Wegen mangelnder Interdisziplinarität und Intersektionalität im Psychologiestudium haben fünf Masterstudentinnen das Symposium “Therapie im Kontext” veranstaltet. UnAuf hat mit zwei Organisatorinnen über ihre Forderungen an die Uni und die Umsetzung einer wissenschaftlichen Veranstaltung gesprochen.

UnAuf: Ihr habt als Gruppe aus Masterstudentinnen der Psychologie und Genderstudies das Symposium “Therapie im Kontext” organisiert. Wo liegt für euch die Schnittstelle dieser beiden Studiengänge?

Hanne: Es gibt sehr viele Schnittstellen, diese finden aber kaum Beachtung in der Psychologie. Es wird selten interdisziplinär geforscht. Wir sehen aber auf jeden Fall viele Gemeinsamkeiten thematisch.

UnAuf: Zum Beispiel?

Hanne: Zum Beispiel, dass Gender und auch sexistische Machtverhältnisse Einfluss auf die psychische Gesundheit und unser Verhalten nehmen.

Annika: Genderstudies haben ja den Anspruch unsere Gesellschaft und einzelne Vorkommnisse im Kontext zu betrachten und analysieren und das war auch das Ziel unseres Symposiums: Therapie oder Psychologie in den Kontext der Gesellschaft zu setzten. Also einen intersektionalen Ansatz auf Psychologie umzusetzen und den Inhalt der Psychologie mit Genderstudies Methoden oder einer Genderstudies Haltung betrachten.

UnAuf: Ihr habt bei dem Symposium diskutiert, inwiefern individuelle Erfahrungen und soziale Bedienungen bei der Behandlung von psychischen Krankheiten als verwoben betrachtet werden müssen. Was war die wichtigste Erkenntnis die ihr aus dem Symposium gezogen habt?

Hanne: Also thematisch würde ich sagen, dass wir vorher schon viel in der Gruppe darüber gesprochen, dass es eigentlich absurd ist, wie in der Psychologie familiäre Ursachen von sozialen Faktoren getrennt werden. Das wurde in den Vorträgen bestätigt. Aber es war neu, zu erkennen, dass es in der Psychologie dazu Forschung gibt – auch, wenn das nur einige wenige Wissenschaftler*innen sind. Durch das Symposium haben wir konkrete feministische und rassismuskritische Perspektiven auf Psychologie kennengelernt.

Annika: Tatsächlich ging es noch gar nicht so sehr um die Behandlung, sondern mehr auch um eine Analyse der Situation. Solche Dinge werden nicht in Behandlungsansätze reingedacht oder gelehrt. Zu sehen, dass es andere Forscher*innen, andere Wissenschaftler*innen und aber auch ganz viele Studierende gibt, die daran Interesse haben, das war auch für mich die Haupterkenntnis. Also, dass man nicht alleine ist mit der Kritik an der Wissenschaft Psychologie, wie sie gerade an den Unis gelehrt wird.

UnAuf: Würdet ihr daraus eine konkrete Forderung an die Uni formulieren wollen?

Annika: Eine konkrete Forderung wäre eine Änderung des Lehrplans, dass intersektionale Perspektiven und soziale Ungleichheit mit einbezogen werden. Dass es Module gibt, die sich damit auseinandersetzen und dementsprechend Lehre und Forschung.

Es kann ja eigentlich nicht sein, dass das nur von Studis in ihrer privaten Zeit organisiert wird. Die Psychologie müsste sich öffnen und interdisziplinärer und intersektionaler werden und sich nicht nur als reine Naturwissenschaft begreifen. Die sozialwissenschaftliche Perspektive ist total wertvoll, eine Bereicherung und auch total notwendig, um psychologisch zu arbeiten und zu forschen. Das sollte die Uni anerkennen und umsetzen.

Hanne: Was ich gelernt habe aus der Organisation, war, dass man als Studierende auch Einfluss nehmen kann auf Lehre und Forschung. Überhaupt, dass Studierende diejenigen waren, die auf institutioneller Ebene was verändert haben. Das Studium kann auch durch Studierende gestaltet werden. Nur so kann vielleicht auch auf institutioneller Ebene langfristig etwas verändert werden.

Ich finde es auch wichtig, darüber nachzudenken, wie das Studium auch zugänglicher wird. Ich glaube es ist ein Problem, dass viele Menschen die Psychotherapeut*innen werden aus einer ähnlichen Lebensrealität kommen und dann später aber mit Patient*innen arbeiten, die aus einer sehr heterogenen Lebensrealität kommen. Es ist auf institutioneller Ebene ein Problem, dass dieses Studium sehr sehr elitär ist – und auch die Ausbildung, die kostet wahnsinnig viel. Wenn die Studierendenschaft heterogener wäre, dann würden auch heterogenere Perspektiven stärker in die Forschung und die psychotherapeutische Praxis eingebracht werden.

Annika: Ja, ich denke auch, die Forderung an die Uni ist nicht nur, dass die Themen im Lehrplan aufgenommen werden und dann sind alle Probleme gelöst. Das Studium an sich ist schon ein Problem, also nicht nur die Inhalte, sondern auch die Zugänge zu dem Studium selbst und dem Fachwissen. Auch da gibt es ein gatekeeping.

UnAuf: Ihr wollte das Thema also mit Tutorien und Veranstaltungen weiter bearbeiten?

Hanne: Das Symposium ging über fünf Tage und am letzten Tag fanden elf studentische Veranstaltungen statt, also Workshops und Vorträge, die von Studierenden gemacht wurden. Da haben wir nachträglich im Plenum darüber gesprochen, wie man sich vernetzen könne – es waren Studierende von ganz unterschiedlichen Unis dabei. Es hat sich dann auch eine Telegramm-Gruppe dazu gegründet und wir hoffen, dass auch andere Personen sich organisieren und wir das nicht alles anleiten.

Annika: Der nächste Schritt ist, Mitstreiter*innen zu suchen und zusammen mit denen in einem offenen Plenum zu diskutieren, wie es weitergehen soll.

Hanne: Wir wollen halt erstmal einen Rahmen schaffen, zum Beispiel durch einen Verteiler und diesen Plenumstermin.

UnAuf: Also ihr wollt das Projekt dann weitergeben?

Hanne: Ja, wir sind ja keine Hochschulgruppe. Klar, wir könnten eine Gruppe gründen von der wir dann auch teil sind, aber es gibt diese Strukturen noch nicht und wir können die nicht zu fünft aufbauen.

UnAuf: Hat es einen Grund, dass euch das Thema genau im letzten Jahr so beschäftigt hat? Hattet ihr das Gefühl, dass das durch die Online-Lehre oder die Pandemie akuter geworden ist?

Hanne: Wir haben den Antrag bei der Humboldt Universitäts Gesellschaft (HUG), die das Symposium finanziell gefördert hat, schon vor Corona gestellt.

Annika: Das Thema hat uns schon länger beschäftigt. Wir haben uns aus der Unzufriedenheit aus dem Psychologiestudium heraus als befreundete Kommiliton*innen über bestimmte Dinge beschwert und dann gesagt ‘Warum machen wir nicht selber was, um uns weiterzubilden?’. Das Online-Format ist dann durch Corona zustande gekommen. Das hatte den Vorteil, dass wir eine viel größere Reichweite für die Themen hatten und viel mehr Leuten ermöglichen konnten da teilzunehmen.

Hanne: Es war auch einfacher Referent*innen aus unterschiedlichen Städten einzuladen. Es haben auch alle zugesagt, die wir angefragt haben. Das wäre in Präsenz vielleicht auch nicht so gewesen. Dadurch hatten wir dann sehr abwechslungsreiche Vorträge.

UnAuf: Warum habt ihr euch denn dafür entschieden ein Symposium zu machen anstatt ein Tutorium anzubieten?

Annika: Weil wir uns gedacht haben, dass wir selber nicht die Expert*innen in dem Thema sind und wir uns externes Wissen dazu holen wollten. Und da dachten wir uns, wir fragen andere, die sich schon damit beschäftigt haben, um möglichst vielen anderen Personen was beizubringen.

Hanne: Genau, wir hätten gar nicht das Wissen und die Expertise dazu gehabt, ein Seminar anzubieten. Durch die Organisation haben wir uns auch inhaltlich weiterentwickelt.

UnAuf: Ihr habt es selber schon angesprochen, ihr wurdet von der Humboldt Universitäts Gesellschaft gefördert. Würdet ihr das anderen Studierenden empfehlen, die ähnliche Veranstaltungen machen wollen? Warum habt ihr euch für diese Förderung entschieden?

Hanne: Wir sind tatsächlich durch das Förderungsformat auf die Idee des Symposiums gekommen, weil das im Campus Adlershof auf einem Bildschirm ausgestrahlt wurde und da dachten wir, ein Symposium wäre ein gutes Format. Das war aber eine rein finanzielle Unterstützung.

Annika: Ich würde das schon empfehlen, im Sinne davon, dass es die Möglichkeit gibt, die eigenen Themen zu setzen und einzubringen. Wir haben uns ein eigenes Konzept überlegt und konnten dadurch bestimmte Teile, wie die Homepage, finanzieren. So eine Förderung gibt dem Ganzen ja auch einen offizielleren Touch.

UnAuf: Seid ihr zufrieden damit, wie das Symposium abgelaufen ist?

Annika: Ja, auf jeden Fall, wir sind sehr zufrieden damit. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen daran teilnehmen wollen und sich für die Themen interessieren. Das hat uns mega bestärkt. Man muss sich aber bewusst sein, dass das sehr sehr viel Arbeit sein kann.

Hanne: Es war auch eine sehr spannende Erfahrung sowas komplett selbst zu organisieren, in allen Bereichen den Ablauf mitbestimmen zu können. Wir haben das technische komplett selber gemacht, haben uns das Design überlegt… Das fand ich schon spannend, wirklich alles selber zu machen. Wir haben auf jeden Fall viel gelernt dadurch.


Transparenzhinweis: Das 255. Heft der UnAuf zum Thema Rechtsextremismus wurde ebenfalls durch die Humboldt Universitäts Gesellschaft (HUG) gefördert.

Dieser Text ist Teil unseres Themenschwerpunktes Mentale Gesundheit. Alle Texte sind hier zu finden.