Stephan Kimmig inszeniert am Deutschen Theater Berlin Euripides selten gespieltes Stück Hekabe. Es fokussiert auf die Frauen und Verliererinnen des trojanischen Kriegs.

Nach längerer Zeit inszeniert der Regisseur Stephan Kimmig nun wieder einen antiken Stoff  am Deutschen Theater Berlin, nach Trauer muss Elektra tragen 2011 und  Ödipus Stadt 2012.

Aus der Perspektive der Frauen versucht er der Ursache von Hass auf den Grund zu gehen, in Zeiten von Krieg und Kriegsende. Verhandelt wird das Verhältnis zwischen Sieger und Besiegten und das Handeln derer, die die Opfer tragen müssen.

Das Herz Hekabes ist finster durchtränkt von Schmerz und Hass 

Die größte Leidtragende ist hier die titelgebende Hekabe, greise Königin Trojas, Ehefrau von Priamos, Mutter von 50 Kindern. Ihre Söhne sind (fast) alle im Krieg gefallen. Sie ist nun die letzte Königin Trojas und Odysseus Beute. Hekabe geht mit dem Fall von Troja zugrunde. Ihr Herz, ihr Leid und ihre Gefühle werden seziert. Zu ihrem Leid gesellt sich das Leiden ihrer Tochter Kassandra und das der Schwiegertochter Andromache, Frau des Hektors und Mutter des später getöteten Enkels Hekabes. 

Der Text von John von Düffel basiert auf den Stücken Die Troerinnen und Hekabe von Euripides und Versen aus der Odyssee von Homer. Nicht nur ist der Text über den heldenhaften und listenreichen Odysseus bekannter, sondern auch seine Rolle als Sieger heroischer. Denn im Widerspruch zwischen den Lobpreisungen Homers auf Odysseus und den fortgesetzten Leiden Hekabes als seine Kriegsbeute wird die zumeist einseitige Betrachtung des Krieges und seiner Folgen deutlich. Zwar ist der zehn Jahre andauernde Krieg vorbei, doch setzt er sich fort in der Entmenschlichung, welcher die Frauen schutzlos ausgeliefert sind. 

Ein Konzert in acht Bildern 

Bei dem Stück handelt es sich eigentlich um ein Konzert welches, dem Regisseur zufolge „purer“  wirken soll. Kimmig stellt hierzu lediglich drei Notenständer auf die Bühne. Diese wirkt dank Wänden aus Holz wie ein kühler Konzertsaal, in dem drei Schauspielerinnen in einer fragmentierten Performance den nachhallenden Schmerz durch subtil eingesetzte Lautsprecher, Mikrophone sowie mit Megaphon oder der reinen Stimme facettenreich herausschreien: Das Leiden und der Hass auf die Götter, die das Unglück zuließen, aber vor allem auf die griechischen Siegermächte, teils anklagend und teils resigniert zu Boden fallend. Ihr Martyrium untermalt der Musiker Michael Verhovec mit einer spannungsaufbauenden Soundkonstruktion, ein Mischpult aus Xylophon und Schlagzeug.

Die Wut, der Hass und die Leiden der Frauen 

Die 90-jährige Schauspielerin Katharina Matz verkörpert die Königin Hekabe würdevoll und sehr präsent. Mit rauchiger Stimme spielt Almut Zichler Kassandra und Linn Reusse mimt die rebellische Andromache, die sich dem Weiterleben verweigert und den Tod wünscht. Die Schauspielerinnen wechseln auch einander ab und jede experimentiert mit der Rolle der Hekabe. Die drei leidtragenden Frauen spielen den männlichen Gegenpart Paul Grill an. Dieser erscheint mal als göttlicher Ursacher, mal als schreiendes Baby, mal als von Hekabe getöteter Thrakerkönig Polymester. Mit einem Zahnstocher im Auge und offenem Mund sitzt er tot vor der Bühne. Hekabe ermordete ihn und seine Söhne, da dieser eigentlich ihren Sohn Polydor Schutz gewähren sollte, doch aus Habgier den versprochenen Schutz nicht einhielt. Der Höhepunkt des Hasses wird in dieser Szene erreicht.

Hekabe spielt den Krieg und das Grauen danach plastisch durch. Mit unterschiedlichem Farbwechseln werden die Bilder unterteilt. Insbesondere mit der Farbe Rot wird die Gewalt unterstrichen, etwa während der detaillierten Lesung der ermordeten trojanischen Männer in alphabetischer Reihenfolge samt ihrer Mörder. Almut Zichler nur mit den Schultern, dazu ein schelmisches Grinsen ins Publikum. Die Frauen waren nicht wichtig. Sie waren die Kriegsbeute. Sie mussten alles mitansehen und litten danach weiter. So der Subtext. Am Ende erfolgt die Verwandlung Hekabes zum Zähne fletschenden Hund wie auch Ovid sie in seinen Metamorphosen beschrieb. Ein solides mythologisches Hintergrundwissen sollte den Zuschauer*innen bekannt sein. 

Im Mittelpunkt steht das Wort

Regisseur Kimmig, seit 2009 Hausregisseur am deutschen Theater, sowohl mit dem österreichischen Nestroy sowie zweimal dem deutschen Theaterpreis Der Faust ausgezeichnet, enttäuscht an diesem Abend. Zwar gibt es hier und da spannungsgeladene Momente: vor allem zwischen Matz, als dämonisch lachende Hekabe und Zichler als visionäre Kassandra und auch Reusse, die sich am Ende steigernd vom rebellischen Habitus abnabelt und sich in eine wutentladene Besiegte wandelt. Aber insgesamt wirkt die „pure“ und kühle Performance oberflächlich. Eine länger dauernde chaotische Choreographie gar lächerlich. Im Mittelpunkt stand das Wort. Es war auch das einzige. Von Eindringlichkeit keine wirkliche Spur. Aber es sollte auch pur sein.

 

Die Premiere war am 22. November 2019 es folgen weitere Aufführungen am 28.11, 4.12., 7.12. und 29.12.2019, Deutsches Theater Berlin

Hekabe – Im Herzen der Finsternis nach Homer / Euripides 

Mit: Paul Grill, Katharina Matz, Linn Reusse, Almut Zilcher
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes
Musik: Michael Verhovec, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: John von Düffel

Uraufführung am 22. November 2019
Dauer: 1 Stunde und 30 Minuten

 

Fotos: Arno Declair