Der Fall Andrej Holm beschäftigt die SPD, die Linke und Bündnis 90/Die Grünen intern schon seit einigen Wochen. Er wurde sogar schon als Zünglein an der Waage für eine funktionierende Koalitionsarbeit in Berlin stilisiert. Doch in erster Linie ist Dr. Holm eines – Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität. Diese hat über seine berufliche Zukunft entschieden. Ein Bericht.

Am Mittwoch, den 18.01., luden der Sprecher der Humboldt-Universität, Hans-Christoph Keller, und Präsidentin Sabine Kunst zur Pressekonferenz im Senatssaal des Hauptgebäudes. Grund dieser Ankündigung war die gespannt erwartete Personalentscheidung im Fall des Stadtsoziologen und Dozierenden Andrej Holm, der nach seiner Berufung zum Staatssekretär für die Rot-Rot-Grüne Landesregierung heftig in die Kritik geraten war. Er habe im zu Beschäftigungsbeginn ausgefüllten Fragebogen unwahre Angaben bezüglich seiner hauptamtlichen Stasi-Mitarbeit gemacht, so der Vorwurf. Nachdem er zunächst vom regierenden Bürgermeister Müller (SPD) als untragbar diffamiert worden war, zog er am Montag in seiner Rücktrittserklärung selbst einen Schlussstrich und legte sein vor gerade wenigen Wochen angetretenes Amt ab. Nun will ihn auch die HU entlassen.

„Die Kündigung beruht nicht auf der Tätigkeit von Herrn Dr. Holm für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), sondern einzig darauf, dass Herr Dr. Holm die HU hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat.“, heißt es in der offiziellen Presseklärung.
Doch so flüssig konnte Frau Kunst diese Aussage kaum formulieren. Schon kurz nachdem sie die Entscheidung verkündet hat, wird sie von Buh-Rufen unterbrochen. Die meisten Studierenden, die sich in dem Raum eingefunden haben, unterstützen den nicht anwesenden Holm lautstark. Sie halten Banner mit Aufschrieben wie „Holm bleibt“ in die Höhe und stimmen Sprechchöre an. Es wird außerdem Lärm auf mitgebrachten Töpfen gemacht, mit den Füßen auf den Boden gestampft und selbst zum Mikrofon gegriffen. Nachgefragt wird, ob der Offene Brief an das Präsidium der HU, der von über 350 solidarischen Studierenden unterschrieben wurde, wie versprochen, in die Entscheidung miteinbezogen wurde. Nach weiteren Zwischenrufen und Beruhigungsversuchen seitens von Keller kann die Pressekonferenz fortgesetzt werden.

Sabine Kunst erklärt, dass sie diese Entscheidung als Präsidentin der HU gefällt habe und es bedauere, einen anerkannten Wissenschaftler wie Herrn Holm zu verlieren. Weitere Zwischenrufe und Trillerpfeifen schallen ihr entgegen. Im Folgenden betont sie, den gescheiterten Versuch das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzulösen, und die Tatsache, dass die Kündigung nicht auf Holms Mitgliedschaft beim MfS zurückzuführen sei. Lediglich die versuchte Verschleierung seiner Offiziersausbildung sei ausschlaggebend gewesen. Da Andrej Holm zum Zeitpunkt seiner MfS Mitgliedschaft noch jugendlich war, wäre dies, wenn es angegeben worden wäre, vermutlich als zumutbar eingestuft worden und hätte seine Anstellung an der HU nicht behindert, so Kunst.
Die Proteste brechen nicht ab, eine ständige Unruhe erfüllt den Raum. Als sich ein Zuhörer darüber beschwert, wird er niedergerufen. Keller muss sich erneut um Ruhe im Saal bemühen. Als sich diese einigermaßen einstellt, beschreibt Frau Kunst die geschönten Angaben mit dem Tatbestand der arglistigen Täuschung. Des Weiteren habe sich Holm keinesfalls von seiner Tätigkeit beim MfS distanziert oder sein Bedauern über die Falschangaben ausgedrückt. Das habe das Vertrauensverhältnis mit der Universität nachhaltig zerstört. Wieder schalten sich die anwesenden Studierenden ein und bekunden ihr Vertrauen in Holm als Lehrenden am Institut für Sozialwissenschaften. Gleichzeitig kritisieren sie, dass die Eindimensionalität eines Fragebogens nicht für die kritische Auseinandersetzung mit einer Stasi-Vergangenheit tauge. Außerdem gerät Sabine Kunsts SPD-Mitgliedschaft in den Fokus: ihr wird eine politische Motivation für die Entlassung unterstellt. Zurufe wie „Müller-Büttel“ fallen.

In der abschließenden Fragerunde kommen einige Journalisten zu Wort. Frau Kunst betont hierbei das arbeitsrechtliche Vorgehen, das intern diskutiert worden sei. Auf die Nachfrage hin, ob auch eine Abwägung für mildere Konsequenzen stattgefunden habe (begleitet vom Beifall der protestierenden Studierenden), verweist Kunst auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Gleichzeitig bestärkt sie aber auch die Tatsache, dass eine ordentliche, also nicht fristlose Kündigung gewählt wurde. Als eine Journalistin nachfragt, ob eine Entschuldigung Holms unter Umständen zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, bejaht die Präsidentin. Der gegangene Schritt sei nicht alternativlos gewesen, so Kunsts Antwort zu einer weiteren Frage, doch die Falschaussage stände nunmehr im Raum und sei über mehrere Chancen hinweg nicht korrigiert worden.
Keller schließt die Pressekonferenz mit dem Verweis auf die schriftliche Erklärung von Frau Kunst. Sofort ergreifen die Studierenden wieder das Wort. Auch die Sprechchöre setzen erneut ein und begleiten die Zuhörerschaft aus dem Saal.

Doch ist der Tumult um Andrej Holm damit zu Ende? Nein. Holm selbst veröffentlichte auf seiner Webseite www.andrejholm.de eine Erklärung zur Kündigungsabsicht der Humboldt-Universität, in welcher er eine Klage beim Arbeitsgericht Berlin ankündigt. Und die Studierenden? Auch die geben nicht nach. Zunächst wurde eine Pressemitteilung der Initiative Studis für Andrej Holm veröffentlicht. Dort wird reklamiert, dass jenes angegebene „Nein“ zur Tätigkeit beim MfS der Realität viel nähergekommen sei als ein „Ja“ und somit das stärkste Argument für die Entlassung entkräftet sei. Sie fühlen sich als Studierende bei dieser sie betreffenden Entscheidung übergangen und die kritische Lehre, die Holm verkörpere, gefährdet. Sie unterstellen der Entscheidungsfindung eine „politische Natur“.
Die Studierendeninitiative Uni von Unten, die sich einen Tag zuvor aus solidarischen Studierenden gebildet hatte, besetzt nun Räume im Institut für Sozialwissenschaften. Banner an Wänden und Fenstern bekunden die Unterstützung Holms. Sie formulieren zwei Forderungen: Erstens die Revision der Entscheidung zu Holms Entlassung und zweitens die Schaffung einer neuen, unbefristeten Stelle am Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie. Außerdem haben sie ein Programm kritischer Seminare und Diskussionen entworfen. Die Besetzung soll sich vorläufig bis Freitag fortsetzen.