Es ist das Unwort des Jahres 2014: „Lügenpresse“. Ob von links oder rechts: Immer mehr Menschen stellen die klassischen Medien radikal in Frage. Was ist dran an den Vorwürfen? Kann man den Journalisten überhaupt noch vertrauen? Oder sind eher die Verschwörer im Internet das Problem?
„Medien, Macht, Wahrheit und der Vorwurf der Lügenpresse – Was macht verantwortungsvollen Journalismus aus?“ Dieses Thema diskutierte Wolf-Christian Ulrich vom ZDF bei den UnAuf-Medientagen 2015 mit diesen Gästen:
- Manuel Bewarder, Journalist bei der Welt
- Daniel Drepper, schreibt für das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv
- Frederik Fischer, freier Medienjournalist, arbeitet unter anderem für VOCER und Tame
- Saskia Sell, Mitarbeiterin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin
Der Journalismus steckt in einer Krise – zumindest, wenn man den lautstarken „Lügenpresse“-Rufen der Pegida-Demonstranten Glauben schenken möchte. Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Kampfbegriff verwendet, ist das politische Schlagwort heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So sind es nicht allein radikale Demonstranten, die einer ganzen Branche die Lüge unterstellen.
Medienwissenschaftlerin Saskia Sell erklärt, dass es einen Negativzusammenhang in der Gesellschaft zwischen dem Grad der Pressefreiheit und dem Vertrauen in die Medien gebe. Je größer die Vielfalt der Informationsquellen, desto weniger Quellen würden die Menschen tatsächlich für vertrauenswürdig halten. Für Manche reiche es dann schon aus, dass eine Information in einer auflagenstarken Zeitung erscheint, damit sie ihr nicht vertrauen.
Außerdem würden oftmals die tatsächlichen Möglichkeiten der Presse von der Gesellschaft überschätzt. Die Menschen hätten sehr hohe Anforderungen an die Arbeit von Journalisten, die in der Praxis nicht erfüllbar seien. Daniel Drepper vom gemeinnützigen Recherchebüro Correktiv erklärt dies am Beispiel seiner Berichterstattung über den Absturz der MH17-Maschine in der Ukraine. Die habe hauptsächlich darin bestanden, Fakten zu sammeln und den Geschehensablauf zu rekonstruieren sowie die sich oftmals widersprechenden Aussagen der Gegenseiten zu analysieren. Viele Leser könnten diesen hohen Arbeitsaufwand nicht einschätzen. Sie würden dann zu jeder alternativen Theorie, die es im Netz so zum Flugzeugabsturz gibt, eine ausführliche Begründung fordern – eine utopische Vorstellung, die nicht zuletzt dadurch entstanden sei, dass im Internet jede Minute aktuelle Nachrichten und Berichte erscheinen.
Der Druck, schnell und wahrheitsgemäß zu berichten, sei für die Medien groß und würde durch die Erwartungen der Leser stetig aufrechterhalten. Drepper sieht darin vorerst kein Problem, solange der medienkompetente Bürger die schnelle Info vom tiefgehenden Bericht zu unterscheiden wisse und mit beidem entsprechend umgehen könne. Allerdings stellte eine Zuhörerin die Frage, wie viel Medienkompetenz vom Konsumenten vorausgesetzt werden könne – schließlich solle er doch erwarten können, dass die Journalisten gut recherchieren und die Informationen der Wahrheit entsprechen.
Der Journalist in Konfrontation
Nicht immer wird jeder Artikel dieser Erwartung gerecht. Gerade auch bei den Berichten über den MH17-Absturz ist es zu handwerklichen Fehlern gekommen, auch von großen Medien wie der ARD. Nicht zuletzt führen diese tatsächlichen Mängel dazu, dass sich Journalisten in ihrer alltäglichen Arbeit immer häufiger mit kritischen Lesermeinungen konfrontiert sehen.
Das Netz werde, so der freie Medienjournalist Frederik Fischer, zunehmend als Gegenöffentlichkeit wahrgenommen, insbesondere durch die nicht immer konstruktive Kommentarkultur unter Artikeln. Die grundlegende Einstellung des größten Teils der Leserschaft habe sich aber nicht verändert, meint Drepper. Stattdessen sei es heutzutage für kritikbereite Bürger schlicht einfacher geworden, die eigene Meinung per Online-Kommentar hörbar zu machen – gerade im Vergleich zum klassischen Leserbrief. Eine wesentliche Herausforderung für den Qualitätsjournalismus sei daher, den Leser weniger als Gegner, denn als Partner zu betrachten, mit dem es in Dialog zu treten gilt.
In jedem Fall müssten Journalisten immer versuchen, möglichst nah an der Wahrheit zu berichten. Manuel Bewarder von der Welt betont die Regel, dass eine Meldung stets von mindestens zwei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt werden muss, bevor sie veröffentlicht werden kann. Unsichere Leser könnten außerdem zusätzlich alternative Medien heranziehen, um die Informationen zu überprüfen.
So waren sich alle Diskutanten einig, dass der Vorwurf der „Lügenpresse“ ein plakativer und inakzeptabler Vorwurf sei. Man solle sich zwar – insbesondere als Journalist – aktiv damit auseinandersetzen, allerdings müsse man sich darüber im Klaren sein, dass man nicht alle Restzweifel in der Bevölkerung ausräumen könne. Die habe es schon immer gegeben und würden auch in Zukunft wohl nie ganz verschwinden.
Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für das interessante Gespräch und den schönen Abend!