Nazlı und Diren vom Young Migrants Blog erzählen von ihren Eindrücken der Demos gegen Rechts und dem Wunsch nach mehr Solidarität in der weißen Mehrheitsgesellschaft – Wer ist das Wir” in Wir halten zusammen”?

„Ich dachte mir: ‚Was hast du erwartet? Was haben wir alle erwartet?’ Irgendwie hat es mich nicht überrascht.” Diren zuckt mit den Schultern, als sie von ihrer Reaktion auf die Correctiv-Recherche erzählt, die im Januar diesen Jahres hohe Wellen schlug. Das Medienhaus berichtete von einem sogenannten Geheimtreffen in Potsdam: AfD-Vertreter*innen und CDU Politiker*innen sollen gemeinsam mit großen Namen der rechstextremen Szene an möglichen Pläne zur „Remigration”, also der Vertreibung von Geflüchteten ebenso wie deutschen Staatsbürger*innen gearbeitet haben. „Akute Angst ist immer da, deswegen hat die Recherche nicht viel bei mir geändert”, sagt Diren.

Auch die 25-jährige Nazlı aus Köln teilt Direns Eindruck. „Ich hatte gemischte Gefühle. Ich war vor allem erstmal schockiert über den Bericht, und gleichzeitig inhaltlich auch wieder nicht. Ich habe im ersten Moment aktive Angst und Bedrohung gespürt. Danach dominierten so etwas wie Ernüchterung und Enttäuschung. Natürlich geht es einem nicht gut damit, aber ich meine, derartige Pläne sind nicht neu. Dennoch haben solche Ideen durch die Repräsentation politischer Parteien, die auch im Bundestag vertreten sind, einen offiziellen Charakter angenommen.”

„Unglaublich performativ“

Young Migrants wurde Anfang 2017 von jungen Migrant*innen in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gegründet, um migrantischen Stimmen aus ganz Deutschland einen Raum für ihre Gedanken und Gefühle zu geben. Nazlı ist seit Dezember letzten Jahres Teil der Redaktion, Diren fand bereits einige Monate vorher ihren Platz bei Young Migrants. Im Rahmen der Beitragsreihe „Wutschriften” erzählt die 26-Jährige Charlottenburgerin von der Wut als junge Migrantin, die sie täglich begleitet. Im Rahmen des Blogs habe sie sich sicher gefühlt, ihre Worte zu teilen. Das ist nicht selbstverständlich, denn Wut ist eine Emotion, die besonders weiblich sozialisierten und nicht-weißen Stimmen allzu oft abgesprochen wird.

An den breiten Demos gegen Rechts, die im Januar 2024 laut Schätzungen der Online-Statistikplattform Statista rund 1,4 Millionen Menschen in ganz Deutschland auf die Straßen brachten, nahmen weder Diren noch Nazlı Teil. „Ich war auf keiner dieser Demos, aus einer Trotzhaltung heraus. Ich wollte mich davon abgrenzen”, erklärt Nazlı. Vor allem, weil es schon vorher Anlässe in Deutschland gegeben habe, um breite Protestbewegungen gegen Rassismus und Diskriminierung auszulösen. Der rechtsextreme Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven von einem Attentäter getötet wurden, ist nur ein Beispiel dafür. “Ich habe mir wirklich lange gewünscht, dass eine stabile, soziale Bewegung gegen rechts organisiert wird.”

Diren stört sich besonders an der Performativität der Gegen-Rechts-Demonstrationen. Die Correctiv-Recherche sei ein Moment für die weiße Mehrheitsgesellschaft gewesen, sich die Hände reinzuwaschen. „Ich möchte niemandem unterstellen, nicht aus den richtigen Gründen an den Protesten teilgenommen zu haben, aber es wirkt in solchen Momenten unglaublich performativ.” Für sie entstand der Eindruck einer einmaligen Positionierung, vor allem von Seiten weißer Mitmenschen: „‚Ich war auf der Demo gegen rechts, hier ist meine Story auf Instagram. So, jetzt wisst ihr Bescheid.’ Das fand ich ein bisschen albern.” Sie wollte kein „Token” sein, kein Beweis für die Diversität der Demonstrationen nach dem Motto: „‚Guckt mal, wir haben jetzt auch noch eine türkische Migra hier.’”

Friede, Freude, doppelte Standards?

Auch mit der Haltung großer politischer Parteien hadern die beiden. Laut Nazlı sei es natürlich begrüßenswert, dass der Bundeskanzler persönlich bei den Protesten präsent war. Doch ein Kanzler, der noch kurze Zeit zuvor mit dem Zitat „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben” auf dem Spiegel Cover prangte und dessen Regierung sowohl an der europäischen Asylreform, als auch am Rückführungsverbesserungsgesetz beteiligt war, mache die Bewegung gegen Rechts für sie wenig vertrauenswürdig. „Sowas vermittelt auf brachiale Weise, wer zu uns gehört und wer nicht. Die Rechnung geht so nicht auf für mich.”

„Du kannst nicht auf eine Demo gehen und sagen ‚Ich stehe mit allen Migrant*innen’ und dann gleichzeitig Bezahlkarten einführen, damit sie ihr Bargeld nicht an Familie schicken können, die im Ausland oder auf der Flucht ist”, fügt Diren hinzu. Gemeint sind damit die kürzlich bundesweit eingeführten Bezahlkarten. Durch sie erhalten Geflüchtete und Asylbewerber*innen einen Teil der staatlichen Leistungen als Guthaben statt wie bisher als Bargeld. Nicht nur der aktuelle Kurs der deutschen Migrations- und Asylpolitik, sondern auch die Ausgrenzung propalästinensischer Stimmen auf den Gegen-Rechts-Demos selbst machen Diren wütend. „Ihnen wurde gesagt, es gebe keinen Raum für sie, obwohl viele von ihnen schwere Diskriminierungserfahrungen machen. Okay super, ihr wollt also auch nur bestimmte Migrant*innen und auch nur in einem bestimmten Tonfall.”

Weiße Solidarität

Diren erfuhr Anfang des Jahres durchaus auch viel Solidarität von weißen Freund*innen und Kolleg*innen, vor allem auf Social Media. Eine breitere Reflektion der eigenen Privilegien und Verantwortung im Kampf gegen Diskriminierung vonseiten der weißen Mehrheitsgesellschaft, wie sie zur Zeit der Black Lives Matter Demonstrationen im Frühjahr und Sommer 2020 stattfand, blieb jedoch aus. Nazlı überlegt eine Weile, woran das liegen könnte, doch findet keine Antwort. „Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, wieso die Beschäftigung mit den eigenen Privilegien abgenommen hat.” Das politische Klima in Deutschland mache es weißen Personen bequem, die Unsichtbarkeit ihrer Privilegien zu halten – denn sie wahrzunehmen erfordere einen aktiven Perspektivwechsel. Weißsein ist in unserer Gesellschaft die Norm. Es sind die Abweichungen der Norm, die unweigerlich auffallen und überhaupt erst die Kategorie des Nicht-Weißseins aufmachen.

Dabei gebe es laut Nazlı genügend Situationen, in denen man als weiße Person für BiPoCs einstehen und sich positionieren könne. Unser Alltag sei gespickt mit Berührungspunkten mit rechtem Gedankengut, das es als Teil unserer Gesellschaft anzuerkennen gilt. Egal ob in der U-Bahn oder im Gespräch mit Nachbar*innen: Anprangern und darauf aufmerksam machen. Hinderlich dafür sei vor allem Scham, etwas Falsches zu sagen. „Mir ist aufgefallen, dass es auch in meinem Arbeitsumfeld oder im akademischen Umfeld immer noch sehr schambehaftet ist, über eigene Privilegien, Rassismus und Diskriminierung zu sprechen”, berichtet Diren. Grund dafür sei der Unmut, sich rassistische Prägungen einzugestehen oder der Glaube bei Diskussionen über Diskriminierung erst mit gewisser Bildung mitreden zu dürfen. Diren sieht das anders: „Ich finde es in Ordnung, Fehler zu machen, in Diskussionen reinzugehen und eines Besseren belehrt zu werden.”

Denn allzu oft werde die Aufgabe, über weiße Privilegien nachzudenken, an die migrantische Gesellschaft abgewälzt. Es sei selbstverständlich wichtig und richtig BiPoCs zuzuhören und ihnen eine Plattform zu geben, doch es gebe bereits unzählige Bücher, Podcasts und Materialien zum Thema Rassismus und weißen Privilegien – ein solches Bildungsangebot nicht wahrzunehmen, lasse Diren im heutigen Zeitalter nicht mehr gelten, vor allem, da sie selbst schon genug mit dem Prozess ihrer eigenen Identitäts- und Selbstfindung zu tun habe.

Zum Rechtsruck in Deutschland, zu den Gegen-Rechts-Demos und der Kritik an ihnen ist alles gesagt. Zurück bleibt ein Wunsch: „Ich wünsche mir, dass mehr weiße Menschen Empathie zeigen und sich fragen: ‚Wie kann ich helfen?’. Dass sie Eigeninitiative zeigen und Solidarität anhand von Worten widerspiegeln.”


Illustration: Ana Angéles