In dem Podcast „Rätsel des Unbewussten” erzählen die Psychoanalytiker Dr. Cécile Loetz und Dr. Jakob Müller Fallgeschichten und erklären psychologische Phänomene. Wie zum Beispiel in Folge 83: „Blut statt Tränen. Zur Psychologie des Hasses”.
UnAuf: Haben Sie schon mal jemanden gehasst?
Jakob Müller: Ja, Lehrer.
Cécile Loetz: Ich auch, aber ich sage lieber nichts (lacht).
JM: Das mit den Lehrern muss ich ja jetzt erklären: Die typischen Zutaten von Hassgefühlen kommen in der Schule zusammen. Man fühlt sich unverstanden und ungerecht behandelt, weil man das Gefühl hat, dass eine Person ihre Machtposition gegen einen nutzt, ohne dass man sich dagegen wehren oder der Situation entfliehen kann. Ähnlich wie Neid ist Hass eine komplexe soziale Emotion, und auch stark schambesetzt. Im politischen oder gesellschaftlichen Kontext ist das natürlich etwas viel Dramatischeres als in der Situation ‘Schüler gegen Lehrer’.
UnAuf: Wie würden Sie Hass, auch in Abgrenzung zu Wut, charakterisieren?
CL: Wut dient eher dem Selbstschutz oder der Selbstverteidigung vor einer wahrgenommenen Bedrohung und ist demnach auch evolutionär sinnvoll. Sie kann wieder verpuffen, nachdem sie sich Luft verschafft hat. Hass ist eher etwas, was dann weiter schwelt. Es gibt nur ein Ziel: Dem Anderen zu schaden – auch unter Aufopferung des Selbst.
JM: Wut ist auch psychologisch wichtig, um den eigenen Gedanken Raum zu verschaffen. Trennungswut oder Trennungsaggression sind da Begriffe, die wichtig sind. Man braucht sie, um sich zum Beispiel aus ungesunden Beziehungen und Situationen zu lösen. Das ist nicht immer angenehm, aber konstruktiv: Man muss den Anderen zurückweisen, weil man etwas für sich möchte. Darunter fallen auch ganz besonders Elternbeziehungen, die das Kind lösen muss. Auf ein Elternobjekt wütend sein zu können, ist etwas sehr Reifes. Hass ist dagegen per se destruktiv und darauf angelegt, etwas zu zerstören. Egal, ob man damit etwas Neues schafft oder nicht. Der Hass ist manchmal sogar das Gegenteil von Selbstschutz, weil er bereit ist, auch das eigene Selbst zu opfern …
CL: …Hass kann auch eine verzweifelte und destruktive Form der Kommunikation sein. Das kann so weit gehen, dass man versucht, mit den Mitteln der Gewalt zu einem anderen durchzudringen. Ihm die eigene Perspektive aufzuzwingen oder ihn das fühlen zu lassen, was man selbst fühlt, damit er endlich begreift. So zerstört die Person aber letztendlich oft das, was sie sich eigentlich ersehnt.
JM: ”Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe”, um die Ärzte zu zitieren.
UnAuf: Wie ist es mit identitätsstiftendem Hass? Besonders in Bezug auf politischen Extremismus drängt sich dieses Phänomen auf: Hassen, um dazuzugehören.
JM: Hass lädt ein, die Gruppenidentität basierend auf dem Ausschluss anderer Personen zu bilden. Er spaltet in “Freund” und “Feind” und wenn man einen gemeinsamen Gegner hat, entsteht automatisch Zugehörigkeit. Das ist ein identitätsstiftendes Moment mit einem mächtigen Affekt. Hass bindet sehr stark: Aneinander, in der Gemeinschaft der Hassenden, aber auch an das Hassobjekt, das einem immer wieder sagt, wer man ist – beziehungsweise nicht ist.
UnAuf: Diese Hassspirale, die Sie auch in Ihrem Podcast ansprechen, die früher oder später in der Zerstörung des Anderen oder in der Zerstörung eines Selbst enden muss, entwickelt sich nicht bei jedem. Wann kann es passieren, dass so eine Hassspirale unreguliert immer weiterläuft? Sind Sie beim Hass auf ihre Lehrer stehen geblieben?
JM: Naja, der Lehrer lebt auf jeden Fall noch und ich auch (lacht). Hass führt nicht notwendigerweise zu Zerstörung. Man hat auch konstruktive Gegenkräfte in sich. Als Schüler will man zum Beispiel nicht seine ganze Schullaufbahn gefährden, sondern hat den Wunsch, weiterzukommen. Außerdem gibt es immer Hoffnung: Denn es gibt den Ausblick, dass nächstes Jahr jemand anderes das Fach unterrichtet oder irgendwann die Schule vorbei ist. Man richtet den Blick nach vorne. Dritte Instanzen sind auch wichtig: Ein Vertrauenslehrer, Eltern oder Mitschüler, mit denen man sich versteht. Aber wenn das alles nicht da ist, ich auf ewig unter diesem Lehrer in dieser Schule sein müsste, dann ist die Frage, ob man so konstruktiv bleibt auf die Dauer. Oder wenn ich schon eine sehr große innere Kränkung aus meiner Geschichte mitbringe, dass ich das nicht ertragen kann. Dann wirken diese Kräfte nicht: Ich muss mich jetzt rächen. Der Normalfall ist aber, dass es genügend konstruktive, andere Kräfte gibt. Und die lassen den Hass nicht obsiegen. Eine Retourkutsche im Abischerz reicht.
UnAuf: Also eine Art emotionale Vektoren, die gegeneinander wirken. Wie ist es, wenn diese im Falle des Selbsthasses in einer Person, in einem Selbst, vereint sind?
CL: Im Falle des Selbsthasses verbleibt der Hass im eigenen Selbst und wird zu einer inneren Tragödie. Statt »Ich gegen den anderen« gilt »Ich gegen mich selbst«. Dieser Selbsthass geht aber oft auf einstmals reale Erfahrungen mit anderen zurück. Abwertungen, die wir von anderen erfahren haben, können ein Teil von uns selbst werden. Die äußere Stimme, die uns einmal verurteilt hat, wird zu einer inneren Stimme, mit der wir uns selbst verurteilen. Daraus kann geradezu ein innerer Verfolger werden oder ein innerer Tyrann, in der Psychoanalyse spricht man in bestimmten Fällen auch von einem »Täterintrojekt«.
JM: Der Hass gegen andere kann auch als Schutz vor dem eigenen Selbsthass dienen. Man schafft den Hass nach draußen, bekämpft das, was man eigentlich an sich selbst hasst, im anderen.
CL: Manchmal geht es beim Selbsthass aber auch um die Erfahrung, dass man seine Wut nicht hat aussprechen können, der eigene Ärger immer nur Gegenaggression provoziert hat oder man immer ignoriert wurde. Einer solchen Person kann es später im Leben schwerfallen, auch berechtigten Ärger gegen andere zu äußern oder sich abzugrenzen. Stattdessen richtet die Person ihren Ärger immerzu gegen sich selbst, bis hin dazu, dass sie sich selbst ein Bein stellt oder Schaden zufügt. Hier zielt der Selbsthass aber eigentlich unbewusst auf den anderen.
UnAuf: Würden Sie sagen, es gibt einen Unterschied zwischen den Geschlechtern im Umgang mit Hass?
CL: Ich glaube, ich wäre vorsichtig mit einer Pauschalisierung, weil ich schon sagen würde, dass es viele Ähnlichkeiten gibt. Aber vielleicht äußert sich der Hass bei Männern und Frauen manchmal auf unterschiedliche Weise. Wir haben in unserem Podcast von einem stillen und einem lauten Hass gesprochen. Der Tendenz nach war es zumindest lange so, dass Aggressivität bei Männern eher als Stärke und Durchsetzungsvermögen interpretiert wurde, bei Mädchen eher als etwas Negatives – Stichwort »Zicke«. Aber das ändert sich ja auch. Trotzdem neigen Männer auch heute noch eher zu jenem lauten und aggressiven Hass. Krieg zum Beispiel wird ja meist eher durch Männer ausgelöst und geführt.
JM: Ausgelöst wird er durch die Frauen. Helena sag ich nur (lacht). (Anm. d. Red.: Der Kampf um die Ehe mit Helena, der schönsten Frau der Welt, soll den Trojanischen Krieg ausgelöst haben.)
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