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Kulten wir die RAF? „Ulrike Maria Stuart” im Deutschen Theater

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Ende Februar diesen Jahres ist Daniela Klette, eine RAF-Terroristin der dritten Generation, in Berlin-Kreuzberg festgenommen worden. Fast genauso lange schon hängt im Deutschen Theater Ulrike Maria Stuart in einem neonbeleuchteten Glaskäfig von der Decke und streitet zwischen den Gräbern toter RAF-Mitglieder mit Königin Elisabeth I. Gudrun Ensslin um Selbstbestimmung, Staatsmacht und den Terrorismus.

Die Autorin Elfriede Jelinek spiegelt in ihrem Stück zwei historisch umstrittene Frauenbeziehungen: auf der einen Seite Elisabeth I., Königin von England und Maria Stuart, die 1587 auf Elisabeths Befehl hingerichtet wurde, auf der anderen Seite Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, zwei bereits verstorbene Linksterroristinnen. Im Theater verschmelzen sie – zu Ulrike Maria Stuart und einer Königin, die erst zum Schluss zu Gudrun benannt wird.

Im Stück erheben sich die beiden Frauen zu Göttinnen – das stößt auf. Es kommt zu bedeutungsschweren Monologen, Orgasmen an kleinen Vulkanen auf dem Bühnenfriedhof, zu minutenlangem stillen Betrachten und zu einem Chor gollumartiger Untoter.Richten tue ich mich schon selbst“, erklärt Ulrike Maria Stuart, „aber nach wem, nach was?” So ähnlich bleiben auch die Zuschauer*innen zurück, verwirrt und irgendwie beeindruckt, denn so merkwürdig, so kritisierbar es ist, diese beiden RAF-Terroristinnen als Königinnen zu inszenieren, besonders da das Thema heute wieder so gegenwärtig ist, so gelingt durch diese Überhöhung doch immer wieder auch Kritik an ihrem Vorgehen und an der Unfähigkeit zur Selbstkritik der terroristischen Vereinigung. Die RAF ist wieder in aller Munde, jetzt, wo noch entschiedener nach Daniela Klettes Komplizen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub gefahndet wird.

Gleichzeitig wird verhandelt, was diese berühmteste erste RAF-Generation hinterlassen hat. Ulrike Maria Stuart und Gudrun, die Königin, finden sich im Stück in der JVA Stuttgart-Stammheim wieder, in der sich Ulrike Meinhof nach Jahren der Haft 1976 das Leben nahm. Gudrun Ensslin starb ein Jahr später auf dieselbe Weise 1977. Über diese Schlinge verhandeln die Figuren die letztendliche Ablehnung der Gruppe gegenüber Ulrike Meinhof, die das Attentat auf das Springer-Hochhaus 1972 verteidigte.

Jelineks Stück „Ulrike Maria Stuart”, uraufgeführt 2006, und 2024 in erheblich gekürzter Fassung von Pinar Karabulut am Deutschen Theater inszeniert, ist ein Versuch der Auseinandersetzung. Es schwankt zwischen Verständnis und Unverständnis dafür, diese beiden Frauen sprechen zu lassen, ihre Berichte, ihre Rechtfertigungen zu hören. Eine klare Handlung gibt es nicht und nicht immer wird deutlich, was gemeint ist. Beispielsweise, wenn die Königin in einer Art Tropfsteinhöhle die Toten auferstehen lässt oder wenn Ulrike Maria Stuart beschwört, dass mit ihrem Tod die letzten Götter verschwunden sein werden, dass eine solche Veränderung, wie sie die RAF zu bringen versuchte, nicht mehr möglich sein wird. Ob sie damit Kritik an den heutigen Linken übt? Es ist schwierig, auseinanderzuhalten, wann die Figuren sprechen und wann von außen auf sie geschaut wird, aber vielleicht ist genau das der Punkt. So sehr die Protagonistinnen versuchen, das Vorgehen der RAF zu rechtfertigen, so klar wird, wie unmöglich das ist. Ulrike Maria Stuart versucht, Selbstkritik zu üben am Vorgehen der Gruppe, doch die Königin, an ihrer Seite kniend, mahnt, die Gruppe habe nur bestehen können, weil man stets nur Außenstehende kritisierte.

Das Stück hinterlässt die Frage, wie eine Auseinandersetzung mit der RAF erfolgen kann, die die beiden Terroristinnen nicht zu Ikonen erhebt. Oder ob vielleicht erst genau dieses Idolisieren eine Diskussion ermöglicht, denn die beiden haben schließlich jahrelang Westdeutschland beschäftigt, waren mächtige Frauen, die für „die Sache” schreckliche Dinge taten. Und an ihrem Streit, ihrer Zersplitterung, meint man auch die heutige Zersplitterung der Linken zu erkennen. Geschichte wird eben auch über Kunst, wie hier im Theater, verhandelt: Wo Momente des Widerspruchs, des Humors, der Stille gefunden werden. Genau hier, im Theater, kann ein Publikum die Unbequemheit aushalten, wenn Ulrike Maria Stuart sich in ihrem Glaskäfig vor Wut oder Zerrissenheit hin und her wirft, kann lachen über schwarzen Humor und die Absurdität der Inszenierung zulassen. Einen solchen Raum ermöglicht die künstlerische Auseinandersetzung. Einen Raum, wo Ulrike Maria Stuart und Gudrun, die Königin, auferstehen und streiten können und so eine Diskussion anstoßen: Über die Vergangenheit der RAF und die Zukunft der Linken.


Foto: Eike Walkenhorst