Am Mittwochnachmittag gegen 16 Uhr startete eine pro-palästinensische Besetzung, die verschiedene Bündnisse kurz zuvor auch in den Sozialen Medien angekündigt hatten. Während die Polizei schon vor Beginn der Geschehnisse vor Ort war, kam die Aktion für viele Studierende, Lehrende und Fachschaftsmitglieder überraschend.

Am Mittwochnachmittag ist es zum bisher größten Zusammenstoß der aktuellen Campusprotestwelle an der HU gekommen. „Der Studierendenwiderstand geht weiter” verkündete das Bündnis „Student Coalition Berlin” gemeinsam mit weiteren Vereinigungen kurz vor Beginn der Aktion auf Instagram. Das Bündnis war auch für das Protestcamp vom 07. Mai an der FU mitverantwortlich.
Das zwischen Grimm-Zentrum und HU-Hauptgebäude gelegene Institut für Sozialwissenschaften wurde vollständig besetzt. Videos zeigen, wie der Sicherheitsdienst die Türen des Eingangs von innen mit schweren Metallketten verriegelt.  

Bereits um 16:05 versendeten die Besetzer*innen eine Mail an HU-Präsidentin Julia von Blumenthal, in der Bedingungen für eine mögliche Verhandlung dargelegt wurden – darunter die Unterlassung von polizeilichen Räumungen, Unterstützung Studierender, denen infolge der Aktionen rechtliche Konsequenzen drohen, die Ablehnung des Ordnungsrechts, sowie die Anerkennung eines Genozids in Gaza. Bei Annahme dieser Bedingungen wurde der Universitätsvertretung am folgenden Tag ein Gespräch im besetzten Institut in Aussicht gestellt. Dieses solle ohne Polizeibegleitung stattfinden.

Forderungen der Besetzung umfassen unter anderem den Stopp eines (vom Bündnis so bezeichneten) Völkermords in Palästina, einen vollständigen akademischen und kulturellen Boykott Israels und die Anerkennung des kolonialen Erbes Deutschlands, das nach Ansicht der Besetzung “Wurzel der gegenwärtigen Zusammenarbeit mit dem anhaltenden Völkermord” ist.

Umbenennung des Instituts

Vor dem verriegelten Eingang des Gebäudes versammelten sich solidarisierende Studierende, die mit Tüchern, Palästinaflaggen und emotionalen Gesängen von Parolen wie „No Justice no Peace”, The Students united will never be defeated” oder Hoch die internationale Solidarität” auf sich aufmerksam machten. Auch Rufe wie „Israel is a Fascist State”, „Yallah yallah Intifada”, „Israel tötet Kinder, Deutschland steht dahinter” und die umstrittene Parole „From the River to the Sea” fanden Anklang. Schon früh trennten zahlreiche Polizeiwagen den Eingangsbereich von der anderen Straßenseite, wo sich weitere Protestierende und Schaulustige versammelten. Aus oberen Fenstern des Institutes wurden durch teils vermummte Personen Flugblätter verteilt, und ein Transparent entrollt, auf dem die Umbenennung des IfS in „Jabalia Institute” verkündet wurde – eine Stadt im nördlichen Gazastreifen, nahe derer sich das größte Flüchtlingscamp auf palästinensischem Gebiet befindet.

Eine Frau hat mit Kreide “Menschenrechte für die Geiseln” auf die Straße geschreiben und anschließend “Menschenrechte für alle” hinzugefügt. Hier im Gespräch mit einer demonstrierenden Person.
Demonstrierender und Polizei. Foto: Daphne Preston-Kendal

 

Im Verlauf des Nachmittages kam es zu 23 Festnahmen durch das stetig zunehmende Polizeiaufgebot. Es gab zwar keinen Anlass zur Auflösung der spontan angemeldeten Demonstration, das Geschehen wurde jedoch akribisch überwacht. Insgesamt warem laut Polizeiangaben etwa 320 Protestierende vor Ort. Während Polizist*innen versuchten, die Demonstrierenden der Sitzblockade zu filmen, schirmten sich diese mit Schirmen und Keffiyehs (auch „Palästinensertücher” genannt) ab.
HU-Präsidentin Julia von Blumenthal begab sich unter wütenden Rufen der Demonstrierenden ins Institut, um das Gespräch zu suchen, während Protestierende auf der Universitätsstraße durch die Polizei umstellt wurden. Das Geschehen wurde von der Polizei gegen 18:40 unter tumultartigen Zuständen zunächst zur Georgenstraße geleitet. Im Anschluss wurde der aufgebrachten Menge ein Platz vor der Bibliothek zugewiesen, wo bis zur Auflösung gegen 21:30 weiter protestiert wurde.

Videos und Bilder aus dem Inneren des Instituts zeigen Sachbeschädigung durch Graffitis, auf denen Symbole abgebildet sind, die auch von der Hamas verwendet werden, Zionismus als Verbrechen und „Widerstand” als „gerechtfertigt” bezeichnet wird. Parolen wie „From the River to the Sea” oder „Queers 4 Gaza” sind auf den Videos ebenfalls zu erkennen. Zudem wurde eine Refaat Alareer-Bibliothek eröffnet, benannt nach einem palästinensischen Schriftsteller, der 2023 durch einen israelischen Luftschlag im Gazastreifen getötet wurde.

Julia von Blumenthal betonte, Universitäten seien Orte des Dialogs, daher sei es ihnen als Präsidium wichtig gewesen, mit den protestierenden Studierenden ins Gespräch zu kommen. Die Universitätsleitung einigte sich auf ein Gespräch mit den Besetzer*innen am Donnerstag um 15 Uhr und gestatte eine Besetzung bis um 18 Uhr desselben Tages, unter der Bedingung, dass weitere Sachbeschädigung unterlassen wird. Dies wurde gegen Mittwochabend in einem offiziellen Statement auf der HU-Website verkündet. Im Institut geplante Seminare mussten entweder abgesagt oder online abgehalten werden.

Eindrücke umstehender Personen

Umstehende Personen schilderten verschiedenste Eindrücke.
Ein Student des Instituts, der die Lage vom Straßenrand aus beobachtete, erklärte, dass er die Lage als extrem angespannt empfinde: „Alle warten, bis der Kessel überkocht und der Ort geräumt wird”, sagte er, während er sich von der hohen Gewaltbereitschaft der Polizei ebenfalls schockiert zeigte.

Demonstrierende vorm Institut für Sozialwissenschaften. Foto: Daphne Preston-Kendal
Polizei in der Universitätsstraße. Foto: Daphne Preston-Kendal

Eine Person mit bunter Keffiyeh, die die Proteste mit lauten Rufen und Parolen anfeuerte, berichtete, er habe durch Freunde von der Besetzung erfahren. Er sei allerdings nicht „von der Uni”.
„Von Boykott halte ich garnichts”, betonte dagegen Sozialwissenschaftsdozent Andrej Holm. Die Forderungen seien so abstrakt, dass man noch gar nicht wisse, wie man sich dazu verhalten solle. Kontaktabbruch zu Israel, gerade zu seiner Zivilgesellschaft halte er für kontraproduktiv.
Eine weitere Studentin des Instituts erklärte, sie sei zufällig am Geschehen vorbeigekommen und spontan geblieben, da sie die Besetzung für ein wichtiges Zeichen halte. Mit der UnAuf wollten jedoch nicht alle sprechen. Gesprächsversuche wurden teils aggressiv abgelehnt, unter der Begründung, dass ohnehin nur Lügen geschrieben würden. Eine Person, die an diesem Tag für die UnAufgefordert fotografierte, wurde nach eigener Aussage von Demonstrierenden geschoben und behindert.


Bilder: Daphne Preston-Kendal, Hannah Isabella Schlünder