Im brandenburgischen Grünheide ist ein neuer Ort linken Widerstands entstanden. Aktivist*innen stellen sich dem Multimilliardär Musk entgegen. Doch was verbirgt sich hinter ihrer Waldbesetzung?

Es ist später Nachmittag in einem kleinen Waldstück bei Grünheide, einer Kleinstadt mit knapp 8000 Einwohner*innen in der Nähe von Berlin. Abendlicht bringt die Kronen der Bäume zum Leuchten, in der Luft hängt der Geruch von Kiefern und Moos – und das Gewirr von Stimmen. Denn innerhalb einer Nacht haben Aktivist*innen gleich mehrere Baumhäuser hochgezogen, die nun in den brandenburgischen Kiefern thronen. Grund dafür ist, dass die Bäume inzwischen nicht mehr nur von Fadenwürmern und trockenen Sommern, sondern auch von Tech-Milliardär Elon Musk und den Erweiterungsplänen für seine Tesla-Gigafactory bedroht werden. Rund 170 Hektar Wald sollen zusätzlichem Fabrikgelände weichen. Doch damit sind längst nicht alle einverstanden. Bei einer Befragung stimmten zwei Drittel der Bewohner*innen von Grünheide gegen Musks Pläne – nicht zuletzt, weil diese eine Bebauung des hiesigen Trinkwasserschutzgebietes bedeuten würden.

Genau das kritisieren auch die Besetzer*innen. „Wir sind hier in einer der trockensten Gegenden Brandenburgs. Die Menschen in Grünheide müssen bereits jetzt ihr Trinkwasser rationieren, und Tesla verschwendet tausende Liter für den Bau von Luxusschlitten, die sich am Ende keiner leisten kann”, erklärt Lavera*, die die Besetzung mitorganisiert hat. „Ich finde es unglaublich, dass wir noch gar nicht so genau sagen können, ob die Fabrik hier nicht jetzt schon das Trinkwasser verseucht. Und dann soll sie auch noch ausgeweitet werden. Das ist ein Skandal!” Wie so vielen der Anwesenden geht es ihr jedoch nicht allein um das Thema Trinkwasser, sondern auch darum, dass durch Tesla koloniale und ausbeuterische Verhältnisse fortgeführt werden. Denn das Lithium, eines der wichtigsten Komponenten für Musks Batterien, wird in Ländern wie Simbabwe und dem Kongo unter teils katastrophalen Bedingungen abgebaut. So müssen die Arbeiter*innen meist ohne Schutzkleidung und Atemmasken in unzureichend gesicherte Minen herabsteigen. Unfälle sind an der Tagesordnung. Genauso wie Kinderarbeit. 2019 sollen laut Kinderhilfswerk World Vision mindestens 22.000 Kinder in den Minen Kongos gearbeitet haben.

Ein Ort gelebter Utopie 

Das Camp soll aber nicht nur Protest „gegen etwas”, sondern auch schon ein Stück gelebte Utopie sein. „Wir möchten Alternativen aufzeigen, auch indem wir dieses Waldstück umdeuten,  und zu einem  Symbol für ein anderes Leben werden lassen. Das ist auch das, was wir hier miteinander praktizieren, zum Beispiel durch die Art, wie wir miteinander umgehen und kommunizieren”, erklärt Lavera. So wurden auch spezielle Awarenessstrukturen geschaffen, die zu einem respektvollen und möglichst diskriminierungsfreien Miteinander beitragen sollen. Außerdem gibt es über den Tag verteilt Plena und sogenannte Skillshares, bei denen Entscheidungen gemeinsam getroffen und für die Besetzung wichtige Fähigkeiten weitergegeben werden. Andere kümmern sich als Teil der „Küche für Alle”, auch Küfa genannt, um die Verpflegung. Gemeinsam wird in einem Gartenzelt zu Techno-Beats geschnippelt und gekocht – vegan natürlich.

Das kommt an. Auch bei Fuxia, dey für den Protest extra aus Südeuropa angereist ist. „Ich denke, eine Waldbesetzung ist eine sehr mächtige Art des Protests, weil so viele Dinge gleichzeitig geschehen. Wir kämpfen nicht nur gegen die Erweiterung dieser Fabrik, es entsteht auch eine Gemeinschaft.” Das schätzt auch Sesam, der sich bereits seit vielen Jahren mit der Strategie und Organisation der Klimabewegung beschäftigt. „Ich glaube, ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, für längere Zeit zusammen sind und so Beziehungen knüpfen, ist essentiell für den Aufbau unserer Bewegung”, erklärt der Aktivist.

Rückhalt durch die Bürgerinitiative

Entscheidend für die Wirkmacht, die eine Waldbesetzung hat, sei darüber hinaus jedoch auch ihre Einbettung in einen breiteren Protest und, dass sie auch von anderen Akteuren Unterstützung erfahre, erklärt Sesam. Das scheint bei der Besetzung gegen Tesla definitiv der Fall zu sein. So könne die Besetzung eine Kampagne, in diesem Fall vor allem durch die Bemühungen der Bürgerinitiative Grünheide und des Bürgerentscheids, „eskalieren”. Also zum Beispiel zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit verhelfen, führt der Aktivist fort.

Die Beziehung zu der Bürgerinitiative, die bereits 2019 gegen die Errichtung des Tesla-Werkes und jetzt gegen seine Erweiterung kämpft, sei gut, betonen die Aktivist*innen. Das stellt auch Manuela Hoyer, eine der Gründer*innen der Bürgerinitiative klar. Sie stehe voll hinter den antikapitalistischen Überzeugungen und radikaleren Forderungen der Aktivist*innen nach einem Systemwandel. „Lasst uns doch jetzt mal innehalten und nicht nach immer weiter, höher, größer und schöner streben, sondern uns freuen, was wir jetzt haben”, fordert sie. „Das, was hier passiert, ist der Turbokapitalismus, von dem die wenigsten profitieren.” Das sei zu weiten Teilen auch die Meinung der Bürgerinitiative.

Die Überzeugungen hinter dem Protest

Für viele der Besetzer*innen ist ihr Protest die logische Konsequenz einer antikapitalistischen, queerfeministischen und vor allem linken Grundhaltung. „Je weiter links man ist, desto konsequenter setzt man sich dafür ein, dass alle Menschen gleiches Recht auf Erfüllung ihrer Bedürfnisse haben”, meint Sesam. Und das unabhängig von Kriterien wie Hautfarbe, Geschlechtsidentität oder Arbeits(un)fähigkeit. Gelebte Gleichbehandlung bedeutet für ihn demnach, Ressourcen nach Bedürfnissen, anstatt nach „Leistung” zu verteilen, jegliche Form von Herrschaft und Unterdrückung abzubauen und sich kollektiv und auf Augenhöhe zu organisieren. Darin erproben sich die Aktivist*innen in der Besetzung bereits im Kleinen: Indem sie die Verpflegung, Klettergurte, Schlafsäcke oder Zelte bereitstellen. Indem sie im Rahmen regelmäßiger Plena einen Ort zur kollektiven, hierarchiearmen Entscheidungsfindung etablieren, oder innerhalb eines Gesprächskreises zum Thema „Kritische Männlichkeit”. Linkksein bedeutet vor allem auch, gegen ein System vorzugehen, das nur mit Unterdrückung funktionieren kann, die es ständig reproduziert”, erklärt Sesam.

Ein konkretes Beispiel der Auswirkung systemischer Unterdrückung bestehe in der Verteilung von Wasser: Manche Menschen hätten nicht einmal genug Wasser zum Leben, während andere es für die Produktion von SUVs nutzten. Genau die werden in den Tesla Fabriken zuhauf hergestellt.

Aktivistisch und politisch zu sein bedeute für Sesam daher auch, zu verstehen, dass wir alle eine politische Wirkmacht und Verantwortung in uns tragen. Es bedeute, sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, „die schon die ganze Zeit kämpfen, auch in deutlich schwierigeren Lagen.” Also Menschen, die beispielsweise viel stärker von den Folgen der Klimakrise bedroht sind oder für ihren aktivistischen Einsatz deutlich stärkere Repressionen erfahren, als den Besetzer*innen bei ihrem Widerstand gegen Tesla drohen.

Die eigene politische Wirkmacht bei einem Aufenthalt in der Waldbesetzung in Grünheide einbringen, können alle Beteiligten jetzt doch noch länger als erwartet, denn nach einem Beschluss des Verwaltungsgericht Potsdams soll das Camp voraussichtlich noch bis zum 20. Mai bestehen dürfen. Aber selbst wenn die so schnell gewachsene Waldbesetzung bei Grünheide doch geräumt wird, wäre für Lavera, Fuxia, Sesam und ihre Mitstreiter*innen trotzdem nicht alles verloren – denn eine Bewegung mit ihren Träumen lässt sich nicht räumen.


Illustration: Abril Hurtado

Anm. d. Red.: Um Anonymität zu gewährleisten, werden die „Aktionsnamen”, auch genannt „Waldnamen”, der Aktivist*innen verwendet.