Hass erzeugt Hass, Gewalt erzeugt Gewalt. Mathieu Kassovitz’ Film „La Haine”, (auf Deutsch „Hass”) gelingt es, die Polarisierung der französischen Gesellschaft und die Folgen von Rassismus und Klassenherrschaft für den sozialen Zusammenhalt schonungslos zu beschreiben.
Am 27. Juni 2023 wird der 17-jährige Nahel Merzouk bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre von einem Polizisten erschossen. In den darauffolgenden Nächten kommt es frankreichweit zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen aus den Vorstädten und der Polizei. Angesichts der Ereignisse des letzten Sommers wirkt der Film „La Haine” von Mathieu Kassovitz aus dem Jahr 1995 wie ein erschreckend gegenwärtiger Spiegel dieser Geschehnisse.
Armut, Rassismus, Perspektivlosigkeit
Die Handlung setzt ein, nachdem Abdel, ein Jugendlicher aus einer der „Cité” genannten Großwohnsiedlungen am Rand von Paris in Folge rassistischer Polizeigewalt in Lebensgefahr schwebt und sich Jugendliche aus dem Viertel Straßenkämpfe mit den Einsatzkräften liefern. Vinz, Hubert und Saïd, drei Freunde von Abdel, die allesamt einer marginalisierten Minderheit angehören – Vinz ist Jude, Hubert Schwarz und Saïd hat maghrebinischen Migrationshintergrund – leben in Armut und Perspektivlosigkeit in der Betonwüste der Großwohnsiedlung. Da keiner der drei einer Lohnarbeit nachgeht, verbringen sie ihre Tage damit, mit Freunden herumzusitzen und zu kiffen. Vinz ist es bei der nächtlichen Konfrontation mit der Polizei gelungen, einem Beamten seine Dienstwaffe abzunehmen, die er seinen Freunden stolz präsentiert. Sie entschließen sich, ihren Freund im Krankenhaus zu besuchen, werden aber von der Polizei nicht zu Abdel durchgelassen, da dieser im Koma liegt und seine Familie gerade bei ihm ist. Es kommt zu einem Wortgefecht mit den Polizisten, woraufhin Saïd vorläufig festgenommen wird. Nach seiner Freilassung entschließen sich die Freunde, nach Paris zu fahren, um einen Drogenhändler aufzusuchen, der Saïd Geld schuldet. Im Laufe der Nacht kommt es zu weiteren Konflikten mit der Polizei, woraufhin Hubert und Saïd vorläufig festgenommen und von weißen Polizisten brutal misshandelt werden. Als die drei, wieder auf freiem Fuß, auf dem Werbebildschirm eines Einkaufszentrums lesen, dass Abdel seinen Verletzungen erlegen ist, schwört Vinz, nach wie vor bewaffnet, seinen Freund zu rächen.
Kassovitz gelingt es meisterhaft, den Rassismus, die soziale Ungerechtigkeit, sowie die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit der Jugendlichen darzustellen. Die grauen Hochhausblöcke der Cité wirken durch die Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch trostloser als ohnehin. Die Armut der Siedlungsbewohner*innen wird durch kurze Einblicke in die Familien der Protagonisten deutlich, beispielsweise wenn sich Huberts Mutter beklagt, dass sie nicht genug Geld hat, um Schulbücher für Huberts Geschwister zu kaufen. Diese Szene verdeutlicht, dass das politisch gepriesene meritokratische Ideal des Aufstiegs durch Bildung in den meisten Fällen eine Illusion bleibt. Der abwertende Blick der Mehrheitsgesellschaft auf die Cité zeigt sich neben der Polizeigewalt auch im Auftreten von Politik und Medien, wenn etwa der Bürgermeister begleitet von Polizei- und Medienvertreter*innen durch das Viertel spaziert oder ein Fernsehteam die drei Protagonisten sensationslüstern über die Ausschreitungen befragt, sich aber nicht traut, aus dem Auto auszusteigen.
Polizeigewalt und Polarisierung
Die Polizeigewalt und der Rassismus der Beamten sind in „La Haine” allgegenwärtig. Besonders deutlich wird dies in einer Szene, in der ein Polizist Hubert und Saïd auf der Wache verhört und dabei ohne Anlass alle ihm bekannten Schmerzgriffe an den Jugendlichen anwendet. Zu seinem untätigen, jungen Kollegen sagt er, die größte Schwierigkeit bestehe darin, rechtzeitig aufzuhören. Sowohl die Polizisten, die im Film als einzige Vertreter*innen des Staates in Erscheinung treten, als auch die Jugendlichen in der Cité sind von Hass und Feindseligkeit gegen die jeweils andere Gruppe angetrieben. Sie sehen im Staat und seinen Repräsentant*innen ein System, das ihnen repressiv gegenübertritt. Im Aufstand und der damit verbundenen Konfrontation mit der Staatsgewalt verspüren sie eine Selbstwirksamkeit, die ihnen in ihrem Alltag verwehrt bleibt. Gleichzeitig sind sie für die Polizei ein Feind, den es, notfalls mit Gewalt, zu kontrollieren und zu beherrschen gilt.
„La Haine” zeigt auf bedrückende Weise, dass eine Gesellschaft, die sich die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen schreibt und der es nicht gelingen will, allen ihren Mitgliedern eine würdige Lebensperspektive zu bieten, irgendwann auseinander bricht und in Gewalt versinkt.
Foto: 1995 Gramercy Pictures