Das Tempelhofer Feld ist für viele Berliner*innen ein beliebter Naherholungsort. Dabei hat es auch eine dunkle NS-Vergangenheit – an die jedoch kaum erinnert wird. Das soll sich nun ändern.

In Berlin gibt es viele Orte die historisch aufgeladen sind. So auch das Tempelhofer Feld. Militärvergangenheit, früher einer der größten Flughäfen der Welt, Luftbrücke in der Nachkriegszeit – und auch Schauplatz von Naziverbrechen. Doch von letzterem haben die wenigsten bisher gehört, dabei ist Erinnerungskultur wichtig. Niemand will, dass sich die Geschichte wiederholt. Es gibt Orte der Sichtbarkeit dieser Geschichte, aber offenbar zu wenige.

„Das Tempelhofer Feld verbinde ich mit schönen Sonnenuntergängen und Bewegungsfreiheit“, erzählt die 22-jährige Julia. Sie macht eine ausschweifende Bewegung mit ihrem Arm über das Feld, während sie spricht. Mika, 28, steht auf seinem Skateboard: „Freiheit in der Stadt, Natur, Skaten“, das sind die Dinge, die ihm in den Kopf kommen zum Tempelhofer Feld. Er lacht und fügt noch hinzu: „Hier hat man irgendwie so ein Festival Feeling.“ Sein Kumpel Tim nickt zustimmend. Mira ist 36 und wohnt seit 10 Jahren in Berlin. Über das Feld sagt sie: „Ich wohne hier in der Nähe, also ist das irgendwie mein Garten.“ Und so sehen es die meisten Menschen, die ihre Freizeit auf dieser riesigen Grünfläche mitten in Berlin verbringen. Die ersten Assoziationen mit dem Tempelhofer Feld haben mit Freiheit und Spaß zu tun.

„Das ist ein krasser Ort“

Nur dem 36-jährigen Berliner Marko kommen etwas trübere Gedanken: “Das ist ein krasser Ort für Berlin, wenn man mal an die Geschichte und die Entwicklung denkt.” Mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Tempelhofer Flughafens und des Feldes kennt er sich gut aus. Wenn sonst jemand was über die Geschichte des Ortes weiß, hat es meistens mit den Alliierten, dem Kalten Krieg und der Luftbrücke zu tun. Kaum jemand der sich dort aufhaltenden Menschen scheint die Nazigeschichte des Feldes und des Flughafens zu kennen. Obwohl hier, an der Stelle des ehemaligen Flughafens, das KZ Columbia stand, das einzige KZ innerhalb der Stadt Berlin. Daneben, auf der heutigen Freizeit- und Erholungsfläche des Feldes standen außerdem Zwangsarbeiter*innenlager, die während des 2. Weltkrieges ebenfalls von den Nazis errichtet wurden.

Nationalsozialistische Grausamkeit

Seit 1933 war das Columbia-Haus ein Gestapo Gefängnis. Ein Jahr später, 1934 wurde es  der SS unterstellt und war somit ein Konzentrationslager. Die Häftlinge im Lager mussten Folter und Qualen durch die SS-Offiziere erleiden. Zunächst wurden hier vor allem politische Gefangene festgehalten, später sperrten die Nationalsozialisten auch viele homosexuelle Menschen Berlins dort ein. Als das KZ 1936 aufgrund der Planungen für den Flughafen aufgelöst wurde, umfasste die Zahl der dort Inhaftierten etwa 8.000 bis 10.000 Menschen. Unter ihnen waren Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Jüd*innen, Homosexuelle, Intellektuelle, Künstler*innen und viele mehr, die die Nazis als Bedrohung ihrer Weltordnung ansahen.

Der vorher zivile Flughafen Tempelhof war seit 1939 Ort des Rüstungsaufbaus der Luftwaffe der Nationalsozialisten. Unter dem Reichsluftfahrtministerium (RLM) bauten hier die Lufthansa AG und die Weserflugzeug GmbH Flugzeuge im dafür umgerüsteten Flughafen Tempelhof und auf dem Flughafengelände. Für diese Arbeit wurden Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Schätzungen zufolge waren in den Zwangsarbeiter*innenlagern auf dem Tempelhofer Feld etwa 20.000 Menschen interniert. Diese mussten unter schrecklichen Bedingungen leben und arbeiten.

Reinhard Bernbeck ist Archäologe und Professor an der Freien Universität Berlin und war maßgeblich an Ausgrabungen der Reste der Arbeiter*innenlager von 2012 bis 2014 auf dem Tempelhofer Feld beteiligt. Er berichtet von einer traurigen Paradoxie: Viele der Zwangsarbeiter*innen kamen aus Polen oder der Sowjetunion und mussten die Flugzeuge zusammenbauen, mit denen dann im Krieg ihre Familien angegriffen wurden. Aber nicht nur diese Erfahrung war für die Zwangsarbeiter*innen und Gefangenen traumatisch. Die Zustände, in denen sie in den Baracken lebten, waren unmenschlich. Männer, Frauen und Kinder jeden Alters wurden zu mehr als zwölf Stunden langen Arbeitsschichten gezwungen. Sie arbeiteten meistens bis zur absoluten körperlichen Erschöpfung. Viele dieser Menschen starben an den Folgen von Krankheit, Hunger und Kälte. Während des Krieges wurde auch der Tempelhofer Flughafen stark bombardiert. Die Produktion stoppte allerdings nicht, sondern wurde in unterirdische Tunnel und Frachträume verlegt. Die Baracken der Zwangsarbeiter*innen wurden fast vollständig zerstört. Deshalb mussten sie ab 1942 in den Hangars des Flughafens und in den unterirdischen Arbeitsstätten schlafen – ihre Unterkünfte wurden nicht ersetzt. Andere mussten Schutz in den Splitterschutzgräben auf dem Feld suchen, die nur wenig Sicherheit bieten konnten.

Archäologische Ausgrabungen von Arbeiter*innenlagern

Zumindest zeitweise wurde die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Ausgrabungen von 2012 bis 2014 auf diese dunkle Zeit der Geschichte des Tempelhofer Feldes gelenkt. In der Südwestecke des Feldes fanden Reinhard Bernbeck und sein Team zum Beispiel Zwangsarbeiter*innenlager, die hauptsächlich von der Weserflugzeug GmbH unterhalten wurden. Wertvoll für die Rekonstruierung der Geschichte sind diese archäologischen Funde, wie Reinhard Bernbeck hervorhebt, weil durch sie der Alltag in den Lagern nachvollzogen werden kann. Die Bearbeitung und Beurteilung der dort gefundenen Materialien sind allerdings noch nicht abgeschlossen. Es ist aber sicher, dass sich an der Stelle der Grabungen Zwangsarbeiter*innenlager befanden, in denen Kriegsgefangene untergebracht waren. Der Archäologe erklärt, dass zum Beispiel gefundene Zaunanlagen, die genau den bekannten Nazi-Vorschriften für die Unterbringung von Kriegsgefangenen entsprachen, ein sicheres Anzeichen dafür seien. Es handele sich bei den Zäunen um unterirdische Stacheldrahtzäune, die ein Durchgraben und somit die Flucht der Zwangsarbeiter*innen verhindern sollten. Die Motivation Reinhard Bernbecks für die Ausgrabungen und deren Thematisierung hat auch etwas mit Erinnerungskultur zu tun: „Wir haben das Ziel die Geschichte mittels archäologischer Reste sichtbar zu machen.“

Erinnerungskultur

Warum die Sichtbarmachung der NS-Vergangenheit wichtig ist, erschließt sich schon aus dem kaum vorhandenen Wissen der meisten Besucher*innen des Feldes. Beate Winzer ist Politologin und Vorsitzende des Fördervereins für ein Gedenken an die Naziverbrechen auf dem Tempelhofer Flugfeld e.V. Sie betont, dass das Gedenken an die Geschichte dieses Ortes wichtig sei, “weil das die Grundlage unserer modernen Gesellschaft ist”. Der Verein setzt sich für die Sichtbarkeit der NS-Vergangenheit rund um das ehemalige Flughafengelände ein. Anlass für die Gründung 2010 war es, offizielle Fördergelder beantragen zu können und somit die Möglichkeiten für das Erreichen dieses Ziels zu vergrößern. Diese Mittel werden genutzt, um Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam auszutragen.

Einige Orte des Gedenkens an die NS-Geschichte des Tempelhofer Feldes gibt es bereits. Die Grün Berlin GmbH und die Tempelhof Projekt GmbH errichteten zwischen 2012 und 2015 den Informationspfad zur Geschichte des Tempelhofer Feldes. Auf 20 Tafeln werden Besucher*innen mit Hilfe historischer Bilder und Texte zeitlich chronologisch über die Erinnerungs- und Gedenkorte auf dem Tempelhofer Feld informiert. Vier von diesen 20 Tafeln behandeln die NS-Vergangenheit des Ortes.

KZ Columbiadamm Denkmal
Denkmal zur Erinnerung an das KZ Columbia (Foto: Beek100/commons.wikimedia.org)

Neben diesem Geschichtspfad erinnern noch weitere Projekte an die Geschichte des Feldes und des Flughafens. Seit Januar 2021 betreibt die Topographie des Terrors die Ausstellung Ein weites Feld im ehemaligen Flughafengebäude Berlin-Tempelhof. Im Mittelpunkt steht die Zeit des Nationalsozialismus, es wird aber auch auf die Vorgeschichte und die Entwicklungen bis heute eingegangen. Aufgrund der Pandemie ist die Ausstellung noch nicht geöffnet, wer neugierig ist, kann sich aber jetzt schon über eine App auf einen virtuellen Rundgang begeben. Direkt gegenüber des Flughafengebäudes, in dem die Ausstellung stattfindet, erinnert am Columbiadamm ein stählernes und etwas unscheinbares Mahnmal an den früheren Standort des KZ Columbia. Die Gedenktafel wurde 1994 auf Initiative von engagierten Bürger*innen dort aufgestellt. Diese fällt allerdings nur wenig auf und ist sogar für Suchende nicht leicht zu finden. Den wenigsten, die hier vorbeikommen, ist die historische Bedeutung dieses Ortes bewusst.

Um der fehlenden Sichtbarkeit der NS-Vergangenheit entgegenzuwirken, plant das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg einen Gedenkort am Columbiadamm, der auf das frühere KZ Columbia aufmerksam machen soll. Ein Schriftzug mit dem Slogan “Nicht mehr zu sehen” soll Aufmerksamkeit erregen und Neugierde wecken. Die Wörter sollen nördlich des ehemaligen Flughafengebäudes auf einer gut sichtbaren Wiese aufgestellt werden. Die Gestaltung des Mahnmals wurde als Wettbewerb ausgeschrieben, welchen dieser Schriftzug gewann. Die Realisierung des Projekts ist für Mitte 2021 geplant.

Mehr Sichtbarkeit

Geschichtlich Interessierte können also Erinnerungsorte an die NS-Vergangenheit am Tempelhofer Feld und dem ehemaligen Flughafen finden. Allerdings müssen sie dafür aktiv suchen und eine gewisse Vorkenntnis mitbringen. Die grausame NS-Vergangenheit bleibt ohne vorherige Recherche fast unsichtbar. Die Besucher*innen auf dem Feld waren sogar teilweise schockiert, als sie davon erfahren haben. So auch Julia, die anfangs von Freiheit und der Sonne auf dem Feld schwärmt: „Ich finde es erschreckend, ich wusste nicht, dass da direkt ein KZ war“. So wie Julia geht es auch vielen anderen. Die meisten reagieren geschockt und etwas peinlich berührt, über die eigene Unwissenheit. Und alle wünschen sich, dass die Geschichte des Ortes, gerade bezogen auf die Nazi-Verbrechen, offensichtlicher wird. Erinnerung ist wichtig, sagt Marko und fragt: “Da gibt es aus meiner Sicht keine zwei Meinungen. Welchen Grund gibt es, das nicht zu erinnern?” Mehr Tafeln, mehr Mahnmäler, mehr Führungen, das würde auch Mira gut finden. Beate Winzer vom Förderverein für ein Gedenken an die Nazi Verbrechen auf dem Tempelhofer Flugfeld bemängelt: “Was noch fehlt, sind korrekte Informationen und ein dauerhaftes Gedenken.” Daran würden sie aber arbeiten.

Reinhard Bernbeck lobt zwar das historische Engagement der Stadt Berlin bei den Projekten, jedoch hapert die Umsetzung mitunter an bürokratischen Hürden. Das müsste einfacher gehen und schneller. Die Geschichte des Tempelhofer Feldes müsse in die kollektive Erinnerung aufgenommen werden, fordert er. Deswegen setzt er sich dafür ein, dass die Präsenz der Zwangsarbeiter*innenlager auf dem Tempelhofer Feld deutlicher gekennzeichnet wird. In der Zukunft kann dann vielleicht neben der Erholung und Freizeit auf dem Tempelhofer Feld auch ein respektvolles Erinnern an die Opfer der NS-Verbrechen stattfinden.


Dieser Text ist Teil unseres Themenschwerpunktes Entnazifizierung. Alle Texte sind hier zu finden.

Foto: Dominic Spohr/unsplash.com