Die Frage nach der Herkunft hat sich zum Aufmacher vieler Gespräche gemausert.  Doch dahinter steht selten aufrichtiges Interesse, sondern ein anderes Phänomen: Alltagsrassismus. 

An einem verregneten Oktoberabend stehe ich in Berlin-Schöneberg vor dem Eurogida Supermarkt gegenüber des U-Bahnhofes Berliner Straße und erwarte schnellen Herzschlages mein Date. Eigentlich sträubt sich jede kleinste Faser meines Körpers gegen online ausgemachte Treffen. Doch meine Aufregung scheint umsonst, denn gekonnt überwinden wir den gezwungenen Small-Talk und hüllen uns in lockeres Gelächter. Bis mein Gegenüber abrupt innehält und mich eindringlich ansieht, so als wäre ich urplötzlich irgendeinem Filmstreifen entsprungen: „Sag mal, du bist nicht ganz deutsch, oder?“ Obwohl ich den unvermittelt gestellten Vorwurf verneine, scheint meine klare Antwort alles andere als befriedigend zu sein: „Aber deine Eltern kommen doch irgendwo anders her, oder?“

Rassismus ist kein Einzelfall

Eine brodelnde Hitze steigt in mir auf und mein Herz fängt unweigerlich an zu pochen. Mit unangenehmer Hartnäckigkeit und taktlosem Nachdruck nimmt mich meine Verabredung ins Kreuzverhör. Er durchbohrt meine gute Stimmung, sein guter Eindruck bei mir zerspringt in tausend Stücke. Das ist leider kein unglücklicher Einzelfall, sondern zur lästigen Gewohnheit geworden.

Anspielungen und übergriffiges Nachhaken und Nachbohren um meine Herkunft kommen von überall her: „Du kommst nicht ganz aus Deutschland, oder?“ entgegnet mir eine Kommilitonin auf einem Ersti-Treffen irritiert. Mit der Frage „Kommst du aus Syrien oder dem Iran?“ stellt mir ein Nachbar im Hausflur ein nicht-deutsches Ultimatum. Ein anderes Mal werde ich mit anerkennendem Lob über meine überraschend gute deutsche Ausdrucksweise überschüttet, „Du siehst gar nicht so aus, als könntest du so gut Deutsch sprechen!“ 

Um meine Herkunft kursiert ein ominöses Rätsel von hoher Nachfrage. Mit ausgestrecktem Zeigefinger und in Begleitung von stigmatisierten Sprüchen wird mir immer wieder die Diagnose des Anders-Seins gestellt. Den Deutsch-Check bestehe ich in den seltensten Fällen.

Schlucken und Schweigen?

Wie reagiere ich angemessen? Mal wurde ich wütend, mal war mir schon zum Weinen zumute. Oft habe ich mich dabei so gefühlt, als würde ich ein Geheimnis eingestehen: Mist, ertappt! Der Detektiv entlarvt den Exoten. Mit eifrigem Nicken der Fragenden nahm die Inquisition dann ein zufriedenstellendes Ende. Dass ich Widerworte geben kann, anstatt beschämt meinen Kopf zu Boden zu senken, wurde mir mit jedem neuen Erlebnis klarer. 

Den Reaktionen auf meinen Gegenwind mangelt es aber oft an Einsicht: „Ich frage doch nur aus Interesse!“, lautet das mir entgegnete Verteidigungsplädoyer fast immer. Die Hände zur Abwehr in die Höhe reißend wird versichert, dass man bloß aus reiner Neugierde frage. Meine Reaktion wird so gut wie immer runtergespielt, denn die Frage über meine Herkunft sei doch alles andere als böse gemeint gewesen. Ich sei zu empfindlich und überhaupt, meine Rassismus-Anklage sei eine äußerste Unterstellung. Um es mit anderen Worten zu sagen: Um die Aufarbeitung von Rassismus klafft noch eine große Lücke, denn Einsicht ist eine Ausnahme. 

Unverständnis ist ein Privileg

„Aber die Frage nach der Herkunft (…) bekundet meist kein Interesse an mir, sondern an der Bestätigung bestimmter Vorurteile.“ stellt Alice Hasters in ihrem Roman ,Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten’ fest. Rassismus entsteht über Vorurteile und Stereotypen, die als vorgeschnürte Pakete allezeit bereit zur Auslieferung sind. So ist die Herkunftsfrage von rassistischen Tönen begleitet, wenn sie ihren Ausgang in der Hautfarbe, Haarfarbe oder dem Namen einer Person nimmt. Rassismus ist so nicht nur Sache einer am Rande liegenden rechten Szene voller Nazis, sondern infiziert die Gesellschaft unbemerkt aus der Mitte der Bevölkerung. 

Äußerungen in Bezug auf die Herkunft werden nicht immer bewusst aus einem rassistischen Motiv heraus getätigt, sondern triefen vor Unwissenheit und Leichtfertigkeit. Sie können harmlos daherkommen und erst durch eine Beharrlichkeit, hinter das ‚Wirkliche‘ einer Herkunft kommen zu wollen, zum kleinen rassistischen Symptom werden. Majestätisch wird in solchen Fällen die Deutungshoheit darüber, was ‚normal‘ und ‚deutsch‘ ist, von einer weißen Mehrheitsgesellschaft eingenommen. Die mit Vorurteilen aufgeladene Zuordnung zieht eine klare Grenze zwischen den Menschen. Die Konturen des hinter dem Namen oder Aussehen stehenden Menschen verblassen. ‚Du gehörst nicht hierher‘, ‚Du bist anders als wir‘, sind die zwischen den Zeilen hallenden O-Töne, die mir während all den Erfahrungen meine deutsche Identität und Zugehörigkeit streitig gemacht haben. Sie sind eine „verbale Ausbürgerung“, so das Urteil der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung Ferda Ataman. Das Signum einer gesellschaftlichen Schieflage, in der Rassismus auf jeder Ebene wütet. Sich mit solchen Übergriffigkeiten nicht auseinandersetzen zu müssen, ist ein Privileg mit weißem Anstrich. 

#vonhier

Mit der Frustration um die Woher-Frage bin ich nicht allein; sie ist eine kollektive Erfahrung. Unter dem Hastag #vonhier teilen von Rassismus Betroffene auf Twitter ihre Ausgrenzungserfahrungen. Der Hastag vereint Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color, die unerwarteterweise – etwa im Supermarkt oder in Restaurants – verfremdet werden. Der stets wachsende Pool um den Hastag verdeutlicht, dass die Wahrscheinlichkeit für Alltagsrassismus nach wie vor sehr hoch ist. Die Voraussetzungen, um als deutsch gelesen zu werden, stehen auf Seiten der Blondhaarigen, Blauäugigen und Weißhäutigen.

In der Akzeptanz meiner Hierher-Antwort auf die Woher-Frage läge ein antirassistisches Gegenmittel:  Die Anerkennung meiner Identität, ungeachtet der arabischen Herkunft meines Vaters, meines außergewöhnlichen Namens, meiner dunklen Haare und Augen und meiner leicht gebräunten Haut. Stattdessen spüre ich tagtäglich eins: Ich falle auf. Die Summe der kleinen Erfahrungen hat einen Knoten in meiner Brust hinterlassen, der sich mit jedem Mal etwas fester zuzieht. Ihr Echo klingt ein Leben lang nach. Und so war das Date an jenem Abend nicht wie erhofft Balsam für mein Selbstwertgefühl, sondern nur weiterer Zündstoff einer Identitätskrise.

 


Foto: Elijah Sargent/unsplash