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Austritt aus der Linkspartei: „Ich hatte das Gefühl, meine Arbeit ist wertlos geworden” 

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Lilly Talika Möhr, genannt Talika, ist 20 Jahre alt, studiert Deutsch und Mathematik auf Lehramt an der HU und ist seit 2021 Teil der Partei Die Linke, in der sie bis zum Zeitpunkt der Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht aktives Mitglied war. Über Die Linke in der Krise, politische Arbeit und kein Entkommen vor Wagenknecht.

UnAuf: Warum hast du dich für Die Linke entschieden? 

Talika: Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die eher links orientiert war, da bin ich quasi mit der Partei aufgewachsen. Außerdem: Je älter man wird, desto mehr merkt man, wie viel Ungerechtigkeit es in der Welt gibt und wie viel schiefläuft. Ich hatte damals das Gefühl, ich teile dieselben Werte wie viele Parteimitglieder und kurz nach der Bundestagswahl 2021, in der Die Linke 4,9% geholt hat, bin ich eingetreten. Da dachte ich, es wäre so schade, wenn Die Linke nicht länger Teil des Bundestags wäre. Das war meine Motivation: Die Linke wieder stark zu machen.

Der Kern vieler Parteien in Deutschland ist in der Regel sehr alt. Wie war die Parteiarbeit für dich als junge Person?

Talika: Die Genossen in Weißensee sind tatsächlich größtenteils Rentner. Neben denen gibt es aber auch sehr viele Leute, die zwischen 15 und 30 Jahre alt sind, die Generation dazwischen fehlt eher. Diesen Generationenunterschied zu überwinden war eine Herausforderung. Man merkt einfach, die Älteren haben ganz andere Methoden, wie man Leute überzeugt, wie man mit ihnen spricht. Andererseits haben wir gemerkt: Anstatt miteinander zu streiten, können wir die beste Methode zur Zusammenarbeit finden. Wie kann man am besten Leute von der Linken überzeugen?

Was hast du durch deine ehrenamtliche Arbeit gelernt? Wie hat diese Zeit deine Persönlichkeit geformt? 

Im Gespräch mit den Leuten an den Infoständen habe ich am meisten gelernt. Menschen haben einfach unfassbar viel Redebedarf. Das klingt jetzt sehr negativ, aber ich meine es tatsächlich eher so, dass die Menschen große Probleme haben und gar nicht wissen, wem sie das erzählen sollen. Die haben das Gefühl, sie werden von der Politik nicht gehört, haben aber niemanden, der überhaupt einen Draht zur Politik hat. Es ist so wichtig Leuten zuzuhören, auf sie einzugehen und auch authentisch zu sein. Menschen merken sofort, ob ich ihnen jetzt wirklich zugehört habe oder ob es mir nur darum geht, einen weiteren Wähler abgeholt zu haben. Ich habe aber natürlich auch klassische Fähigkeiten gelernt. Im Sinne von: Veranstaltungsplanung, Social-Media-Posts. Das könnte man aber auch in jeder anderen Partei lernen. Das ist jetzt nicht typisch für Die Linke, in einer anderen Partei wäre ich nur vielleicht dafür bezahlt worden (lacht).

Jetzt bist du nun nicht mehr aktiv in der Partei. Was hat dazu geführt, dass du dich zurückgezogen hast?

Ich hatte das Gefühl, meine Arbeit ist wertlos geworden. Du kannst 100 Stunden an einem Infostand stehen, wenn aber eine Person aus den vorderen Reihen der Linken etwas Falsches sagt, sind diese ganzen 100 Stunden umsonst gewesen. Die haben so viel mehr Einfluss auf die Bürger als du an deinem kleinen Infostand. Das ist etwas, was ich nur sehr langsam begreifen musste. Am Anfang hatte ich noch sehr viel Hoffnung und habe gedacht, es würde alles noch werden, auch die Umfragewerte. Dann habe ich aber eine Partei erlebt, die sich immer mehr zerstritten hat und die intern immer feindlicher geworden ist. Nicht nur auf der Bundesebene, sondern immer mehr in unserem Bezirksverband. So schade es klingt, gerade sehe ich tatsächlich keine Hoffnung mehr in dieser Partei.

 Am 23.10.2023 ist Sahra Wagenknecht aus der Linken ausgetreten und hat kurz danach ihre eigene Partei gegründet. Wie wurde dieser Prozess innerparteilich kommuniziert?

Also ich muss sagen, für mich kam das gar nicht plötzlich. Im Bezirk an sich wurde das nicht wirklich mit uns abgesprochen, aber mein Bezirksverband war ihr gegenüber eher negativ eingestellt. Einzelne waren noch sehr dankbar für das, was sie früher zur Partei beigetragen hat. Sie ist einfach eine linke Ikone. Aber der Austritt kam nicht sonderlich schlecht an, insgesamt hat uns das wenig überrascht und hat uns nicht wirklich Mitglieder gekostet.

Glaubst du, durch ihren Austritt fehlt der Linken etwas? 

In gewisser Weise schon. Ich hatte das Gefühl, dass Sahra Wagenknecht trotz allem unfassbar gut darin ist, sozialpolitische Zusammenhänge einfach zu erklären. Viele Rentner sind beispielsweise sehr große Anhänger von Sahra Wagenknecht, weil sie sich sehr viel mit der Rentenpolitik befasst hat, diese Zusammenhänge und wie man eine Lösung dafür findet, sehr einfach erklären kann. Ich glaube, dass wir so eine Person in der Partei ansonsten nicht haben. Außerdem ist sie eine unfassbar intelligente Frau, das kann man nicht anders sagen. Ich glaube tatsächlich, dass die Abspaltung von Sahra Wagenknecht dieser sozialpolitischen Stimme, diesem sozialpolitischen Image der Partei schon geschadet hat. Am Infostand wurde immer wieder gefragt: ‚Was ist denn jetzt eigentlich mit Sahra Wagenknecht? Was macht ihr mit der? Könnt ihr der nicht mehr Aufmerksamkeit geben? Könnt ihr der nicht weniger Aufmerksamkeit geben?’ Ich musste so unfassbar viel über Sahra Wagenknecht sprechen (lacht). Da merkt man natürlich, wie sie polarisiert. Man wusste, wer sie ist. So jemanden haben wir nun nicht mehr.

Glaubst du, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht nur Symptom einer tieferen Zerrissenheit in der linken Bewegung ist? 

Ich bin in die Partei eingetreten, weil ich das Gefühl hatte, dass dieselben Werte geteilt werden. Trotzdem habe ich sehr viele Streitigkeiten in der Partei miterlebt, sei es privat oder öffentlich auf dem Parteitag. Ich hatte sehr oft das Gefühl, es geht nicht mehr um Ideenaustausch, sondern darum, das Publikum für sich zu gewinnen. Wir sind alle dafür, dass jeder Mensch in Deutschland seine Grundbedürfnisse erfüllen kann, dass wir in einem friedlichen Land leben, in dem sich jeder eine Wohnung leisten kann. Ich glaube, das sind Punkte, auf die sich jeder Mensch einigen kann. Anhand dessen könnte man meinen, dass es eigentlich total einfach wäre, politische Entscheidungen zu treffen. Aber dann gibt es die Frage: Wie macht man das? Ich persönlich finde, daran verzettelt man sich total und vergisst immer wieder, dass man doch eigentlich dasselbe Ziel hat und sich so sehr zerstreitet, dass es gar nicht mehr so wirkt.

Auch wenn du derzeit hoffnungslos bist: Was wären Wünsche von dir für Die Linke in der Zukunft? 

Ich würde mir wünschen, dass sich Die Linke mehr mit tatsächlichen Grundproblemen der Bürger auseinandersetzt. Was ich zum Beispiel jetzt mitkriege ist, dass in der Linken sehr viel über Palästina und Israel diskutiert wird – was ein wichtiges Thema ist, keine Frage. Aber eine alleinerziehende Mutter, die ihre Miete nicht zahlen kann, beschäftigt sich nicht damit. Wenn man solche Themen aufspielt, hast du immer wieder Bürger, die von der Politik enttäuscht sind und sich fragen: ‚Warum redet denn keiner über das Problem, was ich jetzt habe?‘ Ich würde mir wünschen, dass Die Linke das wieder mehr schaffen würde, dass Leute Vertrauen in die Politik haben. Es gab mal eine Person in der Linken, die hat für den Vorsitz kandidiert und die hat gesagt, sie würde gerne eine Nichtwähler-Strategie einführen. Ich war total dafür, weil ich es super wichtig finde, dass Menschen wieder gerne zu einer Wahl gehen, dass sie merken: Meine Stimme hat eine Bedeutung. Bevor ich in der Linken war, habe ich zum Beispiel gar keine Ahnung gehabt, wer in der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow sitzt. Ich habe die Leute nie gesehen, ich hatte keine Ahnung, was die machen. Ich würde mir viel mehr offene Kommunikation wünschen. Wenn man mehr mit den Menschen darüber redet, warum man jetzt so politisch agiert, gewinnt man mehr Vertrauen. Dann sind die Leute positiver der Politik gegenüber eingestellt, als wenn man einfach alles heimlich macht und nicht darüber redet. Eine Linke auf Augenhöhe.


Foto: Talika Möhr