Schon seit 2012 engagiert sich der BDAS in Berlin für die Belange alevitischer Student*innen aller Berliner Unis und Hochschulen, seit Juni 2024 ist er offiziell an der HU akkreditiert. Die Gruppe unterstützt Erstis und vernetzt Studis, organisiert aber auch Events für die Gemeinde in Kreuzberg und engagiert sich gegen den Rechtsruck.

„Wir wussten gar nicht, was auf uns zukommt“, erzählt Zara. Schon seit einem Jahr ist sie im Vorstand des Bundes der alevitischen Studierenden (BDAS) aktiv, aber die Arbeit wird mit der Erfahrung nicht weniger. Sie ist gerade für die wöchentliche Sitzung in der Gemeinde in Kreuzberg angekommen, um gemeinsam die nächsten Wochen zu planen und anstehende Aufgaben zu verteilen. Vier der acht Vorstandsmitglieder machen es sich in dem großen Nachhilfezimmer, in dem sonst die Hausaufgabenhilfe für jüngere Gemeindemitglieder stattfindet, bequem. Wer im Auslandssemester ist, schaltet sich per Video-Call dazu. Es gibt viel zu besprechen an diesem Abend: von der Organisation eines Gedenktages bis zu den immer näher rückenden Wahlen des nächsten Vorstands.

Das Alevitentum ist die zweitgrößte Religion in der Türkei, allein in Berlin leben rund 70.000 Alevit*innen. Trotzdem gibt es in ganz Berlin und Brandenburg nur diese eine alevitische Gemeinde, erzählt Ilayda, eine der zwei Beisitzenden des BDAS Berlin. Sie wurde nach dem Sivas-Massaker von 1993 gegründet, einem Anschlag auf ein alevitisches Festival in der Stadt Sivas in der Türkei. Viele hätten sich damals mit dem Schock allein gefühlt, sagt Ilayda, man wollte einen Bezugsort schaffen. Nur die Strukturen für junge Leute hätten gefehlt, sodass kurz darauf der Bund der Alevitischen Jugend (BDAJ) gegründet wurde, aus dem sich die Student*innen schließlich ausgliederten.

Den bundesweiten Dachverband des BDAS gibt es offiziell seit 2013, die Berliner Untergruppe hat sich sogar schon im Jahr zuvor gegründet. Hier kommen alevitische Studierende aus der ganzen Stadt zusammen, um sich untereinander auszutauschen und ihre Erfahrungen zu teilen. Allein im Vorstand sind neben der HU noch sechs weitere Universitäten und Hochschulen vertreten. Deswegen treffen sich die Student*innen auch nicht etwa in einer der Unis, sondern zentral im alevitischen Gemeindezentrum.

Assimilation zum Selbstschutz

Die Gruppe will alevitischen Studierenden einen Raum bieten, um sich zu vernetzen und zu organisieren. Nicht nur in der Türkei würden alevitische Dörfer immer noch strukturell vernachlässigt werden, auch in der Diaspora seien Alevit*innen als Minderheit nicht ausreichend vor Gruppen wie den rechtsextremen Grauen Wölfen geschützt. „In der Schule halten sich deswegen viele alevitische Kinder bedeckt“, erzählt Tayfun, der Kassenwart des BDAS. Manche hätten von muslimischen Mitschüler*innen, die selbst gefastet haben, Ärger bekommen, wenn sie während des Ramadans gegessen haben. Zara nickt, dafür habe sie sich früher auch geschämt. Den Jugendlichen, die sich zu ihrem eigenen Schutz assimiliert haben, wolle der BDAS jetzt die Möglichkeiten bieten, sich wieder mit ihrer Vergangenheit vertraut zu machen.

Zum Kennenlernen hostet die Gruppe „Çay and Talk“-Events. Das ist nicht nur eine Gelegenheit für Erstis, die sich im Studium orientieren wollen und über das Buddy-System oder in Lerngruppen Unterstützung suchen, sondern auch für fortgeschrittene Semester, die mehr über bestimmte Bräuche des Alevitentums lernen wollen. Für die Zukunft seien auch mehr Info-Events für nicht-alevitische Student*innen geplant. Außerdem ist die Gruppe politisch aktiv; viele Jugendliche in der Gemeinde seien ohnehin sehr engagiert, sagt Bensu, ebenfalls Beisitzende im Vorstand. „Wir organisieren auch Demos mit, zum Beispiel in Gedenken an Hanau oder gegen den Rechtsruck.“

Gleichzeitig bereitet der BDAS Gedenk- und Feiertage in der Gemeinde vor, wie etwa den Jahrestag des Pogroms von Maras oder das Newroz-Fest. „Wir wollen damit die Perspektive von jungen Leuten in der Diaspora auf diese Ereignisse stärken“, sagt Ilayda. Finanziell werden sie dafür von der Gemeinde unterstützt, die Veranstaltungen seien am Ende schließlich auch für alle Mitglieder offen.

Im Gemeindezentrum wird es schnell zu eng

Das Gemeindezentrum in Kreuzberg bietet eigentlich viel Platz für Events. Es gibt eine Küche, in der für alle gekocht werden kann, das Nachhilfezimmer und den Gebetsraum, den kleinen mosaik-geschmückten Innenhof und einen weitläufigen Saal mit vier langen Tischreihen. Trotzdem, der Raum platze manchmal aus allen Nähten, erzählt Ilayda, und oft sei er auch gerade dann besetzt, wenn man ihn braucht. Unter anderem wegen dieser Platzprobleme hat der BDAS sich inzwischen an der HU akkreditieren lassen. Eine Weile hat es gedauert, alle Hürden zu überwinden und den Antrag durchzubekommen, aber inzwischen ist die Gruppe offiziell anerkannt und kann Events an der Uni anbieten. „So können wir mehr Leute ansprechen und unser Bildungsangebot ausbauen“, meint Ilayda.

Mit der größer werdenden Community wachsen auch die Aufgaben des Vorstands. „Studium und BDAS zusammenzubringen kann auch herausfordernd sein, vor allem in der Klausurenzeit“, sagt Ertan, der sich auch während seines Erasmussemesters noch im Vorstand engagiert. Zara stimmt zu: „Wenn nicht alle anpacken würden, wäre das alles gar nicht möglich.“ Klar, zur Sitzung zu kommen bedeute auch, Freunde zu sehen, aber das Engagement beschränkt sich ja nicht auf einen Abend in der Woche – eigentlich wird quasi jeden Tag irgendetwas via WhatsApp besprochen. Doch der Einsatz für den BDAS ist eben auch eine Herzensangelegenheit. „Als Alevit trage ich Verantwortung, Probleme in dieser Gesellschaft anzugehen“, sagt Tayfun, und Ilyada ergänzt: „Wir haben schon von klein auf von unseren Familien gelernt, uns nicht zu verstecken.“ Für die Neuwahlen haben deswegen die meisten nochmal kandidiert, um sich ein weiteres Jahr im BDAS zu engagieren. „Wir haben alles durchgezogen, was wir vorhatten“, sagt Tayfun. „Aber es gibt immer mehr zu tun.“


Foto: Mara Buddeke