Beim Besuch des diesjährigen Beats&Bones Podcastfestival im Berliner Naturkundemuseum begegnet unsere Autorin einer neuen Spezies von Geschichtsliebhaber:innen: jenen, die lieber hören als lesen. Podcasts, so wird ihr klar, machen Geschichte nicht nur zugänglich – sie machen sie lebendig. 

Wohl kaum ein kultigeres Kofferwort als Pod-cast (iPod + broadcast) könnte einen passenderen Einstieg bieten, über das Zeitalter des digitalen Storytellings nachzusinnen. Geschichte wird hybrider, wird zunehmend über Mikrofone, Feeds und Streams vermittelt. History-Podcasting hat sich in den letzten Jahren als populäre Form der Geschichtsvermittlung etabliert: eingängig, episodisch, dialogisch. Sie finden im Spannungsfeld von seichter Unterhaltung und anspruchsvoller Informationsvermittlung statt. Geschichts-Podcasts sind nicht bloß Medien, die Vergangenes zugänglich machen – sie sind kuratierte Orte des Erzählens, moderne Museen, an denen die Arten zu erzählen („Narrativität”), selbst zur historischen Kategorie wird. Die Formen historischen Erzählens, Verknüpfens, Inszenierens spiegeln gegenwartstypische Zeitverständnisse ebenso wie unser kommunikatives Selbstverständnis in verzeitlichter Relation. Übergeordnet bedeutet dies, das Erzählen von Geschichte selbst zu historisieren und auf den Grenzen zwischen Disziplinen, zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit als moderne historische Erzähl-Praxis versuchen zu verstehen. Mit der fortschreitenden Medialisierung und den neuesten technologischen Experimenten – etwa die Simulation verstorbener Personen durch KI (Deadbots / Virtual Afterlife), die ihnen eine vermeintlich authentische Stimme verleiht – verschiebt sich die Grenze zwischen Darstellung und Konstruktion, zwischen Überlieferung und Imagination.

Ein kurzer Blick auf den gegenwärtigen „History/Sciencecast“-Markt zeigt ein facettenreiches und dynamisches Feld. Konsumstudien der Jahre 2024/25, etwa von ARD/ZDF oder Podstars, belegen, dass der deutsche Podcastmarkt nach der Covid-Pandemie weiterhin wächst und einen stabil positiven Trend aufweist. Während sich allgemeine Hörer:innenzahlen gut nachvollziehen lassen, blieb eine systematische, valide quantitative wie qualitative Beforschung des spezifischen Konsumverhaltens von Science- und History-Podcasts bislang aus  Einen Überblick über geschichtsbezogene Formate bietet etwa die Plattform Podwatch, die ein Ranking der hundert erfolgreichsten History-Podcasts auf iTunes und Spotify zusammenführt. Auffällig ist, dass deutschsprachige Formate dort regelmäßig die vorderen Plätze dominieren. Dabei reicht die geschichtsbezogene Podcast Landschaft von privat produzierten Angeboten zu öffentlich-rechtlichen Produktionen, von unterhaltungsdominiertem Mainstream bis hin zu lehrstuhl- oder institutsgebundenen Mikroplattformen. Auch fachspezifische Audiomedien, die als Begleitformate zu Publikations- und Informationsportalen dienen , haben sich etabliert, etwa der H-Soz-Kult-Podcast Vergangenheitsformen oder Praxis Public History. Eine umfangreiche Listung deutschsprachiger History-Casts bietet die Plattform wissenschaftspodcasts.de, die zugleich die Vielfalt des Feldes dokumentiert. Parallel dazu formiert sich mit den Podcast Studies eine eigene Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften, die sich explizit mit Podcasts als Medium, Methodik und Forschungsgegenstand auseinandersetzt. Formen der Vernetzung, der Datenbankerstellung und der digitalen Archivierung von Geschichtspodcasts entstehen dabei ebenfalls, etwa in Initiativen wie #Historytelling.

So vielseitig die Produktionshintergründe von Podcasts sind, so vielfältig zeigen sich auch ihre Narrationsformen. Ein Großteil der Formate setzt dabei auf Zwiegespräch, welches sich zwischen lockerem Laien-Plausch und professionellem Expert:innen-Interview bewegt. Grundlage bildet dabei häufig eine Hörfunklogik, die sich durch eine nicht zu lange Satzstruktur und den bewussten Umgang mit Fachvokabular – sei es durch Vermeidung oder gezielte Einführung – auszeichnet. Das Dialogische, das Umgangssprachliche, das naive, emotionale „Fragenstellendürfen“ ohne Hintergrundwissen vorauszusetzen als auch eine klare Rollenverteilung mit Wiedererkennungswert, untermalt von griffigen Eigennamen und Merch („Markenbildungscharakter”) schaffen eine besondere Nahbar- und Identifikationsfähigkeit. Damit tragen Podcasts zugleich zwei zentralen Auswertungsergebnissen aktueller Konsumstudien Rechnung: Zum einen bedienen sie die Allgegenwärtigkeit wie Alltäglichkeit des Audiokonsums, zum anderen schaffen sie audio-basierte „Safe-Spaces“.

Die Anpassung der Erzählbarkeit von Vergangenheit in konsumierbare Einheiten ist auf seltsam dichotome Weise gleichzeitig Ausdruck einer verdichteten Taktung gegenwärtigen Erzählens, aber auch– durch die thematisch punktuell generierte innere Abgeschlossenheit, ebenso wie die Archivierung und Digitalisierung einzelner Episoden – Ausdruck permanent möglicher Wiederholbarkeit. Ob kalendarischer (z.B. Halloween, Tag der deutschen Einheit etc.), tages-politisch aktueller oder höchstpersönlicher Anlass, das „Wieder-Reinhören“, das „Zurückspulen-können“, aber auch das „beschleunigte Hören“ suggerieren im Zuhören über Zeit(igkeit) sowie in der Zeitlichkeit des Zuhörens flexible Kontrollierbarkeit.

Ein übergreifendes Merkmal könnte man auch darin auszumachen vermeinen, dass History-Podcasts – wenn auch in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Weise – hybride Kommunikationsformate sind. Eingebettet in Plattformen, die im Bemühen um Barrierefreiheit ausgeschriebene Textcords unterlegen, Quellenhinweise, weiterführende Links zu Büchern, zu Tickets, zu YouTube Channeln, zu Museumsworkshops, zu Merch findet man in den Show-Notes, digitale un schrifttliche Hörer*innenbriefe, werden in vielen Formaten regelmäßig vorgelesen, reflektiert, kommentiert bzw. Publikumsideen und -kritik umgesetzt.  Auch analoges Live-Podcasten als Bühnenshow wie auf dem diesjährigen Podcast-Festival Beats&Bones im Berliner Naturkundemuseum sind Ausdruck dieser Hybridität.

Zu den Herausforderungen des History-Podcastings zählen unter anderem Phänomene wie False Balancing, also die vermeintlich neutrale Gegenüberstellung ungleichgewichtiger Positionen, oder die problematische Vermischung von Quellen- und Gegenwartssprache. Hinzu kommt die oft verzerrende Kombination frei assoziierter Soundeffekte mit historischen Tonaufnahmen, die ein prekäres Verhältnis zwischen faktenbasierter Authentizität und „Real-life-experience“ aufmacht. Auch der inflationäre oder unausgewogene Einsatz von Triggerwarnungen in Bezug auf historische Ereignisse sowie Fragen nach Memorierbarkeit und systematischem Fact-Checking markieren empfindliche Punkte im Medium. All diese Aspekte sind nicht nur ausdrücklich problematisch, sondern eröffnen zugleich produktive Räume des Austauschs über Fehlerkultur. So greifen beispielsweise Geschichtslehrkräfte solche Beobachtungen bereits in der Praxis kritisch auf und nutzen sie didaktisch.

Vor diesem Hintergrund treten die aktuellen Herausforderungen durch KI noch deutlicher hervor. Die Möglichkeit, sogenannte „Deadbots“ oder stimmlich rekonstruierte, längst verstorbene historische Akteure sprechen zu lassen, verschärft die Frage nach Authentizität und Repräsentation von Geschichte erheblich. Das Medium Podcast wird durch diese Entwicklungen  zu einem Schauplatz, an dem sich nicht nur über die Vergangenheit erzählt wird, sondern auch über die Grenzen und Verantwortlichkeiten heutiger Medienkultur reflektiert werden muss.

In seinem Monumentalwerk Zeit und Erzählung (1983) schrieb Paul Ricoeur: „Die Zeit wird zur menschlichen Zeit, soweit sie erzählerisch artikuliert wird.“ Möglicherweise steht mit Past-, Present- und Futurecast eine mediale Umwälzung bevor, die irgendwann mit der Bedeutung des Buchdrucks in Zusammenhang gebracht wird.


Foto: Will Francis