Das Land Berlin hat seinen neuen Haushalt vorgestellt. 130 Millionen Euro sollen aus dem Kulturbudget gespart werden. Das Sparschwein ist bereits geschlachtet und jetzt sucht der Senat auch noch verzweifelt in der Sofa-Ritze nach den letzten jämmerlichen Centstücken. Eine Situation, mit der sich viele Studierende sicher identifizieren können. Am Ende jedes einzelnen Monats. Dementsprechend meine Botschaft an den Berliner Senat: I feel you. 

Doch an Kultur zu sparen kann langfristige Schäden haben, die kurze finanzielle Erleichterungen überschatten. 

Nach massiven Protesten werden Einsparungen bei Kinder- und Jugendeinrichtungen wie dem Grips-Theater, ursprünglicher Sparplan 300.000 Euro, und dem Theater an der Parkaue, das zuvor 800.000 Euro sparen sollte, komplett entfallen. Auch große Schauspielhäuser wie das Deutsche Theater und die Schaubühne müssen weniger sparen als zunächst geplant. Dennoch treffen die Maßnahmen weiterhin bedeutende Projekte wie unter anderem den Ausbau von Arbeitsräumen für freie Künstler*innen, das Technikmuseum und den Friedrichstadt-Palast.

 Dass das Land Berlin sparen muss, ist bekannt – es steht vor Haushaltsproblemen. Trotzdem muss bei jeder Einsparung auch die Konsequenz mitgedacht werden, die nicht nur den kurzfristigen finanziellen Gewinn umschließt, sondern auch die kulturelle Seele unserer Stadt. Kultur ist mehr als nur ein schmückendes Ornament am Rande der essentiellen Infrastruktur einer Stadt. Vernachlässigt man sie, gefährdet man auch eine friedliche und vielfältige Gemeinschaft mit der Fähigkeit, Konflikte im Dialog zu lösen. 

Theater, Museen, Konzerte und Bibliotheken sind zentrale Räume der Begegnung und des Austauschs. Ein Beispiel, das gerade die junge, sowieso schon kulturell abgehängte Generation trifft, sind die zahlreichen Jugendprojekte, die sich an vielen Schauspielhäusern finden lassen.

Dabei finden meist völlig fremde junge Menschen zueinander und arbeiten an einem gemeinschaftlichen Ziel: ein Theaterstück zum Leben erwecken. Theater inszenieren und spielen ist ein sehr persönlicher Prozess. Die Intimität, die dabei verlangt wird, braucht ein solides Fundament an Vertrauen. Sicherlich werden sich Menschen dabei streiten und Meinungsverschiedenheiten auftauchen. Doch durch genau diesen Prozess können wir uns entwickeln, Empathiefähigkeit aufbauen, die Bedürfnisse eines anderen verstehen. Annäherung durch Perspektivübernahme. Kürzungen in diesem Bereich bedeuten also nicht nur einen Verlust der Annäherung für die Zuschauer*innen im Publikum, sondern auch hinter den Kulissen.

 Kultur in der Demokratie

„Eine Kassiererin geht sowieso nicht ins Theater“. So äußerte sich der Berliner Bürgermeister Kai Wegner bezüglich der Kürzungen. Gedanklich könnte man diese Aussage noch weiterspinnen. Sie geht auch nicht ins Konzert. Oder ins Museum.

Vielleicht tut sie das bald tatsächlich nicht mehr. Aber nicht, weil sie nicht will, sondern weil sie nicht mehr kann. Der kostenlose Museumssonntag fällt weg. Theater werden teurer. Kinos müssen schließen. Konzerte werden abgesagt. Eine primäre Voraussetzung für gelungene Annäherung ist eben auch die Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. 

Gleichzeitig fordert der Berliner Kultursenator Joe Chialo von der Berliner Kultur mehr Eigenverantwortung und Wettbewerbsfähigkeit. Die mögliche Konsequenz daraus lässt sich gut an der deutschen Filmlandschaft beobachten. Ihr fehlt es  an mangelnder Diversität und Originalität. Denn: auch sie leidet dramatisch an Geldknappheit und tappt so leider häufig in die Falle des: Das hat schon mal gut funktioniert, das funktioniert bestimmt erneut gut. 

 Ein Leuchtturm

 Wir sehen nur die Missstände, die wir kennen. Und weil Berlin ein Ort ist, der vor intensiven Gerüchen, lauten Geräuschen und kuriosen Anblicken schnell ins sensorische Burnout führen kann, ist es unvermeidlich, dass wir uns nicht aller Missstände gleichzeitig bewusst sein können. Ein Theaterstück, ein Film oder ein Song können uns aber darauf aufmerksam machen. Der Kultur-Leuchtturm wirft seinen langen Lichtstrahl – selbst in die hintersten Ecken. Das funktioniert sogar beidseitig. Wir erkennen nicht nur uns zuvor unbekannte Probleme anderer Menschen, sondern auch unsere eigenen individuellen Probleme könnten plötzlich vom Lichtstrahl erfasst werden. Dann sehen wir uns um, erkennen, dass dort, wo es zuvor noch finster war, ganz viele andere Menschen mit den gleichen Problemen sitzen. Kultur schafft also Sichtbarkeit – und noch viel wichtiger: Hoffnung.

 Eine Frage der Prioritäten

Die Berliner Regierung argumentiert, dass Sparmaßnahmen unvermeidlich sind. Doch Einsparungen sind immer eine Frage der Prioritäten. Berlin hat Geld für günstiges Anwohnerparken, Prestigeprojekte und andere Annehmlichkeiten. Beispielsweise brachte das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf anlässlich der EM ein Basis-Müsli mit Kosten für den Berliner Haushalt von fast 30.000 Euro heraus. Die Räume, in denen Menschen Geschichten teilen, sich gegenseitig inspirieren, diskutieren oder einfach abschalten, sollen hingegen geopfert werden.

Diese Entscheidungen werfen Fragen auf: Was bleibt noch von Berlin, wenn die Theater leer, die Clubs still und die Museen geschlossen sind? Wohin gehen wir dann abends?

Und was wird aus der Annäherung? Wo soll die noch stattfinden? Im Büro vielleicht zwischen Drucker und Kaffeemaschine?

Unsere Stadt hat ihren Ruf als Kulturmetropole über Jahrzehnte aufgebaut. Ihn nun zu riskieren, bedeutet auch, ihre Attraktivität, Identität und nicht zuletzt ihre Zukunft zu gefährden.


Illustration: Lotte Koterewera