Ein kürzlich gekippter Mietendeckel und heftige Kritik an Immobilienkonzernen: Die Problematik rund um Gentrifizierung und Wohnraummangel ist aktueller denn je. Doch die Debatte rund um den urbanen Lebensraum ist nicht nur ein modernes Phänomen. Das sieht man im Musiktheaterstück „Das Haus Dazwischen“, komponiert von Spoliansky und unter der Regie von Anna Weber, welches am vergangenen Wochenende von einem jungen Ensemble im Ackerstadtpalast aufgeführt wurde.

Wem gehört die Stadt? Peter Knorr ist sich jedenfalls sicher, wem sie bald gehören wird: den Investoren des City-Palastes, die sein kleines, in die Jahre gekommenes Off-Theater aufkaufen wollen. Der Intendant weigert sich daher vehement, einen Kaufvertrag zu unterzeichnen. Sein Theater bleibt ,,Das Haus dazwischen“, ein Dorn im Auge des Konzerns, der immense Bauvorhaben verwirklichen möchte und alle angrenzenden Grundstücke bereits aufgekauft hat.

Was sich anhört wie ein tagesaktueller Konflikt zwischen Privatbesitzer und Großkonzern entstammt in Wahrheit dem aktualisierten Stoff eines Werkes aus den frühen Dreißigerjahren: „Das Haus Dazwischen“ ist ein Volksstück des Berliner Komponisten Micha Spoliansky, sowie der Autoren Marcellus Schiffer und Felix Joachimson. Uraufgeführt worden ist das Stück 1932, doch es dauerte knapp 90 Jahre bevor eine junge Regisseurin den Stoff kürzlich wiederentdeckte. Für Anna Weber war augenblicklich klar: „Dieses Stück müssen wir spielen!“.

Nach einem Monat intensivster Proben feierte die Inszenierung nun am 11. Juni  ihre Premiere im „Ackerstadtpalast“, der wohl idealsten Spielstätte für Spolianskys Stück. Das im Stück dargebotene urbane Gesellschaftsdilemma ist gegenwärtig wahrnehmbar: In einer Straße voll neu sanierter Gebäude widersetzt sich die alternative Kunst- und Kulturstätte „Ackerstadtpalast“ seit vielen Jahren den lauernden Gentrifizierern und bleibt standhaft das “Haus dazwischen“. Als Teil der Freien Szene Berlins verbirgt die Häuserfassade eine Eventlocation, die attraktiven Schaffensraum jenseits etablierter, klassischer Institutionen bietet. „Wenn man den Hof betritt, verlässt man die Stadt“, so ein Zuschauer. Doch was spielt sich ab hinter der großen Eingangspforte? Was entsteht abseits des gewohnten Wirkungsbereiches der Stadt? 

Die Arbeit des Ensembles zeichnet sich durch eine fließende Verschmelzung von vielfältiger Musik und Szene, sowie ein kritischer Umgang mit gängigen Klischees aus. Zum Produktionsteam gehört Henning Wölk, der als musikalische Leiter für die Originalität der Umsetzung mitverantwortlich ist: Die fünfköpfige Jazzband verschwindet beispielsweise nicht im Konzertgraben, sondern spielt und spricht als aktiver Teil der Szene. Auch die Grenzen zwischen diversen Musikstilen von Foxtrott bis hin zu Jazz, sowie gesprochenen und gesungenen Szenen verschwimmen. Die Musik bedient hier nicht nur Emotionen, sondern treibt zugleich die Handlung maßgeblich voran. Ebenfalls bedient man sich überspitzer Darstellungen, die gesellschaftliche Rollen durch Ironisierung brechen.

 Junges Operntheater

Gleich in der Eröffnungsszene lernt der Zuschauer die Investoren kennen, deren Charaktere gänzlich absurd und urkomisch erscheinen. Komplett in grau uniformiert, mit futuristischer Brille ausgestattet, erinnern die drei Figuren eher an Clowns als an ernst zu nehmende Geschäftspartner. Die Opernsängerinnen Gina May Walter, Janneke Dupré und Ekaterina Bazhanova überzeugen in ihren Rollen nicht nur stimmlich, sondern zusätzlich durch eine kaum nachzuahmende Gestik und Mimik. Als Witzfiguren bringen sie das Publikum zum Lachen, regen aber gleichzeitig zum Nachdenken an: Sind diese verzehrten Abbilder des individuellen Menschen überhaupt noch ernst zu nehmen?

Foto: Cornelius Reitmayr

Dem Ensemble gelingt es, die makabre Seite des Immobilienmarktes zu beleuchten: Moderne Großkonzerne wirken menschenfern, profitgierig und egoistisch. Von Empathie und Kompromissbereitschaft fehlt jede Spur.

„Ich finde es sehr aktuell, dass ein City Palast ein Privatgrundstück bedrängt.“ betont Star Solistin Caroline Schnitzer, die das Theater-Sternchen Barbara spielt. Unter den Opernsingenden ist man sich einig: Die Aufbereitung Spolianskys Stück passt erschreckend gut in den tagesaktuellen Diskurs. Moderne Begrifflichkeiten wie „City Palast“ tauchen bereits in der ursprünglichen Fassung auf.

Lediglich den Beruf von Peter Knorr, gespielt und gesungen von Ludwig Obst, hat man von einem Uhrmacher zu einem Intendanten abgeändert, um ebenfalls auf die Machtstrukturen innerhalb der Theaterbranche eingehen zu können. Seine Assistentin wird zudem von einem Mann gespielt. Ferdinand Keller, der ebenfalls Knorrs Freund Kuno spielt und somit gleich doppelt besetzt ist, fasziniert vor allem das „Wiederkehren der Themen“. „Alles entwickelt sich und im sozialen Miteinander stoßen wir dennoch auf dieselben Probleme wie vor 100 Jahren. Als Menschen wachsen wir scheinbar doch nicht wirklich zusammen. Das sollte uns zu denken geben.“, kritisiert er.

Wie kann es überhaupt sein, dass ein derart zeitgemäßes Stück beinahe in Vergessenheit geraten wäre, wo doch seine Aussagekraft bedeutender ist denn je? Die Regisseurin Anna Weber, 28 Jahre jung und ausgebildet an der Hans-Eisler Hochschule für Musik in Berlin, erzählt von der Geschichte ihres Zufallsfundes, der sich als Schatzkiste offenbarte: Im Dezember 1932 wird „Das Haus Dazwischen“ des jüdischen Komponisten Spoliansky zum ersten und vorerst letzten Mal aufgeführt. Bereits im Januar 1933 erfolgt ein Verbot durch das Naziregime. Nach langen Jahren des öffentlichen Desinteresses, erfährt das Musiktheaterstück nun dank Weber die gebührende Neuinszenierung.

 Überraschend aktuell

Gemeinsam mit ihrem Kollektiv „tutti d`amore“, das die Produktion und Realisation von Spolianskys Musiktheater maßgeblich unterstützt hat, geht es der Opernregisseurin darum, das „Hochkultur-Genre Oper“ zu reformieren. Der Abbau von Barrieren sei entscheidend, um auch die Menschen zu erreichen, die bis jetzt keinen Zugang zur klassischen, institutionellen Oper finden konnten. Gleichzeitig sei es wichtig, den Konkurrenzgedanken der „alten Schule“ hinter sich zu lassen und Theater als ultimativen Teamsport zu begreifen. In ihrer Generation erlebe sie bereits bedeutende Umbrüche: „Die bislang sehr hierarchische Struktur der Oper bricht auf. Ein Ensemble- Netzwerk entsteht und verbindet erstmals die Menschen innerhalb einer bislang sehr konkurrenz getriebenen Berufsgruppe.“

„Es braucht Zusammenhalt.“ lautet Webers Schlussplädoyer des Abends. Ihr Ensemble hat sich diesem Motto gemäß an einen unangetasteten Stoff und eine aufgeheizte öffentliche Debatte herangewagt und überzeugt hierbei nicht nur musikalisch. Die Stimmgewalt der Oper Singenden und die zahlreichen Fertigkeiten der Musizierenden sind überragend. Ihre Leidenschaft und Energie ist schlichtweg ansteckend. Gekrönt wird das Multitalent der Darsteller allerdings von dem ganzheitlichen Produktionsergebnis: „Das Haus Dazwischen“ ist mehr als reine Unterhaltung. Das Stück vereint komische Episoden mit bitterernster Lebensrealität und verliert dabei nie aus den Augen was auf dem Spiel steht- die Zukunft urbaner Stadtentwicklung und welche Rollen wir darin spielen können.

Leider wartet das Ensemble noch auf eine erneute Förderungsbescheinigung und es gibt vorerst keine weiteren Spieltermine für „Das Haus Dazwischen“.  Wer auf dem neusten Stand bleiben will, kann allerdings die sozialen Medien des Kollektivs „tutti d*amore“ verfolge. Es stehen weitere Premieren an und nach den großen Wiedereröffnungen bringen die Kollektivmitglieder dann vielleicht sogar etwas Oper in eure Lieblingsclubs. Vor Corona ist dieses Konzept, eine Verbindung von Clubbing Sphäre und junger Oper, nämlich gut angenommen worden. Zurzeit bestehen jedoch weiterhin strikte Zuschauerbegrenzungen, weswegen es ratsam ist, sich frühzeitig Tickets zu sichern.