Die Tickets sind ausverkauft und das Feuilleton läuft heiß: Sophie Passmann hat ihr letztes Buch „Pick Me Girls“ in ein gleichnamiges Theaterstück umgeschrieben, das sie seit dem 17. Oktober 2024 im Berliner Ensemble als Ein-Frau-Performance spielt. Darin spricht sie über die Erfahrung, als (übergewichtige) Frau aufzuwachsen, was es bedeutet, Raum einnehmen zu können und dürfen, sowie ihre Erfahrung als Person in der Öffentlichkeit.
Ich gebe es ja zu: Ich bin genau die Person, die Sophie Passmann parodiert, wenn sie über die Kritik, die sie über sich liest, spricht. Auch ich habe gesagt „Naja, früher mochte ich sie mehr, als es weniger um sie selbst ging…“ oder: „Ja, schon schlaue Analysen, aber das scheint ja nicht mehr ihr Fokus zu sein…“; „Heute ist sie ja mehr Medienfigur und Influencerin als alles andere…“ Und ja: Deshalb bin ich kritisch ins Theater gegangen.
Für mich ist Sophie Passmann auf eine Art auch ein sogenanntes Pick Me Girl gewesen. Pick Me Girls ist ein vor allem über TikTok geprägter Begriff, der Frauen und Mädchen beschreibt, die sich dem männlichen Blick anbiedern und währenddessen andere Frauen herabsetzen. Andere Frauen greift Passmann natürlich nie an, aber sie scheint sich schon recht bewusst zu sein, dass sie als besonders intelligente Frau wahrgenommen werden möchte. Wer sich ihren Gastauftritt zum Release des Buches bei Micky Beisenherz’ Podcast „Apocalypse und Filterkaffee“ anhört, kann ja jedes mal einen Shot trinken, wenn sie darauf zurückkommt.
Ihr letztes Jahr erschienenes Buch „Pick Me Girls“ habe ich mir nicht mal mehr gekauft, sondern entschieden, dass das Hörbuch auf Spotify reichen muss – ganze zwei Kapitel habe ich ausgehalten. Das Tagebuch einer Teenagerin interessiert mich leider nur wenig. Ähnliches habe ich zuhause auch in mehreren Ausführungen liegen. Ist es interessant, dass viele Frauen anscheinend die gleichen Erfahrungen gemacht haben? Dass wir alle die gleichen Probleme in unterschiedlichen Abstufungen haben? Ja, vielleicht, aber seit dem Internet, in dem Oversharing nicht umsonst Schlüsselbegriff ist, auch niemandem unbedingt neu.
Doch dann große Aufregung 2024: Sophie Passmann will ihr letztes Werk auf die Bühne des Berliner Ensemble bringen. Das ist natürlich etwas anderes. Das ist popkulturelles Zeitgeschehen. Sowohl meine Mutter als auch diverse Uni-Freundinnen schicken mir die Ankündigung und – Überraschung: Ich freue mich. Vor kurzem war sie bereits zu Gast im BE beim Format „Friedman im Gespräch“ und hat im Rahmen dessen mit Michel Friedman über „Identität“ gesprochen. Dort war sie alles, wofür sie ursprünglich bekannt, beliebt und berüchtigt geworden ist: Witzig, wortgewandt und niemals kleinzukriegen. Vielleicht verstehen wir uns ja doch noch. Vielleicht gebe ich „Pick Me Girls“ eine zweite Chance.
Nun ist der Abend da und natürlich ist das Publikum überwiegend weiblich zu lesen, obwohl durchaus diverser als erwartet – welche Männer nur als +1 für ein Feminismus-Coaching hingeschleppt wurden, bleibt natürlich Dunkelziffer. Das Bühnenbild ist simpel gehalten. Der Hintergrund besteht aus buntem, in Regenbogenfarben schillerndem Lametta. Vorne ein Mikrofon und eine Venusmuschel à la Botticelli aus Spiegeln. Very instagrammable.
Das Intro besteht aus einer langsamen Coverversion von Taylor Swifts „Anti-Hero“, ein Song, der wie kein anderer zeigt, was es heißt, sich ‚zu viel‘ zu fühlen. Passmann auf der Bühne ist zunächst voller Energie. Sie lacht, sie springt, sie ist awkward – alles in vollen Zügen. Bin ich falsch abgebogen und bei einer Stand-Up-Comedy-Show gelandet? Nicht schlimm, unterhaltsam ist es schon. Aber jeder Witz hat eben auch eine traurige Kehrseite: Auch ich stand schon in ihren Schuhen. Die meisten anderen Frauen hier haben auch im Nachhinein darüber gelacht, was sie für absurde Opfer für Männer gebracht haben. Alle haben wir darüber gelacht, wie wir uns selbst in den vermeintlichen Erwartungen an unser Leben, Körper und Beziehungen verloren haben. „Teenager-Phase“ oder „Dummheit“ eben? Doch so einfach ist es nicht. Wenn es jeder so geht, ist es kein individuelles Problem; es ist und bleibt systematisch. Und das zeigt Passmann hier eindrücklich: Sie steht vor uns als selbstbewusste, erfolgreiche und wunderschöne Frau – und auch sie hat das erlebt. Es kommt eben nicht auf die individuelle Frau an. Es ist nicht ihre und nicht unsere Schuld, sondern die Auswirkungen von Jahrhunderten an patriarchalen Systemen.
Ohne Spoiler lässt sich sagen, dass das Bühnenstück nicht nur lustig bleibt. Am Ende fließen bei meiner Begleitung Tränen und meine Augen sind auch nicht wirklich trocken geblieben. Sophie Passmann schafft eine Gemeinschaftserfahrung für alle Frauen. Stehender Applaus und fliegende Rosen fühlen sich nur richtig an.
Danke Sophie.
Die Spielzeit von Pick Me Girls wurde vor Kurzem verlängert und neue Tickets für Januar und Februar veröffentlicht. Sophie Passmann hat auf Instagram angedeutet, dass das Stück 2025 auf Tour in Deutschland gehen könnte.
Foto © Jörg Brügemann.