In Deutschland ist die Meinungsfreiheit im Grundgesetz festgelegt. Daher steht es allen Menschen offen, sich beispielsweise kritisch über sprachliche Phänomene zu äußern. Dennoch verunsichert die sogenannte „Sprachpolizei” das Gewissen mancher um eine freie Meinungsäußerung.
Sprache ist oft ein unbewusster Teil des Alltags, doch selbst alltägliche sprachliche Handlungen können große Wirkung haben. „Schokokuss” und „N-Kuss” bezeichnen eigentlich das gleiche und trotzdem haben sie sehr unterschiedliche Konnotationen. Während das N-Wort viele Menschen verletzt und koloniale Traumata reproduziert, stellt „Schokokuss” für andere eine Provokation dar. Sie rufen empört: „Man weiß ja gar nicht mehr, was man noch sagen darf.” Manche sind sich sehr sicher, dass es eine „Sprachpolizei” in Deutschland gibt. Der Vorwurf dahinter: Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Aber wer genau ist diese „Sprachpolizei”?
Der Begriff „Sprachpolizei” wird häufig in rechten Kreisen verwendet, wenn sich beispielsweise von Rassismus Betroffene oder Allies kritisch über diskriminierende Bezeichnungen, wie zum Beispiel das N-Wort, äußern. Oft wird auch der abwertende Ausdruck „woke Eliten” als Ursprung der „Sprachpolizei” genannt. Die Aussage, es gäbe eine „Meinungsdiktatur”, ist Teil der rechten Strategie, diskriminierende Aussagen zu relativieren oder gendergerechte, diskriminierungssensible und rassismuskritische Sprache zu diskreditieren. Zudem lenkt der Vorwurf, es gäbe eine Sprachpolizei, von dem eigentlichen Inhalt der ursprünglichen Debatte ab. Wenn die Kritik von rechts geäußert wird, kommt die „Sprachpolizei” dann von links?
Manche geben den Menschen, die sich für diskriminierungssensible Sprache einsetzen, die Schuld für das Erstarken der Rechten. Das wurde zum Beispiel auch schon der Partei Die Linke vorgeworfen, mit dem Argument, sie würden durch das „Gendern” die Arbeiter*innen gegen sich aufbringen und zu rechten Parteien wandern lassen. Interessanterweise liefern aber auch Personen, die gegen gendergerechte Sprache sind, den Rechten Kohle für das Feuer ihrer Zensurvorwürfe. Das passierte beispielsweise, als Horst Seehofer (CSU) den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle als „Sprachpolizisten” bezeichnete, nachdem sich Voßkuhle kritisch über Seehofers Ausdruck der „Herrschaft des Unrechts” im Kontext der Einreise von Geflüchteten geäußert hatte. Seehofer verstärkt mit der Bezeichnung „Sprachpolizist” das rechtspopulistische Narrativ „Wir gegen die da oben” und schürt das Misstrauen gegenüber demokratischen Prozessen in Deutschland.
Die Journalistin Thembi Wolf macht in einem Kommentar im Spiegel deutlich, dass das Aushandeln politisch korrekter Sprache nicht zwischen „Eliten” und „Arbeiter*innen” stattfinde, sondern zwischen gestern und heute. Die Veränderung von Sprache sei ein Zeichen der Veränderung von Gewohnheiten. Dabei sei es verständlich, dass eher jüngere Generationen aufzeigen würden, welche Begriffe nicht mehr angemessen oder diskriminierend seien. Also kommt die „Sprachpolizei” eigentlich aus der „Jugend von Heute”? Erst vor kurzem machte Markus Söder (CSU) deutlich, dass die „Sprachpolizei” auch aus der konservativen Ecke kommen kann, indem er das Verbot von „Gendersprache” an öffentlichen Institutionen verkündete. Damit toppt Söder fast seine geliebte „Verbotspartei”, aka „die Grünen”!
Weil Sprache so ein essentieller Teil des Alltags ist, kann es verunsichern, wenn neue Begriffe entstehen oder andere hinterfragt werden. Doch Sprachwandel findet in allen Klassen und Gesellschaften statt. Ein perfektes sprachliches Handeln wird es nie geben und genau deswegen ist es umso wichtiger, sich selbst einzugestehen, dass man immer weiter lernen kann. Wer in Diskussionen das Argument der „Sprachpolizei” nutzt, hat vielleicht Angst davor, Fehler zu machen, oder möchte die gesellschaftlich-soziale Machtposition und Privilegien nicht verlieren und scheut sich daher vor Selbstreflexion. Mittlerweile gibt es aber auch viele Quellen, über die man sich informieren kann. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen haben beispielsweise ein Glossar mit Formulierungshilfen, Erläuterungen und alternativen Begriffen für die Berichterstattung erstellt. Das darf natürlich auch im privaten Kontext genutzt werden.
Das Glossar ist abrufbar unter glossar.neuemedienmacher.de
Illustration: Carlotta Vorderwuelbecke