Es wird bunt, laut und schrill in der modernisierten Fassung des eigentlichen Opernklassikers. Ersan Mondtag inszeniert mit der Textfassung von Thomaspeter Goergen Salome nach Oscar Wilde am Maxim Gorki Theater Berlin.

 Der „Störenfried mit Gruselkompetenz“, wie die Süddeutsche Zeitung ihn beschreibt, inszeniert wieder am Gorki. Der 31-jährige Ersan Mondtag ist in der Theaterwelt kein Unbekannter. Er ist Mitbegründer des Kollektives KAPITAEL ZWEI KOLEKTIV, wurde 2016 zweimal von der Theaterfachzeitschrift „Theater heute“ zum Nachwuchsregisseur und Bühnenbild- sowie Kostümbildner gekürt. „Die Vernichtung“ von 2016 (Text: Olga Bach) aus Bern wurde hochgelobt und brachte ihm eine zweite Einladung zum Theatertreffen. Jetzt inszeniert er Oscar Wildes Salome am Maxim Gorki Theater in Berlin.

Berlin. 3. Dezember 2018. Die Menschheit ist LOST. Die Großbuchstaben LOST thronen in überdimensionalen Lettern hoch oben über alles. Es gilt als Anspielung auf den noch andauernden Zustand der Volksbühne und ihren Lettern OST. Thomaspeter Goergen ist für den Text verantwortlich sowie Mondtag zusätzlich für die Bühne. Er hat sich aus der Vorlage von Oscar Wilde einige Motive heraus genommen und die alte Fassung modernisiert. Es geht um den Beginn eines neuen Zeitalters mit dem Aufkommen des Christentums und der Opferung Jochanaans (Johannes des Täufers).

So fungieren die Sünden der Perversion und des Fundamentalismus als ein perfektes Zusammenspiel, um den Zerstörungswillen der Menschheit zu unterstreichen. Gespielt wird mit der Angst vor dem Ungewissen und der (noch) existierenden Herrschermacht. Wir befinden uns gleichzeitig in einer Umbruchphase und doch soll zum Ende hin ein Fest stattfinden, bei dem getanzt werden soll.

Die Macht Herodes Antipas, des Statthalters der römischen Besatzungsmacht, schwindet mehr und mehr und unterliegt dem öffentlichen Druck aus Rom, während er Johannes den Täufer einsperrt. Dieser hat wiederum eine Macht hinter sich, welche von außerhalb herkommt – und vor der sich jetzt Herodes fürchtet.

Wilde Haare, bunte Strapse und vertauschte Geschlechter

Für die Kostüme (hochtupierte Haare, bunte Strapse) ist Josa Marx zuständig. Männer spielen Frauen und Frauen spielen Männer. Die jüdische Schauspielerin Orit Nahmias, die auch mitverantwortlich für den Text ist, tritt als belehrender und pöbelnder Propheten-Narr zwischendurch auf die Bühne. Sie beleidigt das Publikum und bricht permanent das eigentliche Geschehen. In ihr ist der Sinn des Stückes gelegt.

Durch den Wechsel in die englische Sprache macht sie auch noch einmal klar in welcher Zeit wir uns befinden – nämlich in der Zeit der Globalisierung und des Nationalitätsverlustes. Der Zuschauer befindet sich im alptraumhaften Kopf von Salome oder der Realität. Die Entscheidung wird ihm überlassen.

Der Salome begehrende und eingesperrte Prophet Jochanaan tritt als fünf-köpfiger Chor auf, gekleidet in schwarzen krähenartigen Capes mit künstlichen Hakennasen. Die Mutter Salomes, Herodias, gespielt von Michael Gempart und der Stiefvater Herodes von Lea Dreagert wirken schauspielerisch eher als blasser Gegenpart zu Salome und Jochanaan.

Überdimensionale und wohl geformte Salome

Als übergewichtige und männliche Salome hat Benny Claessens seinen Einsatz und genießt die volle Aufmerksamkeit der Karikatur eines verwöhnten, zickigen und wollüstigen Mädchens. Dessen Abbild ist auch noch einmal im zweiten Teil des Bühnenbildes als überdimensionale Statue umgeben von einem Säulenpalast – ein Kontrast zum Lebkuchenfassaden-Bühnenbild des ersten Teils.

Der Säulenpalast ist Sinnbild von Salomes Einsamkeit. Der Stiefvater begehrt sie und die Mutter tut nichts dagegen. Sie darf alles und dennoch ist sie gefangen. So wird auch hier auf der einen Seite eine zerrissene Familie beschrieben, die aber auch nicht voneinander loskommt. Es ist das Spiel zwischen Nähe und Distanz, das hier ausgesprochen gut funktioniert.

Benny Claessens Körper steht im totalen Kontrast zur literarischen Figur der Verführerin Salome – zum Beispiel wenn Claessen den Apfel „erotisch“ verspeist. Im Selfie-Zeitalter spricht Salome mit ihrem eigenen überdimensionalen Selbst, monologisiert vor sich hin und räkelt sich an ihrer eigenen Statue. Anstatt Jochanaans Kopf – wie im Original von Wilde – trägt sie zum Schluss ihren eigenen. Die Darstellung des heutigen Egoismus und suizidalen Gedanken kennen keine Grenzen.

Es wird alles ausgefahren und bis zum Umfallen gespielt

Nur wirkt die Inszenierung doch stellenweise zu bedeutungsschwanger aufgeladen, indem häufig die Konzentration gebrochen wird mit Schrillheit, Pöbeleien ans Publikum, Gendertausch, zu vielen und offensichtlichen Klischees, dass doch manchmal der eigentlich Sinn untergeht, den die jüdische Schauspielerin aber dann doch immer wieder belehrend hinaus in das Publikum kräht mit ihrem Narrenkostüm und ihrem Ausspruch „fucking identity politics“. Es muss eigentlich nicht noch extra thematisiert werden. Man sieht es mit eigenen Augen.

Auch wirkt die rotzfreche Prophetin doch eher pädagogisch belehrend anstatt motivierend. Die Menschheit soll die Welt retten. Zum Schluss hin stiftet der Jochanaan-Chor noch das Publikum zum Suizid an, indem er „Endlösung“ als neuen Sinn sehen würde, wenn sich die ganze Menschheit selbst auslöschen würde. “Rettet das Universum, schafft uns Menschen ab!”, so die Singerei. Ein Massenselbstmord als Rettungsszenario für den Planeten.

Der Gruseleffekt bewirkt hier das Gegenteil. Ein typisches Stück vom gehypten Mondtag. Nichts wirklich Neues am Gorki. Theater sollte auch eher motivieren als zum Selbstmord anzustiften.

 

Die Premiere war am 2. Dezember 2018 es folgen weitere Aufführungen am 13.01.2019 sowie am 16. und 17.2.2018.

Salome von Thomaspeter Goergen, nach Oscar Wilde mit Texten von Orit Nahmias

Regie und Bühne: Ersan Mondtag, Kostüme: Josa Marx, Musikalische Leitung: Max Andrzejewski, Mitarbeit Musik: Gerrit Netzlaff, Chorleitung: Jonas Grundner-Culemann, Lichtdesign: Rainer Casper, Dramaturgie: Aljoscha Begrich.
Mit: Mehmet Ateşçi, Benny Claessens, Karim Daoud, Lea Draeger, Michael Gempart, Jonas Grundner-Culemann, Anna Mattes, Orit Nahmias, Aram Tafreshian.
Uraufführung am 2. Dezember 2018
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause