Nacht für Nacht treffen sich Hirsch und Hirschkuh mitten im Wald. Er, der nur selten aufschaut und sonst sein prächtiges Geweih senkt, um an das Gras unter dem Eis zu gelangen. Sie, scheu und fast starr im Schnee. Außer der Stille ist da nur ihr behutsames Atmen. Nacht für Nacht treffen sich Mària und Endre am selben Ort und im selben Traum.

Tagsüber mögen sie sich nicht. Niemand mag Mària (Alexandra Borbèly). Sie tritt eine Stelle als Qualitätsprüferin in einem Schlachthaus in Budapest an und wird von den neuen Kollegen geradewegs für geistesgestört erklärt. Sie ist streng, jedes Gramm Fett zu viel wird mit einer Abstufung des Fleisches von ihr geahndet. Sie sitzt bis spät in der Nacht in dem sterilen und dunklen Raum, ganz allein mit ihrem Laptop und tippt. Sie muss sich an die Vorschriften halten, das ist ihre Aufgabe. Endre (Gèza Morcsànyi) gefällt das nicht. Er leitet das Unternehmen und muss irgendwie an sie heran kommen. Nur ist das nicht so einfach.

On Body and Soul ist letztlich eine Liebesgeschichte. Eine irreführende Bezeichnung. Wie der Titel verrät, geht es um körperliche und seelische Verbindungen. Doch wer eine schnulzige Szenerie erwartet, landet auf dem Schlachthof. Und zwar aus Sicht der Kamera (Máté Herbai ), die den Moment der Schlachtung von Rindern so gnadenlos einfängt, dass es einem den Magen verdreht. Vom tödlichen Schuss, dem Blut, das an der weißen Schürze, den Gummistiefeln bis auf den Boden strömt, bis zu den abgeschnittenen Ohren und den abgeschlagenen Kuhköpfen. Nicht gerade ein Ort zum Verlieben.

Das hat auch niemand vor, schon gar nicht Mària. Auf der Arbeit hat sie ihren Ruf weg. Sie wird als Roboter nachgemacht, als gefühlskaltes Wesen verhöhnt. Sie setzt sich beim Mittagessen in der Kantine stets an den Tisch, an dem noch niemand sitzt, vermeidet Blickkontakt, schweigt viel. Der Rücken gerade, der Blick leer auf den Teller gerichtet, auf dem die Fischstäbchen auf der einen und der Reis auf der anderen Seite liegen. In ihrem Kopf schwirren Zahlen und Daten, sie erinnert sich an alles, kalkuliert ihr Verhalten und spielt Gesprächssituationen zu Hause mit Salz- und Pfefferstreuer nach. Später schaut sie Pornos, ohne dabei mit der Wimper zu zucken.

Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat mit diesem Film eine verblüffend treffende Metapher dafür gefunden, wie zwei Menschen sich kaum sichtbar miteinander verbinden können. Wie ihre verlorenen Seelen und ihre verschlossenen Körper einfach zueinander gehören. Nur finden sie sich nicht über den hunderte Male gesehenen romantischen Weg, sondern an einer Kreuzung irgendwo auf der Metaebene.

Endre ist auch Màrias Vorgesetzter und entpuppt sich als ebenso einsam und liebesbedürftig. Sein gelähmter Arm steht symbolhaft für seine Hilflosigkeit. Abends fällt ihm regelmäßig die Wurst vom Tablett und erinnert ihn daran. Er ist ihr ähnlich, verschlossen und verletzlich. Er kümmert sich zunehmend um sie. Doch Mària muss lieben erst noch lernen. Beide haben Angst sich zu begegnen, sich zu bewegen, sich zu berühren. Im Traum ist das einfacher.

Das wahrhaft traumartige Bild, das Hirsch und Hirschkuh im verschneiten Wald zeigt, steht ganz im Gegensatz zu der kargen Kantine und dem fürchterlichen Gemetzel, das in dem Schlachthof angerichtet wird. Es sind die zwei Innen- und Außenwelten, in denen sich das unfassbar traurige Leben von Mària und Endre abspielt. Die komischen Augenblicke des Films sind gleichsam die tragischsten, weil sie die Unfähigkeit zu leben in Bildern bündeln. Doch sie müssen aufwachen und es versuchen.

On Body and Soul ist ein irritierend andersartiger Liebesfilm, ein unaufgeregt und eindrücklich erzähltes Seelenstudium, das es sich zu sehen lohnt.

Bären-Potential: On Body and Soul ist ein Wettbewerbsfilm. Er wird es nicht schaffen. Leider. Alles andere wäre eine große Überraschung, aber für die, ist die Berlinale ja bekannt. Kein politisches Statement könnte dieses Jahr auch ein Statement sein.

BZQ-Punkte: Wer ganz genau wissen will, wie Rinder geschlachtet werden, darf diesen Film auf keinen Fall verpassen. Freud-Fans könnte das ebenfalls gefallen.

Prokrastinationspotential: Wir verlieren uns in der Einsamkeit der beiden Hauptrollen und erinnern uns gleichzeitig ein wenig an die Prüfungsphase und wie einsam wir doch mit unseren Lehrbüchern sind. Auch traurig.

Kuschelfaktor: So kuschelig wie ein Schlachthof halt ist.

UnAuf-Punkte: 4 von 5

Teströl es lelekröl – On Body and Soul: Regie: Ildikó Enyedi . Mit: Alexandra Borbèly, Gèza Morcsànyi, Rèka Tenki, Zoltàn Schneider u.a.

Foto: ©  Ildikó Enyedi