Zeitgenössische, eigens als anspruchsvoll diagnostizierte, Kunstgalerien beschäftigen sich zurzeit häufig mit weiblichen Lebenswirklichkeiten. Klar, männliche Perspektiven auf jegliche Facetten des Lebens gibt es schließlich wie Sand am Meer…oder nicht? Fünfzehn verschiedene Künstler*innen haben sich in der Quantum-Galerie am Ku’damm dennoch mit exakt diesem teilweise sauer aufstoßenden Themenbereich befasst.

Ein guter Freund von mir ist homosexuell. Wir sind seit sieben Jahren befreundet; herausgefunden habe ich es gestern. Es war kein Geheimnis, so mein Freund, ich hätte halt halt nie gefragt. Recht hat er, aber warum sollte ich auch? Ist mir doch egal. Als ich dies einer Freundin erzählte, reagierte sie verwirrt: Wie könne man so etwas nach einer so langen Zeit nicht wissen? Warum interessiert mich das nicht? Konkrete Antworten konnte ich ihr nicht geben. Infolge dieses Gespräches fühlte ich mich an eine vor kurzem zu Ende gegangene Ausstellung in der Charlottenburger Quantum-Galerie erinnert; das Thema: „Masculinity“. 

Fünfzehn Künstler*innen setzen sich hier mit Hilfe von verschiedenen künstlerischen Mitteln mit dem, laut Ausstellungskatalog als „kontrovers“ geltenden, Thema „Männlichkeit“ auseinander. Der amerikanische Visual Arts-Künstler, sowie Kurator der Ausstellung, River Davis nähert sich dem Ganzen in Form eines Fotos und eines „gefälschten“ Instagram-Screenshots mit dem Titel „Mature Content Warning“. Auf seinem Foto sieht man eine Flamme vor schwarzem Hintergrund, der Screenshot zeigt den Instagram-Post eines halbnackten OnlyFans-Models samt Verpixelung und der titelgebenden Triggerwarnung. Im Gespräch verriet Davis, dass er die momentane Social-Media-Landschaft als eine Art Spießrutenlauf für junge Männer wahrnehme; die sexuelle „Initiierung“ des Mannes erfolge im 21. Jahrhundert in vielen Fällen nicht mehr in einem intimen Rahmen, sondern über den kalten Bildschirm eines iPhones. Wohl kaum eine revolutionäre Erkenntnis, aber definitiv eine gelungene Metapher für die allgegenwärtige „Versexung“ der sozialen Medien. 

Weitaus einfacher macht es sich die tschechische Multimediakünstlerin Onyx Chladilová mit ihrem Werk „Blue Hour“. Die farbenfrohen, bewusst brutal überbelichteten Fotografien bilden sich umarmende Männer in der Natur ab. Rein ästhetisch gesehen sind die Bilder gelungen und hübsch anzusehen. Nach mehr Substanz als: „Männer sollten sich einfach lieber haben <3“, sucht man allerdings vergeblich. Die von ihr im Gespräch definierte Problematik der Männlichkeit bestehe darin, dass es patriarchal geprägten, platonischen Männerfreundschaften an Intimität mangele, was die in den sozialen Medien rauf und runter besprochene „male loneliness epidemic“ begünstige. Ein durchaus plausibler, wenn auch etwas oberflächlicher Gedankengang. Hetero-Cis-Männer müssten sich eben den Gepflogenheiten der „queeren Bubble“ anpassen, dann würden sich alle Probleme in Luft auflösen, so ein anderer Besucher scherzhaft im Artist-Talk. Er wurde mit verächtlichen Blicken abgestraft. Nichtsdestotrotz finde ich es wichtig hervorzuheben, dass Chladilová jegliche Profite ihrer hier präsentierten Kunst an Suizidprävention-Hotlines in Berlin und Prag spendet. Stark und lobenswert.

Als letztes vorstellen möchte ich das Werk „pietà“ der vietnamesischen Künstlerin MP. Das Digitalgemälde orientiert sich an der Low-Poly Ästhetik von PlayStation-Spielen der ersten Generation (1994), welches aus heutiger Sicht einen gewissen Retro-Look mit sich bringt, da das Dargestellte wie eine Bildschirmaufnahme aus einem Videospiel anmutet. Ein Videospiel von vor knapp 30 Jahren wohlgemerkt. Zu sehen sind zwei Männer, nebeneinander liegend auf einem Bett. Der eine oberkörperfrei, der andere im weißen Tanktop. Hinter ihnen befindet sich ein weißer, sowie ein grüner Vorhang; auf dem Nachttisch liegt eine rote Rose. Oben rechts ist der Gameplay-Prompt: „Press X to get up“ zu sehen.  „…but despite all this madness, I could never let you go…“, lautet die Dialogzeile in der Mitte. Selbst ohne weiteren Kontext hat mich dieses Werk sofort tief berührt. Die melancholisch anmutenden Farbtöne im Zusammenspiel mit dem bewusst mehrdeutig gehaltenen Text erzeugten ein wohliges Unbehagen; eine schwer in Worte zu fassende Emotion. 

Schlussendlich lässt sich festhalten, dass sich in Zeiten von fast schon absurd abscheulichen Gestalten wie Andrew Tate, aber auch immer lauter werdenden misandrischen Stimmen, vor allem in den sozialen Medien, Männlichkeit tatsächlich zu einem immer konfuseren, schwerer definierbaren Biest heranwächst. Fehlt es uns „white, privileged Heteromännern“ so sehr an Intimität in der Freundschaft? Ich denke, dass die Vermutung zumindest in die richtige Richtung weist, wofür unter anderem auch meine oben angerissene Situation bezüglich der unausgesprochenen Homosexualität meines Freundes spricht. Wie die realistische Umsetzung einer gesünder gelebten Männlichkeit aussieht? Um ehrlich zu sein, keine Ahnung. Nach ein, zwei Matchas komm ich vielleicht drauf.


Foto: George Bellows, Club Night, 1907. Courtesy of the National Gallery of Art.