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Der zynische Bluthusten der Kunstfreiheit – Jugendliches Leid als „Ästhetik“

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Foto: Aleksandr Popov

Dieser Artikel spricht auf explizite Weise sensible und potenziell verstörende Themen an (u.a. Drogensucht, sexueller Missbrauch, Gewalt).

Alternativ ausgerichtete, regelwidrige Kunst und Berlin. A match made in heaven! Dieser Ruf hat sich in den letzten fünfzig Jahren immer mehr zementiert. Vollkommen zu Recht, denn diese Stadt hat nicht nur gesellschaftskritische Maler*innen wie George Grosz, sondern auch Institutionen wie das Berghain, repräsentativ für eine mittlerweile-nicht-mehr Subkultur, hervorgebracht. 

Was passiert allerdings, wenn das Fass der künstlerischen Provokation endgültig überläuft? Der nachfolgende Artikel beschäftigt sich mit einem solchen (Extrem)fall, in welchem dargestellte Tragödien zum Selbstzweck verkommen. 

Wenn man sich mit ausländischen Student*innen oder „young creatives“ unterhält, so kommt häufig schnell ein bestimmter Faktor zum Vorschein, welcher junge Menschen aus aller Herren Länder dazu bewegt in unsere Hauptstadt zu ziehen: das Versprechen eines zügellos gelebten Hedonismus, nicht selten in Form von tagelangen Techno-Raves gekoppelt mit der Zurschaustellung viel nackter Haut. Wofür sollte man auch sonst nach Berlin?   

Dementsprechend ist es nicht weiter verwunderlich, dass man hier überproportional viele Läden mit allerhand „Fetishwear” für „Kinky-Raves“ und ähnliche Events dieser Art findet. Auch wenn man persönlich vielleicht nichts mit einem solchen „Lifestyle“ anfangen kann, sollte man sich klarmachen, dass es ein Riesenprivileg ist, in einem Land zu leben, in welchem das freie Ausleben der eigenen Sexualität keine ernsthaften rechtlichen Konsequenzen haben kann.

Wie es der Zufall so will, fand ich mich vor ein paar Wochen vor einem ebensolchen Laden wieder; der bewusst provokant gewählte Name „HeroinKids“, sowie die Aufschrift „100% alcohol, drugs, gambling and suicide“ auf einem Tanga – getragen von einem weiblichen Mannequin im Schaufenster – hatten mein Interesse geweckt. Ich musste schmunzeln, so einen enorm geistreichen Slogan hätte ich mir mit 14 auch ausdenken können; beim ersten Schauen von  „Fight Club“ oder „A Clockwork Orange“ zum Beispiel. Einfachere Zeiten. 

Nichtsdestotrotz ging ich hinein, das Semester hatte noch nicht angefangen und mir war ätzend langweilig (Ja, das war natürlich der einzige Grund!).

Produkttechnisch erwarteten mich keine Offenbarungen. Qualitativ bescheidene „Kinky-Clubwear“ – die auch von AliExpress stammen könnte – wird hier zu horrenden Preisen verkauft. Halsketten aus Plastik-Rasierklingen, quietschrote Latexmäntel und weitere Hoodies oder Tangas mit subtilen, pädagogisch wertvollen Sprüchen wie „Will fuck for drugs“ oder „Fuck the pain away“ runden das Angebot ab.

Allerdings sind die Produkte selbst hier nicht der primäre Blickfang.

Der Laden ist der kommerzielle Hotspot von dem zweiköpfigen Künstlerkollektiv „KAISERENGEL“, das sich seit ca. 10 Jahren zur Aufgabe gemacht hat, extrem junge, leicht bekleidete bis nackte Mädchen und Frauen im Drogenrausch zu fotografieren, größtenteils in grotesk objektivierenden und verstörenden Bildern. Diese sind schwer übersehbar im Laden an alle möglichen Wände angebracht und zeigen die geschmacklose Ausschlachtung von unfassbar expliziten Elendsmotiven, die oftmals nicht gestellt zu sein scheinen. Geistesabwesende Mädchen, die ihre blutigen, aufgeschlitzten Arme abschlecken und ein mit Sperma zugekleistertes Gesicht einer jungen Frau – die ein Schild mit der Aufschrift „Sometimes Daddy drinks too much“ hochhält – sind mir besonders im Gedächtnis geblieben. 

Als „Künstler*in“ von solchen Werken ist es leicht, sich hinter dem Deckmantel einer aufklärerischen Mission zu verstecken: man zeige den Drogensumpf in all seiner Härte, um sowohl die Faszination als auch die Folgen eines solchen Lebensstils ungeschönt und akkurat einzufangen. Man distanziere sich davon, das Leben anderer zu bewerten, um eine ambivalente Atmosphäre zu schaffen und den respektablen Umgang miteinander beizubehalten. 

Bullshit.

In einer toleranten Gesellschaft, wie wir sie in Berlin glücklicherweise größtenteils (noch) haben, wird es immer subversive Akteure geben, welche das Verständnis und Interesse der Allgemeinheit – in Bezug auf anspruchsvolle, “ungemütliche” Kunst – ausnutzen um sich durch ungefilterte, infantile Geschmacklosigkeiten einen sichtbaren Platz auf dem Podium der „provokanten” Kunstschaffenden zu sichern.

Es ist kein Zufall, dass die Betreiber*innen selbst häufig Partys und Raves im Sinne ihrer Ästhetik organisieren; die Faszination der euphorischen Elemente dieses von Natur aus destruktiven Lebensstils werden damit unweigerlich in den Vordergrund gerückt. 

Warum denn auch nicht? Es ist doch so Berlin! 

Raves, bei denen sich hippe Student*innen mal wie waschechte Suchtkranke fühlen dürfen, in T-Shirts made in China für 50€ das Stück, auf welchen “dying young is in fashion” draufsteht; dafür steht unsere Hauptstadt schließlich mit ihrem Namen!

 

Nachwort: Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, wie unerlässlich eine erwachsene, differenzierte Auseinandersetzung mit komplizierten, unangenehmen Themen wie z.B. Drogensucht in der Kunst ist. Zwei Beispiele hiervon wären die legendäre Fotoreihe „The Ballad of Sexual Dependency” von Nan Goldin oder der Roman „Requiem for a Dream” von Hubert Selby Jr.