Am Rande Berlins bewältigt die Freiwillige Feuerwehr in Französisch Buchholz Einsätze oftmals selbstständig. An ihre Grenzen kommen sie dabei jedoch nicht. Wehrleiter Oliver Rathenow fährt nach einer Zwölf-Stunden-Schicht noch bei der Freiwilligen Feuerwehr mit. Ein Ausflug in die Welt der vergessenen Helfer.
Von der Kreuzung hört man um 18:40 Uhr den Löschwagen übers Kopfsteinpflaster in die Einbahnstraße einbiegen. Wehrleiter Oliver Rathenow öffnet die Beifahrertür. Der fünfte Einsatz an einem Tag, das sei eine absolute Ausnahme. Für eine kleine Pause bis zum für 19 Uhr angesetzten Übungsabend bleibt kaum Zeit. Auf der digitalen Einsatztafel der Freiwilligen Feuerwehr (FF) Französisch Buchholz ploppt eine Meldung auf – Flächenbrand in Buch. Nach einem Wendemanöver rollt der Löschwagen vorbei an den parkenden Autos wieder vom Hof. In den ländlich geprägten Stadtteilen am Rande Berlins bewältigen die Kamerad*innen oftmals Einsätze selbstständig. Viele davon stellen sich jedoch im Nachhinein als Fehlalarme heraus.
„Mit der Routine wird man ruhiger“, sagt Wehrleiter Rathenow. Doch überkommt ihn nach 25 Jahren in der Freiwilligen Feuerwehr auch noch manchmal der Nervenkitzel. Als Berufsfeuerwehrmann hat er nach einer 12-Stunden-Schicht dennoch die Motivation bei der Freiwilligen Feuerwehr mitzufahren. Im Vergleich zur Berufsfeuerwehr seien die Kamerad*innen der Freiwilligen seiner Meinung nach viel enthusiastischer. Vom Fachwissen der verschiedenen Berufsgruppen könnten sie nur profitieren. „Bei einem Wasserschaden einen gelernten Klempner an Bord zu haben, schadet nie“, so Rathenow.
Nach dem sechsten Einsatz beginnt der Übungsabend zum Thema Reanimation nun um 19:45 Uhr. Die angehende Pflegefachkraft der Truppe wirft Hinweise zur Herzdruckmassage ein, die die Kamerad*innen Kopf nickend aufnehmen. Für den Landesbeauftragten der Freiwilligen Feuerwehr Berlin Lutz Großmann liegt die Stärke seiner Kamerad*innen in ihrer Einsatzbereitschaft und Qualität. „Innerhalb einer knappen Stunde können wir die Berliner Feuerwehr von circa 500 auf 1000 Einsatzkräfte aufstocken und das Tagesgeschäft der jeweils zu besetzenden Berufsfeuerwehren übernehmen, wenn alle verfügbaren Kräfte beispielsweise bei einem Großbrand im Einsatz wären“, so Großmann.
Wie Wohnungsmarkt und Infrastruktur die Freiwillige Feuerwehr ausbremsen
Während die Kamerad*innen im innerstädtischen Raum innerhalb einer halben Stunde an der Wache sein müssen, bleiben den Ehrenämtlern in den Randbezirken wenn der Piper zum Einsatz ruft, gerade einmal vier Minuten. Für diejenigen, die nicht direkt um die Ecke wohnen, ist das kaum machbar. Als Bezirk ist Pankow mit am stärksten von Gentrifizierung betroffen. Die Mieten steigen und so wird nach und nach die dort ansässige Bevölkerung verdrängt.
Zu hohe Mieten und zu wenig Raum zum Wachsen – zumindest mit dem Nachwuchs hat die FF Buchholz kein Problem. Sie mussten sogar schon Kinder ablehnen, wie Jugendwartin Stephanie Spannenkrebs in einer stillen Minute abseits des Übungsabends offenbart. Momentan bildet sie neben ihrer Berufstätigkeit als Jugendreferenten der Freiwilligen Feuerwehr Berlin 26 Kinder im Alter von acht bis 18 Jahren in der Jugendfeuerwehr Buchholz aus. Vier von ihnen treten noch in diesem Jahr in die Einsatzabteilung über. Wenn die jungen Erwachsenen ausziehen wollen und sie keinen bezahlbaren Wohnraum nahe der Wache finden, fällt der Abschied schwer.
Dass das Land Berlin 2018 nach einem Beschluss des Abgeordnetenhauses den Freiwilligen Feuerwehren Geld für Image- und Werbekampagnen zur Verfügung stellte, brachte vor allem den Innstadtwehren eine lange Warteliste ein. „Bevor die Bewerberinnen und Bewerber als künftige Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr verloren gehen, wurde im letzten Monat die 59. Freiwillige Feuerwehr in Berlin Wilmersdorf gegründet“, erklärt der Landesbeauftragte Lutz Großmann. Auf der Suche nach Grundstücken für neue beziehungsweise größere Feuerwehrwachen tritt die Freiwillige Feuerwehr in Konkurrenz mit dem Wohnungsbau. „Dazu kommt, dass scheinbar niemand eine Wache vor der eigenen Haustür haben will“, sagt Großmann.
24 Stunden sind die Freiwilligen Feuerwehren am Rande der Großstadt in Bereitschaft. Für Einsätze und Übungsabende bekommen die Kamerad*innen 3,50 Euro Aufwandsentschädigung pro Stunde, die Kosten für die Anfahrt bezahlt ihnen keiner. Für Wehrleiter Rathenow würde mehr Geld eine Aufwertung der eigenen Tätigkeit bedeuten. Nach einem kompletten Nachmittag auf der Straße schmeißt er an der Seite des Landesbeauftragten Lutz Großmann nun noch den dreistündigen Übungsabend. Großmann wiederum ließ für seine Stammwache in der Vergangenheit schon oft Sonntagsausflüge platzen. Seine Frau blieb mit den Kindern allein zu Haus.
Frauen am Brandherd – Gleichberechtigung in der FF Buchholz
Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befassen sich Frauen mehr als doppelt so viel mit direkter Care-Arbeit als Männer. Zwei der fünf Frauen in der FF Buchholz sind seit Jahren wegen Job und Kind inaktiv. Auf die Frage nach Gleichberechtigung antwortet Wehrleiter Rathenow, dass Mann schon einmal darüber schmunzeln müsse, dass es Frau schwerfiele, eine Säge anzureißen. Als weiblicher Neuling in der FF Buchholz fühlte sich Julie Bailleu gerade positiv aufgenommen. „Die Menschen sind mehr auf mich zugegangen, haben mir öfter ihre Hilfe angeboten“, so die Maschinenbau- und Mathestudentin. Zum Ende des Übungsabend soll sie mit zwei anderen spontan eine Reanimation einleiten – Patient ansprechen, Puls fühlen, Herzdruckmassage beginnen. Die Trockenübung nimmt sie so ernst, als wäre ein echter Mensch in Gefahr.
Auf einen richtigen Einsatz darf Bailleu noch nicht mitfahren, bis die Tauglichkeitsuntersuchung durch alle Instanzen gegangen ist, dauert es drei Monate. Doch das Warten hält sie nicht davon ab, mit Leib und Seele dabei zu sein – für die FF Buchholz hat sie schon jetzt andere Hobbys aufgegeben. „Wie weit man es bei der Freiwilligen Feuerwehr bringt, kommt auch auf die investierte Zeit an“, schlussfolgert Bailleu. Um 22:30 Uhr gehen die Lichter in der Wache der FF Buchholz aus. Alle sind schon ausgeflogen, nur Stephanie Spannenkrebs lehnt mit ihrer Zigarette noch an der Fassade. Nach sechs Einsätzen und drei Stunden Übungsabend bedauert sie wegen Corona nicht noch mit ihren Kamerad*innen zusammensitzen zu können.