Ein einengendes Königreich aus Schnee und Bergen: so werden einem im neuen Film „Vermiglio“ von Maura Delpero die italienischen Alpen vorgestellt. Die Interaktionen der Bewohner eines kleinen Dorfes während des Zweiten Weltkriegs werden hier akribisch durch eine voyeuristische Linse offengelegt.
Filme, die während des Zweiten Weltkriegs spielen, gibt es wie Sand am Meer. Bei der Erwähnung des Genres schießen Filminteressierten mit Sicherheit sofort mehrfach ausgezeichnete Dramen wie „Der Untergang“ oder „Schindlers Liste“ in den Kopf. In diesen wird die häufig unausgesprochene Annahme, dass deutsche Perspektiven auf den von uns initiierten Weltkrieg in eben jenem Genre nicht verhandelbar sind, lückenlos bestätigt. Der bald erscheinende italienische Film „Vermiglio“ präsentiert den (deutschen) Zuschauer*innen jedoch eine weitere Herangehensweise.
„Vermiglio‘s“ Geschichte beginnt in den letzten Kriegsmonaten am Jahresende von 1944. Ein sizilianischer Deserteur wird von einer achtköpfigen Südtiroler Familie versteckt. Er wirkt zutiefst gebrochen von seinen Kriegserlebnissen und verliert kaum ein Wort. Den Zuschauer*innen wird schnell vermittelt, dass das Leben in den italienischen Alpen von strikter Repetition und Disziplin geprägt ist. So haben Jungen und Mädchen klar dezidierte Aufgabenbereiche im Alltag; wenn die Leistungen in der vom Familienvater geführten Schule nicht auf einen „exzellenten Geist“ hinweisen, endet ihr Bildungsweg bereits im präpubertären Alter. Alle sechs Kinder der Familie, die eigentlichen Hauptcharaktere des Films, besitzen stark gegensätzliche Wesen und Hoffnungen für die Zukunft.
Die älteste Tochter verliebt sich in den sizilianischen Deserteur und fiebert einer eigenen Familiengründung entgegen. Ihre kleine Schwester geht öfters „hinter den Schrank“, um ihren Körper in eigens festgestellter „unchristlicher Weise“ zu erkunden beim Anschauen von Vaters geheimen Erotikfotobuch. Der älteste Bruder scheint sich nur fürs Weintrinken und die rauchende „Femme Fatale“ des Dorfes zu interessieren. Und dann endet der Krieg.
Während die Charaktere ihre täglichen Aufgaben, wie das morgendliche Kühe melken, hinter sich bringen, verharrt die Kamera teilweise während des gesamten Prozesses in der gleichen Position, was das Gefühl der Eintönigkeit des Dorflebens aus Sicht der jungen Generation auf die Zuschauer*innen noch einmal verstärkt. Bei Nachtszenen beschwört der Film hingegen eine fast mystisch anmutende Atmosphäre herauf, so eindrucksvoll wirkt die durch den Schnee auch nachts weiß gefärbte Landschaft in Zusammenspiel mit den oft geheimnisbeladenen Gesprächen zwischen den Charakteren.
Die Regisseurin Maura Delpero hat sich bei dem Film in weiten Zügen von ihrer eigenen Familiengeschichte inspirieren lassen. Ihr Vater ist in dem titelgebenden Ort groß geworden, ihr Großvater hat die örtliche Schule geleitet; genau wie der „Familienpatriarch“ im Film. Im Gespräch mit der Zeitschrift „Indiekino Berlin“ verriet Delpero außerdem, dass sie beim Schreiben des Drehbuchs schwanger war, ebenso wie die älteste Schwester im Film. Die Parallelen des Fiktiven und Realen sind dementsprechend unbestreitbar; hier liegt ein zutiefst persönliches Werk vor, welches ein Licht auf die häufig ausgeklammerten Schicksale von Menschen abseits des Allgemeininteresses wirft.
In „Vermiglio“ sind die Schlachtfelder des Weltkrieges stets präsent, wenn auch auf eine viel subtilere, heimtückischere Weise als in manch anderem „Kriegsfilm“. So werden, bis auf eine kurze aber eindrucksvolle Szene, keine großen, pathoserfüllten Reden über die Schrecken der Kampfhandlungen verloren, es geht eben schlicht um den Alltag einer ländlich situierten Familie. Der zu Anfang des Films eventuell willkürlich gewählt wirkende Fokus auf ein kleines Dorf im Trentino entpuppt sich als fantastischer Standort für einen voyeuristischen, detailreichen und zutiefst intimen Blick auf dörfliche Lebenswirklichkeiten außerhalb der hierzulande ewigen Obsession mit dem gebetsmühlenartigen Erzählen der gleichen drei Geschichten.
Volle Empfehlung!
Der Film läuft am 24. Juli in den deutschen Kinos an.







