es bei der Umsetzung oft am langfristigen, strategischen Denken.

Wie könnte die Wahlbeteiligung steigen?

Doch wie könnte die Wahlbeteiligung gesteigert werden? Kim Greis berichtete, dass es sogar die Idee gegeben habe, Studierende mit einem Gewinnspiel zu locken. Die beste Möglichkeit wäre wohl eine Briefwahl. Die würde jedoch circa 64.000 Euro kosten und somit eine Anhebung des Semesterbeitrags nach sich ziehen – es sei denn, die Universitätsleitung übernehme die Kosten für die Versendung der Wahlunterlagen. An der Universität Göttingen gibt es diese Möglichkeit bereits, erklärte Lenz. Dort liege auch die Wahlbeteiligung etwas höher.

Könnte ein Grund nicht auch eine (dys-)funktionale Debattenkultur in den studentischen Hochschulgremien sein? Zumindest die Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer*innen ergaben diesbezüglich ein sehr uneinheitliches Bild. Greis berichtete von „unterschwelligen Bemerkungen, die einen eher an den rechten Rand gedrückt“ hätten, was ihm als „ausdrücklich nicht rechter Mensch“ sehr wehgetan habe. Mert Cengiz, Mitglied beim SDS an der HU, wohnte der Diskussion als Zuschauer bei. Er berichtete davon, dass er im StuPa unter anderem als „Reformer“ und „Islamist“ beschimpft worden sei. Lenz hingegen beklagte vor allem die „mangelnde Seriosität“.

„Ausdruck gewisser Hoffnungslosigkeit”

Bei der berüchtigten „Wasserspenderdebatte“ an der FU sei ironisch gefordert worden, dass die Spender doch bitte aus Glas sein sollen um die Transparenz zu erhöhen. Letztes Semester habe die Liste „Jesus Listus“ verlangt, gekreuzigt zu werden. Nach allgemeinem Beschluss wurde ein Holzkreuz hereingebracht und ein Vertreter daran angeknotet. Lenz sorge sich vor allem um den Eindruck solcher Geschichten auf Erstsemester. Bennewitz nahm diesen Gedanken auf, sah in der Kreuzigung jedoch einen „Ausdruck einer gewissen Hoffnungslosigkeit“: Der „politische Output geht halt gegen Null“.

Maris Trettin (Juso-Hochschulgruppe FU)
Maris Trettin (Juso-Hochschulgruppe FU, l.) und Kim Greis Kim Greis (Ehemaliges Mitglied des Hochschulrats und ehemaliger Vertreter des StuPas, r.). Foto: Mona-Lynn Klinginger

Böker von der FURIOS hingegen berichtete, dass sie die meisten StuPa-Sitzungen „als relativ seriös“ wahrnehme. Zwar gebe es teils grundlegende, nicht unbedingt zielführende Konflikte, jedoch meint sie: „Wo sonst soll man über etwas Grundsätzliches streiten, wenn nicht im Studierendenrat.“ Darüber hinaus erscheint ihr die Polarisation inzwischen abgeschwächt.

Mangelndes Engagement der Studierenden

Dass sich die lang beklagte Blockade abgeschwächt habe, führte Bennewitz in der Diskussion mit dem Publikum später allerdings auf Entwicklungen zurück, die ihn eher pessimistisch stimmen. Er mache von links bis konservativ eine Depolitisierung der Studierenden aus und beklagte mangelndes Engagement und Interesse. Trettin wiederum führte die mangelnde Beteiligung auch auf strukturelle Probleme zurück. Listen seien oft nur mit einer Person vertreten, die die Arbeit alleine kaum stemmen könne. Außerdem erschwere diese Isolierung die Identifikation mit dem Parlament.

Nicht zuletzt stellte sich in der Diskussion die Frage nach der Transparenz der verfassten Studierendenschaften. Bennewitz ließ die Frage, welche Listen den StuPa stellen und warum diese online nicht angeführt werden, unbeantwortet. Allerdings argumentierte er, dass alle Sitzungen öffentlich und die Namen keinesfalls geheim seien. Vor etwa drei Jahren seien aber Namen von Angehörigen einer antifaschistischen Liste auf einer rechten Onlineseite veröffentlicht und Drohungen ausgesprochen worden.

João Fidalgo (Referent für Finanzen an der HU)  Foto: Mona-Lynn Klinginger

Er wünsche sich, dass man keine Angst mehr haben müsse. Fidalgo berichtete ebenfalls von dem Druck, den die Forderung der AfD Namenslisten aufzustellen bei vielen aufgebaut habe. Wie auch Bennewitz betonte er, dass die Referent*innen jeden Monat Rede und Antwort stünden und wies Anschuldigungen, nicht erreichbar zu sein, von sich.

Mangelnde Informationen

Gibt es genug Möglichkeiten für Studierende Informationen zu gewinnen, ob man sich zur Wahl für Ämter stellen könne? Schließlich gäbe es weder öffentliche Ausschreibungen noch Ankündigungen, wann diese Wahlen stattfinden, gab Lenz zu bedenken. Sollte die Information, dass viele Ämter nicht exklusiv sind und man sich jederzeit dazu wählen lassen kann, nicht besser bekannt gemacht werden?

Fidalgo sah hier allerdings keinen Bedarf. Leute, die sich ernsthaft politisch engagieren wollten, wüssten dies. Wer dies nicht wüsste, würde wahrscheinlich auch nicht gewählt, meint er. Warum ein StuPa-Beschluss an der HU aus dem Jahr 2010, laut dem alle bevorstehenden Wahlen öffentlich gemacht werden müssten, nie umgesetzt wurde, konnte er nicht sagen.

Einfach davon auszugehen, dass Interessierte dazukommen würden, kritisierte Böker dagegen als „steile These“. Schließlich könne nicht jeder diese Eigeninformation betreiben und Fidalgo selbst habe doch von politischer Bildung gesprochen. Dies müsse dann aber in der Konsequenz auch bedeuten Informationen bereitzustellen und somit Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich selbst aufstellen zu lassen. Genau hier liege das Problem: Einerseits müssten Ämter besetzt werden, andererseits würde man dies nicht öffentlich bekannt machen. Information sei „der grundlegendste Baustein“.

„Sonst habe ich am Ende einen Fascho hier sitzen“

Bennewitz stimmte Böker zu, dass eine bessere Ankündigung in manchen Fällen angebracht wäre. Die Öffentlichkeitsarbeit des AStA bezeichnete er als das „Gegenteil“ von großartig. Fidalgo verwies auch auf das Problem, dass das HU-Präsidium die Nutzung der Email-Verteiler stark eingeschränkt habe und nur im Falle absolut notwendiger, strukturerhaltender Mitteilungen – z.B. Einladungen zur Vollversammlung – erlaube.

Miriam Lenz (l.) und Maria-Mercedes Hering (r.) moderierten die Diskussion. Zusammen mit CORRECTIV recherchieren sie zu Demokratie an Hochschulen. Foto: Mona-Lynn Klinginger

Bennewitz erinnerte daran, dass es früher auch anders war. Der AStA der FU veröffentlichte bis Mitte der 2000er regelmäßig Publikationen. Das würden sie heute nicht mehr schaffen und darum sei es gut, dass es eigenständige Organe wie FURIOS und UnAuf gäbe. Allerdings wollte er die Suche nach Nachfolgern auch nicht aus der Hand geben, denn: „Sonst habe ich am Ende einen Fascho hier sitzen.“

Einigkeit herrschte bei den Diskussionsteilnehmer*innen bei ihrem Rat an diejenigen, die Lust haben in Organen der Studierendenschaft mitzuarbeiten: Zu Veranstaltungen gehen und mit aktiven Leuten sprechen und sich in einer Fachschaft engagieren. Oder bei den studentischen Medien. Denn, wie Böker betont, gehört „zu einer funktionierenden Demokratie auch immer eine funktionierende Öffentlichkeit“.